Das Konzept der Funktionsfähigkeit könnte als neuer Indikator für die Verbesserung von Gesundheitssystemen sinnvoll sein, schreiben Forscher. Was genau das ist und wie es funktioniert, lest ihr hier.
Inwieweit eine Person am alltäglichen Leben teilnehmen kann, fähig ist, sich selbständig fortzubewegen, sich zu ernähren, sich zu kleiden, zu arbeiten oder am sozialen Leben teilzuhaben – diese und weitere Aspekte werden durch das Konzept der Funktionsfähigkeit erfasst. Die Messung von Gesundheit soll sich deshalb nicht allein auf Krankheits- und Sterblichkeitsraten stützen, sondern auch den gelebten und gefühlten Gesundheitszustand miteinbeziehen und diesen im Zusammenspiel mit der Umwelt so verbessern, dass eine möglichst gute gesellschaftliche Teilhabe erreicht werden kann.
Im Beitrag „The human functioning revolution: implications for health systems and sciences“ wird ein solcher angestrebter Paradigmen-Wechsel hin zu einer ganzheitlicheren und multidisziplinären Beurteilung und Förderung von Gesundheit beschrieben. Der Beitrag wurde von einem Autorenteam aus Forschern der Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Medizin und der Schweizer Paraplegikerforschung Nottwil rund um Prof. Gerold Stucki im Journal Frontiers in Science veröffentlicht.
Bisher wurden primär die Indikatoren der Morbidität (Häufigkeit der Erkrankungen in einer Gesellschaftsgruppe) und Mortalität (Häufigkeit der Todesfälle in einer Gesellschaftsgruppe) berücksichtigt, wenn es um allgemeine gesundheitsfördernde Maßnahmen und die Verbesserung von Gesundheitssystemen ging. Die Abwesenheit von Krankheit und Tod deckt laut den Forschern jedoch nur einen Teilaspekt des gelebten und gefühlten Gesundheitszustands ab.
Der Indikator der menschlichen Funktionsfähigkeit erfasst in Ergänzung dazu, wie Gesundheit unseren Alltag und die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe beeinflusst. Der Begriff der Funktionsfähigkeit ist zudem Ausdruck eines ganzheitlichen Verständnisses von Gesundheit: Gesundheitliche Probleme werden nicht isoliert betrachtet, sondern vielmehr als Zusammenspiel des körperlichen und geistigen Gesundheitszustands eines Individuums und seiner Umwelt.
Damit Funktionsfähigkeit als neuer Indikator in die Gesundheitssysteme integriert werden kann, muss diese erst als gewichtiges Kriterium anerkannt werden. Erreicht werden soll dies durch die Schaffung eines verstärkten Bewusstseins für deren Bedeutung, sowohl bei Gesundheitsfachpersonen als auch in der breiten Öffentlichkeit. Die Bereitstellung von umfassenden wissenschaftlichen Daten und das Aufzeigen von erfolgreichen Fallbeispielen soll dies weiter untermauern. Zudem sollte ein neues Wissenschaftsgebiet „Human Functioning Sciences“, also die Wissenschaft der menschlichen Funktionsfähigkeit, geschaffen werden, so der Vorschlag der Forscher.
Funktionsfähigkeit ist ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickeltes Konzept für ein neuartiges Verständnis von Gesundheit, welches über Behinderung und Krankheit hinausgeht. Es umfasst sowohl die biologische Gesundheit der Menschen, als auch ihre „gelebte Gesundheit“, womit die Aktivitäten, die sie in ihrem alltäglichen Leben ausführen, gemeint sind. Diese beinhalten Aspekte wie Essen, Körperpflege, Mobilität bis hin zur Arbeit und zum sozialen Umfeld.
Co-Autor Gerold Stucki erklärt: „Die biologische Gesundheit wirkt sich stark darauf aus, was wir tun können. Merkmale unserer Umwelt können dies entweder verbessern oder verschlechtern“, führt Stucki weiter aus und veranschaulicht das mit einem Beispiel: „Eine Person mit einer Mobilitätseinschränkung etwa kann in einer nicht barrierefreien Umgebung nur eingeschränkt funktionieren. Ihre Funktionsfähigkeit kann jedoch durch Hilfsmittel oder Veränderungen in der baulichen Umgebung verbessert werden.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Luzern. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Jeremy Lapak, Unsplash