Wir Ärzte geben unseren Patienten ja gern mal gute Ratschläge. Sie werden aber oft nicht umgesetzt – das liegt daran, wie wir kommunizieren. Hier erfahrt ihr, wie es besser klappt.
Ich möchte euch einen guten Rat geben: Gebt niemals gute Ratschläge. Zumindest nicht, bevor ihr diesen Artikel gelesen habt.
Patienten, die zu uns in die Sprechstunde oder Visite kommen, erwarten den Rat des Experten. Wenn es um Halsschmerzen und eingewachsene Zehennägel geht, dann freut sich jeder über unsere Expertise und die wertvollen Informationen. Aber oft sind wir mit Situationen konfrontiert, in denen wir gerne Rat geben möchten, aber unser Gegenüber diesen nicht unbedingt hören möchte.
Kennt ihr das auch? Habt ihr schon mal gut gemeinte Ratschläge erhalten, obwohl ihr nicht danach gefragt hattet? Obwohl ihr keinen Anlass erkennen konntet, warum jemand es für nötig hält, euch scheinbar gute Tipps zu geben? Oder ihr mit Informationen überflutet wurdet, die ihr alle schon längst kanntet?
Und wie fühlte sich das an – habt ihr euch gefreut oder eher geärgert?
„Ungebetener Rat ist die Spam-Mail des Alltags.“– Bern Williams
Beruflich kommen wir in solche Situationen, wenn wir Themen ansprechen wollen, die für unsere Patienten eher unangenehm sind oder mit denen sich Menschen eher ungern beschäftigen.
Das kann vorkommen, wenn wir:
Aber, wenn wir jetzt einfach unsere Ratschläge raushauen, richten wir eher Schaden an. In der motivierenden Gesprächsführung (MI) nach Miller und Rollnick geht es darum, über solche Themen ins Gespräch zu kommen, ohne unser Gegenüber zu verärgern, Widerstand zu erzeugen und Gegenargumente zu provozieren. In der MI nutzen wir eine Technik, mit der wir Rat geben können, der auch angenommen wird. Klingt aufwändig, oder? Aber brauchen solche Gespräche dann länger? Im Gegenteil.
Wenn uns wichtig ist, dass unser Rat und die Informationen angenommen werden, sollten wir zuvor in eine gute Beziehung zu unserem Patienten investiert haben. Nur wenn unser Gegenüber Vertrauen zu uns hat, wird er offen sein für unsere Informationen und Ratschläge. In der motivierenden Gesprächsführung passiert das in der Phase des „Engaging“, wo wir durch offene Fragen, aktives Zuhören, Würdigungen und Zusammenfassungen unserem Patienten ein echtes Interesse, ungeteilte Aufmerksamkeit und Empathie signalisieren.
Es sollte uns auch klar sein, was der Patient überhaupt möchte, damit wir gezielte Ratschläge und Informationen geben können. Wir wollen sicher sein, dass ein Rat jetzt passt. Manchmal suchen Menschen einfach nur jemanden zum Reden und nicht unbedingt eine Lösung für ihr Problem. Fragen wir uns also immer: Ist mein Ratschlag hier wirklich willkommen und nützlich? Oder braucht der Mensch vor mir gerade eher Unterstützung und Verständnis?
„Rat ist das, wonach wir fragen, wenn wir die Antwort bereits kennen, aber wünschen, es wäre nicht so.“– Erica Jung
Wenn wir mit der Tür ins Haus platzen, führt das selten zum Erfolg. Wir wollen nicht zu rasch mit den harten Fakten, Informationen und Ratschlägen beginnen. Ähnlich wie einen Hamburger packen wir unseren Rat zwischen zwei weiche Brötchenhälften. Wir achten auf eine gute Einleitung ins Thema und einen guten Abschluss.
Wenn wir Patienten erreichen wollen, sollten wir auf das Dozieren und den Monolog verzichten. Der Beginn mit offenen Fragen signalisiert unser Interesse und unseren Wunsch nach Beteiligung. Wir signalisieren, was wir besprechen:
Mit solchen Fragen bereiten wir unseren Gesprächspartner vor, wir öffnen ihn für das Thema.
„Der Verstand ist wie ein Fallschirm ... er funktioniert nur, wenn er offen ist.“– Franz Zappa
Wir erfahren dabei auch, was unser Patient zu dem Thema schon weiß. Wir können anschließend unsere Informationen gezielt anpassen. Wir erzählen unserem Gegenüber nichts, was er schon weiß. Das spart Zeit!
Bevor wir einen Rat geben, ist es entscheidend, um Erlaubnis zu bitten. Warum? Weil dies die Autonomie des Patienten respektiert und seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit fördert. Für uns Experten mag es ungewohnt wirken, um Erlaubnis zu bitten. Aber es ist ganz einfach:
Durch diese Fragen signalisieren wir Respekt für die Meinung des Patienten und eröffnen den Raum für eine offene Diskussion.
Was aber, wenn unser Patient keine Ratschläge möchte? Dann müssen wir die Entscheidung so respektieren und andere Wege zur Unterstützung finden. Unser Patient hätte uns dann ohnehin nicht zugehört und nichts umgesetzt. Dann können wir uns auch mit der Zimmerpflanze unterhalten, das fördert angeblich ihr Wachstum.
Das Einholen der Erlaubnis zeigt nicht nur euren Respekt gegenüber dem Patienten, sondern stärkt noch mal das Vertrauensverhältnis. Dieses Vertrauen ist unerlässlich, wenn wir Veränderung bewirken wollen.
Selbst wenn der Patient scheinbar aktiv von sich aus nach Rat fragt, wollen wir auf Nummer sicher gehen. Auf die Frage „Was soll ich tun, Frau Doktor?“, fangen wir nicht sofort an, unser Wissen zu verbreiten. Wir fragen nochmal nach:
Erst, wenn wir jetzt ein Ja bekommen, beginnen wir mit Rat geben und Informationen.
Wir haben das Thema vorbereitet, wir wissen, was der Patient schon weiß und wir haben uns versichert, dass er unseren Rat auch hören möchte. Jetzt ist unser Gegenüber offen für unsere Informationen, die wir kurz halten und einfach formulieren. Die Menge an Informationen, die ein Mensch verarbeiten kann, ist begrenzt und es hilft nicht weiter, wenn wir unseren Patienten überlasten. Die Art und Weise, wie wir den Rat formulieren, kann einen großen Einfluss darauf haben, wie er auf- und angenommen wird.
Wir wollen Belehrungen vermeiden („Sie müssen ...“), die als übergriffig empfunden werden können und Patienten in die Defensive drängen. Wir können uns immer wieder überlegen, wie wir uns selbst fühlen, wenn wir solche Dinge hören. Wir wollen alles so formulieren, dass unser Patient immer spürt, dass er die Kontrolle hat und selbst entscheidet, was er macht.
Wenn möglich, sollten wir auch mehrere Optionen anbieten, damit der Patient die Wahlfreiheit erlebt, selbst eine Option zu wählen. Wir achten auch auf eine positive Sprache, die Hoffnung und Zuversicht weckt.
Nachdem wir unsere Informationen vermittelt haben, wollen wir wieder in den Dialog einsteigen. Wir können nachfragen, was bei unserem Gegenüber angekommen ist:
Und dann möchten wir erreichen, dass unser Patient den Rat auch annimmt. Wir möchten ihn einladen, „Change Talk“ zu formulieren, also selbst Gründe zu formulieren, warum er die Ratschläge annehmen sollte. Zum Abschluss möchten wir ihn motivieren, den Rat nicht nur zu hören, sondern auch anzuwenden. Und dazu verwenden wir wieder eine offene Frage.
In der motivierenden Gesprächsführung wird sie die „Schlüsselfrage“ genannt:
Mit dieser Frage regen wir unser Gegenüber an, selbst zu formulieren, was er tun möchte – ohne Druck, ohne erhobenen Zeigefinger und mit Respekt für die Autonomie unseres Patienten.
Für viele mag es eine Herausforderung sein, nicht immer gleich mit Rat geben zu reagieren, sondern mit der Hamburger-Technik offene Fragen zu stellen, den Dialog zu suchen und die Autonomie zu betonen. Das Tolle an allen Techniken der motivierenden Gesprächsführung: Man kann es im nächsten Patientengespräch einfach mal ausprobieren.
Wie verändert es das Gespräch, wenn ihr nächstes Mal nur probiert, um Erlaubnis zu fragen, bevor ihr etwas erklärt? Und wenn es klappt, bietet „Motivational Interviewing“ noch viel mehr!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf StrebensWert.
Bildquelle: Usman Yousaf, unsplash