Mein Patient erklärt, er habe „noch nie so starke Halsschmerzen gehabt“. Ist es bloß ein Infekt oder steckt mehr dahinter? Eine kürzlich verordnete Therapie wegen starker Schulterschmerzen macht mich hellhörig.
Es war im Januar 2022 als mich in meiner Sprechstunde am Abend ein Patient aufsuchte, der sich spontan in einen Ausfalltermin eingebucht hatte. Er berichtete, er habe seit einigen Tagen Halsschmerzen. Der Patient wurde körperlich untersucht: Der Allgemeinzustand war leicht reduziert. Fieber bestand nicht. Die Vitalparameter und die Auskultation waren unauffällig. Im Bereich des Rachens zeigte sich eine geringe Rötung. Im Gegensatz zu diesem Untersuchungsbefund beklagt der Patient selbst jedoch ein starkes Krankheitsgefühl mit ausgeprägter Abgeschlagenheit. Er gab an, noch nie so starke Halsschmerzen gehabt zu haben und war über seinen eigenen Zustand beunruhigt.
Er hatte sich sogar bei seinem Zahnarzt vorgestellt da er auch das Gefühl habe sein Zahnfleisch sei wund. Dieser hatte den Verdacht einer oralen Pilzinfektion gestellt und dahingehend Abstriche abgenommen, deren Ergebnisse jedoch noch ausstanden. Der Patient war bisher eher als indolent in Erscheinung getreten, sodass neben einem Coronaabstrich am Folgetag, auch eine Blutentnahme inklusive eines großen Blutbildes für ihn vereinbart wurde. Die Laborwerte trafen am nächsten Morgen ein und zeigten den folgenden Befund: Leukozyten: 0,7 G/l, die Neutrophilen Granulozyten: 0,01 G/l, CRP Wert > 150 mg/l. Das sonstige Blutbild war unauffällig.
Mitte Dezember war der Patienten bei starken Schulterschmerzen auf eine Medikation mit Metamizol umgestellt worden. Davon hatte er abends 500 mg und insgesamt 30 Tabletten eingenommen. Der Patient hatte initial von seinem Orthopäden Ibuprofen erhalten, dass er jedoch nicht vertragen hatte. Er litt ohnehin unter Refluxbeschwerden und hatte unter Ibuprofen zusätzlich Magenschmerzen beklagt. Zusätzlich kam es zu einem Anstieg des ohnehin schwer einstellbaren Blutdrucks. Ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil (Adipositas, Hypertonus, Hyperlipidämie, Prädiabetes, OSAS,) sprach gegen eine Therapie mit Coxiben.
Es erfolgte die Kontaktaufnahme zu einer nahegelegenen Klinik, sodass eine sofortige stationäre Aufnahme organisiert werden konnte. In der Klinik lag das gemessene C-reaktive Protein (CRP) bei 232 mg/l. Der Patient gab nun Husten an, ohne dass sich ein Korrelat in der Röntgen-Thoraxaufnahme bot. Es erfolgten eine kalkulierte Antibiose mit Meropenem sowie – am nächsten Tag – eine Knochenmarkspunktion. Diese offenbarte ein hypozelluläres Knochenmark mit Aplasie der Granulopoese. Der Patient wurde zusätzlich mit G-CSF (Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor) therapiert.
Sein Zustand verschlechterte sich jedoch weiter. Im Bereich der rechten Leiste entwickelte sich eine phlegmonös anmutende, schmerzhafte Schwellung und Rötung, sodass der Patient operativ exploriert wurde. Das subkutane Fettgewebe wurde als ödematös verändert beschrieben, wobei jedoch kein Anhalt für einen Abszess oder eine nekrotisierende Fasziitis bestand. Ein Keimnachweis gelang weder aus den intraoperativ genommenen Abstrichen, noch aus dem Blutbild. Die Wundheilung erfolgte offen. Der Patient fieberte zunächst wiederholt auf, dann jedoch besserte sich sein Zustand. Nach Rekonstitution des Blutbildes konnte er 15 Tage nach Aufnahme wieder entlassen werden. Weitere Kontrollen des Blutbildes zeigten einen unauffälligen Befund.
Metamizol gehört zu den am häufigsten verschriebenen Schmerzmitteln überhaupt, da es ein für viele Patienten günstiges Nebenwirkungsprofil aufweist. Initial war das Medikament noch rezeptfrei erhältlich, was jedoch nicht zuletzt wegen des Risikos der Agranulozytose geändert wurde. Aus diesem Grund ist das Medikament im angloamerikanischen Raum sowie in Skandinavien nicht zugelassen.
Die Neutropenie wird am ehesten immunvermittelt ausgelöst. Zirkulierende medikamenteninduzierte Antikörper lösen eine Schädigung der Granulozyten aus, die zeit- und dosisunabhängig ist. Es ist davon auszugehen, dass die Sensibilisierung ein Leben lang anhält, so dass die entsprechenden Medikamente gemieden werden sollten. Die Liste an Medikamenten, die eine Agranulozytose auslösen können, ist lang und umfasst zum Beispiel Penicillin, Clozapin und Carbimazol, sodass bei einer Agranulozytose der Medikamentenplan auf einen potenziellen Auslöser geprüft werden sollte.
Die Firstline-Indikationen für Metamizol sind: akute starke postoperative und posttraumatische Schmerzen, sowie Tumor und Kolikschmerzen. Bei anderen Schmerzursachen ist eine Verschreibung zulässig, wenn Kontraindikationen gegen Medikamente der ersten Wahl bestehen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verweist in einer Stellungnahme ausdrücklich darauf, dass Metamizol nicht bei mittelschweren und leichten Schmerzen eingesetzt werden darf und nicht dauerhaft angewendet werden sollte. In der täglichen Praxis stellt das gerade bei mittelstarken Schmerzen und multimorbiden Patienten mit Kontraindikationen gegen andere Schmerzmittel ein gewisses Dilemma dar, das sich in den steigenden Verordnungszahlen von Metamizol ausdrückt. Der Einsatz erfolgt häufig off-label.
Grundsätzlich ist Metamizol ein in vielen Fällen unverzichtbares und gut verträgliches Medikament. Dennoch sollte die Verordnung nur nach kritischer Prüfung und unter Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen erfolgen. Gerade bei längerfristiger Einnahme steigt die Gefahr von Nebenwirkungen. Auf der Seite des Bundesinstitutes für Risikobewertung heißt es deshalb: „Das Blutbild einschließlich Differentialblutbild sollte während der Behandlung regelmäßig kontrolliert werden.“
Problematisch für die Praxis ist die hohe zeitliche Variabilität des Auftretens einer Agranulozytose, die auch dann noch auftreten kann, wenn das Medikament vorher immer gut vertragen wurde. Insofern finden sich in der Literatur keine konkreten Angaben dazu wann die Laborkontrollen sinnvollerweise erfolgen sollten. Gleiches gilt für die medikamenteninduzierte Leberschädigung, die unter Metamizol beschrieben ist und zu einem Rote-Hand-Brief führte. Umso wichtiger ist es, Patienten über das potentielle Risiko aufzuklären und bei Symptomen, die auf eine Agranulozytose hindeuten können, sofort die Einnahme zu stoppen und das Blutbild zu kontrollieren.
Eindrücklich war im obenstehenden Fall der nur geringe klinische Befund im Bereich des Rachens. Nekrosen, Ulzerationen oder Foetor ex ore fehlten zum Zeitpunkt der Vorstellung ebenso wie Fieber. Der Befund hätte genauso gut einer leichten Infektionskrankheit entsprechen können und ließ in Anbetracht der Inzidenzen damals am ehesten an eine frühe Corona-Infektion denken. Laborkontrollen erfolgten bei dem Patienten routinemäßig jedes Quartal und waren bereits anberaumt. Die Agranulozytose trat jedoch auf, bevor die Routinekontrolle erfolgte. Im oben stehenden Fall, war der Patient für die Agranulozytose sensibilisiert. Dadurch stellte er sich rechtzeitig vor. Dennoch war der Verlauf schwer und potentiell lebensbedrohlich, so dass es wichtig erscheint die Agranulozytose auch bei augenscheinlich banalen Symptomen im Hinterkopf zu behalten, wenn Metamizol eingenommen wird und lieber einmal mehr ein Blutbild mit abzunehmen.
Quellen:
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Aus der UAW-Datenbank Agranulozytose nach Selbstmedikation mit Metamizol. Dtsch Arztebl, 2023.
Packungsbeilage: Information für Anwender. Metamizol Zentiva 500 mg Filmtabletten.
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Metamizol (Novalgin, Berlosin, Novaminsulfon, etc.): BfArM weist auf richtige Indikationsstellung und Beachtung von Vorsichtsmaßnahmen und Warnhinweisen hin.
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