Seit der assistierte Suizid nicht mehr unter Strafe steht, ist die ärztliche Verunsicherung groß. Noch in diesem Jahr soll ein neues Gesetz verabschiedet werden – und zwei Entwürfe sorgen schon jetzt für Diskussionen.
Vor drei Jahren positionierte sich das Bundesverfassungsgericht mit unerwarteter Klarheit zur Autonomie jeder einzelnen Person, unabhängig von Alter, Gesundheitszustand, religiöser oder sozialer Erwägungen. Jeder habe ein Recht auf selbstbestimmtes Leben, so auch auf selbstbestimmtes Sterben. Nach einer zweitägigen Verhandlung erklärte das oberste Gericht in Karlsruhe bisher geltendes Recht für verfassungswidrig und nichtig. Die Beihilfe zum Suizid werde nun erlaubt, der Gesetzgeber habe die Möglichkeit, dies zu regeln.
Auf diese klare Regelung warten jetzt Betroffene, aber auch Mitarbeiter im medizinischen, pflegerischen und sozialen Sektor. Kein guter Zustand, der wie eine Wanderung auf brüchiger Eisdecke erscheint, von der man nicht sicher ist, ob sie trägt. Für Juli wird nun die Abstimmung zwischen zwei Gesetzesvorlagen im Bundestag erwartet.
Der erste Gesetzesentwurf ist benannt nach dem SPD-Abgeordneten Lars Castellucci. Hier steht der Lebensschutz im Fokus und die Sterbehilfe wird eingegrenzt:
„Die grundsätzliche Straffreiheit der Hilfe beim Suizid wird beibehalten. Die davon zu unterscheidende täterschaftliche aktive Sterbehilfe gemäß § 216 StGB bleibt unverändert strafbar.“
Es gilt eine obligatorische Beratungspflicht. Hierbei müssen zwei Beratungen im Mindestabstand von drei Monaten durch einen Psychiater oder Psychotherapeuten durchgeführt werden. Eine psychische Erkrankung, die die autonome Entscheidungsfindung beinträchtigen würde, soll ausgeschlossen und die Absicht verifiziert werden. Eine dritte ergebnisoffene Beratung mit einem interdisziplinären Ansatz bei entweder einem weiteren Arzt, Psychotherapeuten oder bei einer psychosozialen Beratungsstelle soll Alternativen aufzeigen und Hilfen anbieten. Die ärztliche Verordnung des entsprechenden Medikaments kann nach abgeschlossener Beratung erfolgen, wenn mindestens zwei Wochen und maximal zwei Monaten vergangen sind.
Eine Ausnahme bildet eine weit fortgeschrittene Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung, die einen einzigen Beratungstermin rechtfertigen würde. Ein kommerzialisiertes Werbeverbot für Sterbehilfe wird ausdrücklich betont.
Die zusammenfassende Grundmotivation des Gesetzesentwurfs nach Castellucci:
„Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, zur Ausfüllung der staatlichen Schutzpflicht, die Selbstbestimmung und das Leben zu schützen und sicherzustellen, dass die zur Selbsttötung entschlossene Person ihren Entschluss aufgrund einer selbstbestimmten Entscheidung getroffen hat. Diese Schutzpflicht des Staates beinhaltet dafür Sorge zu tragen, dass der Entschluss zur Selbsttötung nicht nur auf einer vorübergehenden Lebenskrise oder auf einer psychosozialen Einflussnahme beruht und keine psychische Erkrankung oder eine mangelnde Aufklärung und Beratung dem Selbsttötungsentschluss zugrunde liegt. Im Übrigen soll einer problematischen gesellschaftlichen Normalisierung der Hilfe zur Selbsttötung entgegengewirkt werden.“
Der zweite Gesetzesentwurf ist benannt nach Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne). Mit ihm wird der individuelle Autonomiegedanke priorisiert. Auch hier werden Beratungs- und Aufklärungsvorgaben gegeben. Zum einen durch den Arzt, der das entsprechende Medikament rezeptiert, zum anderen durch eine unabhängige Beratungsstelle. Die Beratungsstellen werden ähnlich der Schwangerschaftskonfliktberatung von den Bundesländern organisiert. Nach dem Beratungstermin darf die Rezeptur frühestens nach zehn Tagen, spätestens nach acht Wochen erfolgen.
Um Anfragen aus dem Ausland zuvorzukommen, wird die Möglichkeit der Suizidhilfeberatung auf Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland beschränkt.
Zusammenfassen lässt sich der Grundgedanke der zweiten Vorlage im Wortlaut:
„Im Mittelpunkt steht dabei die Autonomie und die Freiverantwortlichkeit der sterbewilligen Person und der Respekt vor jedweder autonomen Entscheidung, ohne dass externe Moralvorstellungen angelegt werden dürfen. […] Der Entwurf formuliert deshalb Voraussetzungen, damit sich Menschen zukünftig einer Begleitung bis zum Lebensende sicher sein können und auch Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung erhalten.“
Der autonome und freie Wille der betroffenen Person ist die Voraussetzung für eine gesetzlich anerkannte Sterbehilfe. Ausgeschlossen sind Minderjährige, kognitiv beeinträchtigte Personen und Menschen in akuten psychischen Krisen.
Es besteht die Freiheit, Hilfe bei Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Unter bestimmten Vorgaben, die aus unterschiedlichen Beratungs- und Zeitvorgaben bestehen, wird die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt. Niemand kann zu dieser Hilfestellung verpflichtet werden.
Der Hinweis auf die Möglichkeiten der Palliativmedizin sind Teil der Beratung. Um entsprechende Medikamente leichter verschreiben zu können, soll das Betäubungsmittelgesetz geändert werden.
Im ersten Vorschlag wird eine dreifache, teilweise durch einen Psychiater oder Psychotherapeuten vorgenommene Beratung gefordert. Davon kann in fortgeschrittenen Krankheitssituationen abgewichen werden. Ärztlicherseits kann das Medikament anschließend zwischen zwei Wochen und zwei Monaten verschrieben werden. Kommerzielle Werbung für den assistierten Suizid ist verboten.
Im zweiten Vorschlag besteht eine doppelte Beratungspflicht durch den behandelnden Arzt und eine unabhängige Beratungsstelle. Der assistierte Suizid kann anschließend nach zehn Tagen bis zu acht Wochen erfolgen. Die Möglichkeit ist auf in Deutschland lebende Personen beschränkt.
Schon jetzt werden beide Gesetzentwürfe kritisch diskutiert. Man fragt sich, wie viele Psychiater oder Psychotherapeuten mit freien Terminen rekrutiert werden oder wie schnell qualifizierte Beratungsstellen zur Verfügung stehen können.
Im Falle des zweiten Gesetzentwurfs würde der Ausschluss einer akuten psychischen Krise durch einen psychiatrisch ausgebildeten Experten wegfallen. Eine Beratung über das mittlerweile breite palliativmedizinische Spektrum können diejenigen am besten leisten, die dort arbeiten, jedoch in Zeiten des Pflegenotstands damit grenzenlos überfordert würden. In den nächsten Jahren geht die Generation Babyboomer in den Ruhestand, was den Ärzte- und Pflegenotstand noch verschlimmern wird. Der Druck auf Menschen, die am Lebensende stehen, könnte wachsen und sie vor schwere, eigentlich nicht gewollte Entscheidungen stellen.
Um wirklich allumfassend in einer definitiv lebensgefährlichen Situation zu agieren, bedarf es vieler Kräfte, die unserem Gesundheitssystem aktuell nur bedingt zur Verfügung stehen.
Dr. Bernd-Oliver Maier, Palliativmediziner und Chefarzt, befürchtet, dass es durch die gesetzliche Regelung zu einer Normalisierung der Selbsttötung kommen könnte. Selbsttötung darf seiner Ansicht nach nicht normal sein und sollte uns immer berühren. „Egal welches Gesetz am Ende Wirklichkeit wird: Für mich wird sich im Alltag so viel nicht verändern. […] Ich werde – bei allem Respekt vor der Selbstbestimmung des Einzelnen – den medizinisch lebensbejahenden Weg stärken wollen“, so sein Resümee in der Zeit.
Bleibt zu hoffen, dass den Entscheidungsträgern genügend kompetente Beratung zur Verfügung steht, um für solch ethisch schwerwiegende Lebenssituationen einen angemessenen gesetzlichen Rahmen zu schaffen.
Bildquelle: Liz Sanchez-Vegas, unsplash