Gewichtsverlust um ein Viertel? Kein Problem mehr. Bei der Jahrestagung der ADA waren neue GLP-1-Agonisten die großen Stars. Welcher hat die Nase vorn?
Es ist so weit. Das Unternehmen Novo Nordisk will den GLP-1-Agonisten Semaglutid, den es in Deutschland bisher nur als Antidiabetikum Ozempic® gibt, ab Ende Juli unter dem Namen Wegovy® auch als Präparat zur Gewichtsabnahme bei Adipositas auf den deutschen Markt bringen. Das hat der Geschäftsführer des Unternehmens, Lars Jorgensen, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt. Der Wirkstoff ist identisch, allerdings erhofft man sich durch die unterschiedlichen Präparate eine bessere Abgrenzung der Indikationen Diabetes und Adipositas. In den USA ist Wegovy® seit 2021 erhältlich, Ozempic® seit 2017. Auch in Europa ist Semaglutid für die Indikation Adipositas schon eine Weile zugelassen. Doch hatte und hat der Hersteller Probleme, mit der hohen Nachfrage Schritt zu halten.
Semaglutid wurde bei Adipositas unter anderem in der im März 2021 publizierten Phase-III-Studie STEP-1 untersucht. Hier hatten Patienten mit einem BMI > 30 durch 2,4 mg Semaglutid einmal wöchentlich subkutan bis Woche 68 beachtliche 14,9 % (Placebo 2,4 %) an Gewicht verloren. Analoge Ergebnisse für Jugendliche brachte die Ende 2022 publizierte STEP TEENS Studie.
Bei der Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) in San Diego waren die GLP-1-Agonisten jetzt der unumstrittene Hauptdarsteller – vor allem deswegen, weil Semaglutid angesichts des riesigen Adipositas-Markts mittlerweile reichlich Konkurrenz bekommt. Doch bleiben wir nochmal kurz bei Semaglutid, denn auch hier gibt es Neues. Novo Nordisk hatte es schon vor einigen Wochen angeteasert: Bei der ADA-Tagung wurden die Ergebnisse der der Phase-III-Studie OASIS 1 vorgestellt. Hier trat orales Semaglutid in einer Dosis bis 50 mg täglich gegen Placebo an, erneut bei Menschen mit einem BMI über 30. Die Gewichtsabnahme war praktisch deckungsgleich mit jener bei subkutaner Gabe; bis Woche 68 ging es um 15,1 % (Placebo 2,4 %) bergab.
Inwieweit höhere Dosen an oralem Semaglutid auch bei Typ-2-Diabetes Vorteile bringen, hat die ebenfalls im Lancet publizierte PIONEER PLUS Studie untersucht, die 25 mg und 50 mg gegen 14 mg antreten ließ. In der Phase-IIIb-Studie erreichten 14 mg Semaglutid bis Woche 52 einen HbA1c-Abfall um 1,5 Prozentpunkte, 50 mg schafften 2 Prozentpunkte.
Die Konkurrenz schläft nicht. Ebenfalls beim ADA-Kongress schlug Lilly mit seinem oralen GLP-1-Rezeptor-Agonisten Orforglipron Wellen. Der Vorteil an Orforglipron ist vor allem, dass es kein Peptid ist. Es ist damit vergleichsweise unkomplizierter herzustellen und auch unkompliziert einzunehmen. Die Ergebnisse der randomisierten Phase-II-Studie GZGI wurden zeitgleich mit dem ADA-Kongress im New England Journal publiziert. Insgesamt 272 Patienten mit einem mittleren BMI von fast 38 wurden 36 Wochen lang mit unterschiedlichen Dosen – 12 mg bis 45 mg täglich – Orforglipron in der Indikation Adipositas behandelt. Sie verloren bis Woche 26 insgesamt 8,8 % bis 12,6 % und bis Woche 36 insgesamt 9,4 % bis 14,7 % an Gewicht. In der höchsten Dosis erreichten 75 % der Patienten eine Gewichtsabnahme um mindestens 10 %. Interessant dabei war, dass in der höchsten Dosisstufe das Gewichtsplateau bis zum Follow-up-Zeitpunkt noch nicht erreicht war. Es könnte also noch weiter nach unten gehen.
Eine weitere Phase-II-Dosisfindungsstudie mit dem oralen Orforglipron beschäftigte sich mit dem Einsatz bei Typ-2-Diabetes. Verglichen wurde hier mit entweder Placebo oder dem GLP-1-Agonisten Dulaglutid. Bis Woche 26 fiel der HbA1c bei täglicher Einnahme von oralem Orforglipron dosisabhängig um bis zu 2,1 Prozentpunkte, gegenüber 0,43 Prozentpunkten bei Placebo und 1,1 Prozentpunkten bei 1,5 mg Dulaglutid s. c. einmal pro Woche.
So eindrucksvoll insbesondere in der Indikation Adipositas die Therapieerfolge mit GLP-1-Agonisten sind, so gibt es doch auch Nachteile. Zum einen sieht es bisher danach aus, als ob die Patienten regelhaft wieder zunehmen, wenn die Behandlung beendet wird. Es scheint sich also um eine Dauertherapie zu handeln, zumindest dürften intermittierende Gaben nötig werden, um den Gewichtserfolg zu halten. Zum anderen zeigen sich insbesondere in der Anfangsphase Verträglichkeitsprobleme. Gastrointestinale unerwünschte Wirkungen treten häufig bis regelmäßig auf und sie gehen auch nicht immer wieder weg. In der GZGI-Studie beispielsweise brachen dosisabhängig 10 % bis 17 % der Orforglipron-Patienten die Therapie ab. Bei anderen GLP-1-Agonisten sieht es in vergleichbaren Wirksamkeitsbereichen ähnlich aus.
Neben den gastrointestinalen Wirkungen gibt es auch noch ein Sicherheitssignal, das bisher nicht so ganz eingeordnet werden kann. Über die Agenturen verbreitet wurde vor einigen Tagen eine Meldung, wonach es bei GLP-1-Agonisten Hinweise auf ein häufigeres Auftreten von Schilddrüsentumoren gebe. Die Meldung basierte auf einer PRAC-Sitzung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) von Mitte April. Die Überprüfung läuft noch, die Hersteller sollen bis Ende Juli zusätzliche Daten zur Verfügung stellen. Anlass für das Ganze war eine französische Fall-Kontroll-Studie, in der es Hinweise auf ein rund zwei Drittel erhöhtes Risiko gab. Es gibt auch entsprechende Hinweise aus Tierstudien. Inwieweit hier wirklich ein relevantes Problem vorliegt, ist bisher offen. Es handelt sich in jedem Fall um sehr seltene Ereignisse.
Vielleicht gehört die Zukunft bei der Therapie von Adipositas und/oder Typ-2-Diabetes ohnehin nicht den reinen GLP-1-Agonisten. Kombinationstherapien sowie Einzelsubstanzen, die an mehreren Rezeptoren parallel ansetzen, sind gerade groß im Kommen. Bei der ADA-Tagung wurden zum einen neue Daten zu Tirzepatid (Hersteller Lilly) in der Indikation Typ-2-Diabetes vorgestellt. Tirzepatid war bisher in der SURMOUNT-1-Studie bei Adipositas ohne Diabetes evaluiert worden und hatte bei einem mittleren BMI von 38 kg/m² eine Gewichtsabnahme um im Mittel 15 % erreicht. Tirzepatid ist „dualer Agonist“, der nicht nur am GLP-1-Rezeptor, sondern auch noch am GIP-Rezeptor wirkt. GIP ist das glukoseabhängige, insulinotrope Polypeptid.
An der jetzt beim ADA-Kongress vorgestellten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie SURMOUNT-2 nahmen 938 Menschen mit Typ-2-Diabetes und einem HbA1c-Wert von 7–10 % sowie einem BMI von mindestens 27 kg/m², im Mittel 36,1 kg/m², teil. Primärer Endpunkt war Gewichtsreduktion, sekundär wurden diabetesbezogene Endpunkte evaluiert. Bis Woche 72 gelang in der hohen Dosisgruppe (15 mg) ein Gewichtsverlust um 14,7 %, gegenüber 3,2 % bei Placebo. Dies ging einher mit einer Verbesserung des HbA1c: Annähernd die Hälfte erreichte einen Normalwert < 5,7 %, was unter anderem die Frage provoziert, ob Gewichtsreduktion nicht das primäre Therapieziel beim Typ-2-Diabetes sein sollte.
Auch mit Tirzepatid scheint das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Der Wirkstoff Retatrutid, erneut Lilly, bisheriger Name LY3437943, könnte das Rad noch ein Stück weiterdrehen. Er wirkt nicht nur am GLP-1- und am GIP-Rezeptor agonistisch, sondern als „Triple-Agonist“ auch noch direkt am Glukagon-Rezeptor. Bei der ADA-Tagung gab es jetzt die Ergebnisse gleich mehrerer Phase-II-Studien – und die ließen manchem den Mund offen stehen.
An der zeitgleich im New England Journal publizierten Adipositas-Studie mit Retatrutid nahmen 338 Patienten teil, die entweder Placebo oder Retatrutid in den Dosierungen 4 mg, 8 mg oder 12 mg erhielten. In der kombinierten Auswertung der beiden höchsten Dosierungen wurde nach nur 24 Wochen ein Gewichtsabfall um im Mittel 17 % gesehen, gegenüber 1,6 % bei Placebo. In der Höchstdosisgruppe betrug der mittlere Gewichtsabfall sogar 24 %, mehr als mit irgendeiner anderen Substanz bisher gesehen, zumal nach dieser vergleichsweise kurzen Zeit.
Die Retatrutid-Ergebnisse in der Diabetes-Studie sind ähnlich beeindruckend. 281 Patienten nahmen an dieser Studie teil. Bei der 12-mg-Dosis ging es innerhalb von acht Monaten mit dem Gewicht um 16,9 % und mit dem HbA1c um zwei Prozentpunkte nach unten. Bei Placebo tat sich in Sachen HbA1c gar nichts, bei einem Arm mit Dulaglutid-Verumvergleich waren es 1,4 Prozentpunkte. Ein derartiger Effekt bei Typ-2-Diabetes sei bisher mit keiner anderen GLP-1-basierten Therapie erreicht worden, so Studienleiter Julio Rosenstock vom Dallas Diabetes Research Center.
Der Triple-Agonist Retatrutid hat noch eine weitere Dimension, die bei der ADA-Tagung am Rande thematisiert wurde, nämlich die Reduktion einer nicht-alkoholischen Fettleber (NAFLD). Daten zu GLP-1-Agonisten und Fettleber werden schrittweise erhoben und sind noch lange nicht vollständig. In einigen Studien wurden Rückgänge beim Leberfett in der Größenordnung von etwa 50 % berichtet.
Die Hinzunahme des Glukagon-Rezeptors hat zumindest theoretische Vorteile im Hinblick auf die Therapie bei NAFLD. Dr. Arun Sanyal von der Gastroenterologie und Hepatologie der Virginia Commonwealth University erläuterte in San Diego, dass die Leber kaum über GLP-1- und GIP-, wohl aber über reichlich Glukagon-Rezeptoren verfüge. Das könnte den für die NAFLD- bzw. NASH-Pathogenese wichtigen, oxidativen Stress in der Leber günstig beeinflussen.
In San Diego wurden aus der erwähnten Adipositas-Studie mit Retatrutid Ergebnisse einer Subgruppenanalyse von 98 Patienten präsentiert, die zu Studienbeginn bereits eine NAFLD aufwiesen. In der höchsten Dosisgruppe erreichten diese Patienten eine Reduktion im Leberfett um 86 Prozent innerhalb von 48 Wochen, wobei der Effekt in den frühen Behandlungsphasen am ausgeprägtesten zu sein scheint. Interessant sind diese Ergebnisse auch vor dem Hintergrund, dass die American Diabetes Association im aktuellen Update ihrer Standards of Care Empfehlungen (Empfehlung 4.11a) erstmals ausdrücklich empfiehlt, alle Menschen mit Diabetes und Prädiabetes auf NAFLD zu screenen.
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