Lungenentzündungen werden vom Arzt häufig übersehen. Dabei profitieren Patienten selbst bei leichten Formen von einer Antibiotika-Einnahme. Um Pneumonien schnell von anderen Infektionen unterscheiden zu können, sollte man im Praxisalltag auf bestimmte Punkte achten.
Weltweit auf Platz eins der Todesursachen durch Infektionen stehen sogenannte CAP (Community aquired Pneumonia), also ambulant erworbene Pneumonien. Das Spektrum reicht von hausärztlich gut therapierbaren Krankheiten bis zu medizinischen Notfällen mit hoher Letalität. Wichtig ist, schwere Verlaufsformen rasch zu erkennen. Doch so mancher Fall bleibt womöglich unentdeckt.
Zu dem Ergebnis kommt Privatdozent Dr. Lutz P. Breitling vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg. Er hat zusammen mit Kollegen über zehn Jahre hinweg Daten der ESTHER-Studie analysiert. Im Zeitraum von 2000 bis 2002 wurden 9.949 Probanden im Alter von 50 bis 75 Jahren rekrutiert. Ärzte boten ihnen im Rahmen der Studie routinemäßige Gesundheits-Check-ups an. Breitling konnte davon ausgehen, dass seine Teilnehmer nicht an akuten Beschwerden litten, da sie ansonsten rascher ärztliche Hilfe benötigt hätten. Eine Auskultation war Teil des Programms. Außerdem erfassten Ärzte die Lebensgewohnheiten aller Teilnehmer. Weitere Untersuchungen fanden nach je zwei, fünf, acht und elf Jahren statt. Röntgenbild einer Lobärpneumonie im linken Oberlappen © Hellerhoff, Wikipedia Das Ergebnis: In der Kohorte traten insgesamt 435 Pneumonien auf, das entspricht einer Zehn-Jahres-Inzidenz von 4,5 Prozent. Die Verteilung überrascht. 128 Fälle wurden von den Teilnehmern selbst angesprochen (etwa frühere Erkrankungen), 131 vom Studienarzt beim Check-up erkannt (ohne dass der Patient davon wusste) und 176 durch Teilnehmer und Arzt gleichermaßen bestätigt. Generell zeigt die prospektive Beobachtungsstudie Assoziationen, aber keine Kausalitäten. Als unabhängige Risikofaktoren identifizierte Breitling das Alter, Rauchen und Herzinsuffizienzen. Ein Zusammenhang mit Diabetes mellitus war nicht statistisch signifikant. Mit diesen Ergebnissen könnte es Ärzten besser gelingen, besonders gefährdete Personengruppen zu identifizieren. Bei der Diagnose ist die Sache nicht ganz so einfach.
Pneumonie-Patienten leiden häufig an einem allgemeinen Krankheitsgefühl, sie fühlen sich schlapp und haben Fieber. Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, Husten, eitriger Auswurf oder Atemnot kommen hinzu. Allerdings haben die Symptome nur wenig Aussagekraft, weil sie auf diverse Erkrankungen zutreffen. Bei der Untersuchung fällt oft eine Dyspnoe mit erhöhter Atemfrequenz auf. Weitere Hinweise liefern eine Tachykardie beziehungsweise Hypotonie, Auffälligkeiten beim Abklopfen oder Rasselgeräusche beim Abhören. Privatdozent Dr. Arne Schneidewind vom Universitätsklinikum Bonn berichtete bei einem Vortrag, dass der positive Vorhersagewert dieser Symptome jedoch unter 50 Prozent liege. „Entsprechend sollte auch im ambulanten Bereich bei Verdacht auf CAP ein Röntgen-Thorax angestrebt werden“, lautet seine Empfehlung. Als Möglichkeit, Risiken einfach zu bestimmen, setzen Ärzte auf den CRB-65-Index. Er ist ein Maß für die Schwere von Pneumonien und setzt sich aus vier Kriterien zusammen:
Daraus ergeben sich wiederum drei Risikogruppen:
CRB-56-Index © SlideShare
In der Praxis ist die Einteilung von Pneumonien anhand der CRB-65-Kriterien nicht immer einfach. „Akute unkomplizierte Atemwegsinfektionen gehören zu den häufigsten akuten Erkrankungen in der hausärztlichen Versorgung, und ein großer Teil wird antibiotisch behandelt“, sagt Professor Dr. Michael Moore von der University of Southampton. Eine Cochrane-Review zeigt, dass Patienten mit der Differenzialdiagnose Bronchitis kaum von diesen Arzneimitteln profitieren. Anderseits übersehen Ärzte bis zu zwei Drittel aller Pneumonien bei Patienten mit wenig ausgeprägten Symptomen. Dass auch diese Gruppe von Pneumonie-Patienten, mit wenig ausgeprägten Symptomen, von Antibiotika profitiert, fand Jolien Teepe vom University Medical Center Utrecht heraus. Sie hat 2.055 Patienten mit akutem Husten in eine randomisierte kontrollierte Studie aufgenommen. Von ihnen wurden 20 ausgeschlossen, da es keine Röntgenbilder von ausreichender Qualität gab. Radiologisch nachweisbare Lungenentzündungen waren in 56 von 1.885 Personen (3 Prozent) vorhanden. Sie wurden randomisiert zwei Gruppen mit Amoxicillin (n = 23) oder Placebo (n = 33) zugeordnet. Unter Verum besserten sich die Beschwerden signifikant rascher als unter der Scheinmedikation. Der Unterschied lag bei 5 versus 8 Tagen. Gerade zu Beginn der Erkrankung waren die Symptome auch weniger schwerwiegend, verglichen mit der Placebo-Gruppe. „Patienten mit radiologisch nachgewiesener, klinisch nicht auffälliger Lungenentzündung profitieren von einer Antibiotikabehandlung hinsichtlich der Symptomdauer und der Symptomschwere“, fasst Teepe zusammen. „Dies deutet darauf hin, dass es sich lohnt, selbst mildere und weniger eindeutige Fälle in der Primärversorgung zu erkennen.“
Moore bestreitet nicht, dass Antibiotika bei der klinischen Therapie von Pneumonien ihre Relevanz haben. Er befürchtet jedoch, dass Hausärzte schon bei trügerischen Anzeichen, die eher auf eine akute Bronchitis viralen Ursprungs hindeuten, ihren Rezeptblock zücken. Um Ärzten eine schnelle Entscheidung zu erleichtern, hat der Forscher knapp 29.000 Patientenakten inklusive 720 Röntgenuntersuchungen des Brustraums ausgewertet. In allen Fällen gab es Anhaltspunkte für Infektionen. Bei 115 Patienten bestätigte sich Pneumonie als richtige Diagnose. Zudem lagen umfangreiche Aufzeichnungen zu Vitalparametern vor. Antibiotika sollten demnach bei folgenden Warnsymptomen verordnet werden:
Sonal N. Shah interessiert sich für ähnliche Fragestellungen speziell bei Kindern. Sie arbeitet am Boston Children’s Hospital und an der Harvard Medical School Boston. Ihr Team hat 23 prospektive Kohortenstudien mit insgesamt 13.833 Kindern im Alter von einem Monat bis zu 21 Jahren ausgewertet. In allen Fällen gab es neben detaillierten klinischen Befunden ein Röntgenbild des Thorax. Obwohl kein einzelnes Symptom Pneumonien zuverlässig von anderen Atemwegserkrankungen unterscheidet, geben eine Hypoxie und eine erhöhte Atemarbeit mögliche Hinweise. Tachypnoen oder auskultatorische Befunde eignen sich weniger. Weder Moore noch Shah können mit ihren Kriterien eine Lungenentzündung zweifelsfrei ausschließen. Sie sehen den Mehrwert ihrer Screenings darin, Patienten mit niedrigem oder hohem Risiko rasch zu identifizieren, etwa in der hausärztlichen Praxis.