Fachlich genial, menschlich fatal – „Dr. House“ ist trotz seiner Misanthropie ein begnadeter Diagnostiker. Einen ähnlichen Job hat Prof. Dr. Jürgen Schäfer inne. Der „deutsche Dr. House“ diagnostiziert aber im Gegensatz zur Fernsehfigur mit dem nötigen Fingerspitzengefühl.
Seit Jahren behandelt Prof. Dr. Jürgen Schäfer nun schon Patienten, die andere längst aufgegeben haben. Menschen mit untypischen Krankheiten, die andere Ärzte nicht diagnostizieren konnten. Mit detektivischem Geschick versucht Schäfer, die Symptome aufzuklären und knifflige Fälle zu lösen. Für viele Patienten ist er die letzte Hoffnung. Als Wissenschaftler forschte er mehr als vier Jahre lang an den National Institutes of Health (NIH) in den USA, dem weltgrößten medizinischen Forschungsinstitut und hat eine beeindruckende Karriere hingelegt. Vor knapp einem Jahr wurde der Kardiologe, Internist, Endokrinologe und Intensivmediziner mit Herzblut Leiter des „Zentrums für unerkannte Krankheiten (ZuK)“ in Marburg. Dort hat er nun tagtäglich spannende Fälle zu lösen – ganz wie in der beliebten Fernsehserie „Dr. House“.
Berühmt wurde Schäfer allerdings durch eine andere geniale Idee. Er hielt seine Vorlesungen nach dem Vorbild der US-Serie und holte „Dr. House“ in den Hörsaal. Damit beigeisterte er nicht nur die Studenten, auch die Medien interessierten sich für sein Seminar „Dr. House revisited - oder: Hätten wir den Patienten in Marburg auch geheilt?“, in welchem er kurze Filmsequenzen aus der Fernsehreihe vorspielte und mit den Studenten analysierte. Schäfer erhielt sogar einen Preis für seine Lehrmethode und wurde mit dem Pulsus-Award zum Arzt des Jahres 2013 ausgezeichnet. Wir haben den „deutschen Dr. House“, wie er seither von den Medien genannt wird, interviewt. Prof. Dr. Jürgen Schäfer © Bild: Pressestelle der Philipps-Universität Marburg; Hr. H. Grassmann DocCheck: Herr Prof. Schäfer, warum wollten Sie damals Medizin studieren? Was hat sie an der Medizin begeistert? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Medizin war und ist ein extrem spannendes Gemisch von naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fächern, – mithin das Beste, was man sich wünschen kann, wenn man sich für beides interessiert. Ich war schon als Jugendlicher bei der Bergwacht im Rettungsdienst aktiv und so kam es, dass ich immer mehr wollte, als nur die verunfallten Skifahrer oder Bergsteiger ins Tal zu fahren. Zudem ist und bleibt Medizin nun mal das faszinierendste, vielseitigste und wichtigste Fach, das man sich vorstellen kann, – so gesehen habe ich den Entschluss auch nie bereut. DocCheck: Wie kamen Sie auf die Idee, für Ihre Studenten Vorlesungen nach dem Vorbild der Fernsehserie „Dr. House“ zu halten? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Meine Frau Isabel ist Gastroenterologin und wir haben uns regelmäßig die Serie „Dr. House“ angesehen. Am Schluss war es dann aber häufig so, dass wir uns nicht einig waren, ob es die gezeigten Krankheitsbilder in der Form wirklich gibt – was war Fakt und was Fiktion? So nach dem Motto: Kann man sich durch exzessiven Zahnhaftcreme-Gebrauch eine periphere Neuropathie zuziehen? (Antwort: Ja, bis vor kurzem konnte das durch den hohen Zink-Gehalt passieren) Gibt es eine Zecke, die, solange sie Blut saugt, ein lähmendes Gift sezerniert, das zur Atemlähmung führen kann? (Antwort: Ja, es gibt tatsächlich sogenannte „Zeckenlähmungen“ (tick paralysis), ausgelöst durch spezielle Zeckenarten aus Nordamerika und Australien, die zu Vergiftungsreaktionen führen können) Gibt es eine mit allergischem Schock verlaufende Allergie gegen Spermien? (Antwort: Auch das gibt es, zwar sehr selten, aber es kommt vor) Und vieles andere mehr. Wir suchten dann oftmals bis spät in die Nacht in unseren Fachbüchern, bei UpToDate oder gar Medline nach den beschriebenen Krankheitsbildern. Da dachte ich mir, dass, wenn sowas uns als altgediente Kliniker interessiert, es dann unsere Studenten noch mehr interessieren sollte. Zudem sprachen mich als bekennenden Dr. House-Fan immer wieder Studenten an, ob denn die am Vorabend gezeigte Episode stimmig gewesen sei. Alles in allem also gute Gründe davon auszugehen, dass solch ein Seminar nicht floppen würde. Und so war es dann auch. Extrem hilfreich war, dass meine Kollegen Andreas Jerrentrup (OA Pneumologie und Intensivmedizin) und Andreas Neubauer (Direktor der Onkologie und Hämatologie) von dieser Idee ebenso begeistert waren und mich recht bald bei diesem Seminar unterstützten. DocCheck: Was begeistert Sie so an der Figur des „Dr. House“? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Na ja, begeistern ist etwas übertrieben. Bei Dr. House gefällt mir die Spannung zwischen – gelinde gesagt – „menschlich schwierig“ und „fachlich genial“. Letztendlich bringt es die Serie auf den Punkt, dass bettkantensitzende, händchenhaltende Allesversteher vom Schlage eines Prof. Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik zwar nett sein mögen - fehlt aber die fachliche Kompetenz, dann werden sie unsere Patienten nicht gesund bekommen. Nett alleine reicht in der Medizin nun mal nicht aus und sollte ohnehin selbstverständlich sein. Wir müssen fachlich gut sein, um unseren Patienten helfen zu können. Oder wo würde man sich selbst wohl besser betreut fühlen: Bei einem freundlichen Prof. Brinkmann, der noch nicht einmal die Diagnose auf den Leichenschauschein richtig schreiben kann, oder bei einem miesepetrigen Dr. House, bei dem man gesund nach Hause kommt. Klar, am besten wäre ein Dr. Housemann. DocCheck: Was können Medizinstudenten von der Serie „Dr. House“ lernen? Können Studenten überhaupt etwas aus Arztserien lernen? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Renommierte Kommunikationswissenschaftler, wie zum Beispiel Peter Vorderer (Uni Mannheim) oder Louis Bosshart (Fribourg, Schweiz), gehen davon aus, dass man von anspruchsvollen Unterhaltungsformaten durchaus lernen kann. Es kommt natürlich auf die Qualität und Ausrichtung der TV-Serien an, – und darauf, was man daraus macht. So steckt in einer einzigen Dr. House-Episode genügend Stoff für ein Medizin-„Rare Diseases“-Seminar, ein Medizinethik-Seminar und auch ein Medizinrecht-Seminar. Allerdings muss ich sagen, dass ich – selbst mit viel Phantasie – beim besten Willen nicht wüsste, was ich meinen Studenten am Beispiel der „Schwarzwaldklinik“ beibringen könnte. DocCheck: Hätten Sie gedacht, dass Sie mit einem einzigen Seminar so viel Medienaufmerksamkeit bekommen würden? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Ich muss schon sagen, dass wir solch einen Medienrummel nie erwartet hätten. Andere nutzen Dr. House-Clips ja ebenso wie wir, wenngleich vielleicht nicht als komplettes Innere-Seminar für seltene Erkrankungen, und vor allem wohl auch nicht mit der Zustimmung der Rechteinhaber, die ich mir vor dem Seminar als ordentlicher Beamter des Landes Hessens einholte, um nicht gegen Copyright-Aspekte zu verstoßen. So erfuhr aber RTL von unseren Aktivitäten und darüber irgendwann auch die Presse. Unsere Universität hat zu keinem Zeitpunkt eine Pressemitteilung zu diesem Seminar herausgegeben, – dafür sind wir in Marburg viel zu bescheiden. Zudem ist es ja auch nur ein kleines, freiwilliges Seminar und keine nobelpreisverdächtige Entdeckung. Ganz ehrlich, solch eine Medienaufmerksamkeit hätten viele unserer Forscher mit wahnsinnig wichtigen Forschungsprojekten viel mehr verdient. Was mich aber am meisten an diesem ganzen „Dr. House“-Projekt beeindruckt, ist die Tatsache, dass dieses kleine Seminar zu Veränderungen unserer Versorgungsstrukturen durch Gründung eines eigenen Zentrums führte. Somit hat Hollywood letztendlich die Strukturen unserer fast 500 Jahre alten Universitätsklinik verändert und massive Versorgungsprobleme von Patienten mit unerkannten Krankheiten offengelegt. http://www.youtube.com/watch?v=UejzOkCWqWk DocCheck: Es geht ja um sehr seltene Krankheiten. Die meisten Studenten werden wohl nie damit konfrontiert werden. Wieso ist es dennoch wichtig, dass sie darüber lernen? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Zum einen ist es nun mal so, dass es dem Patienten egal ist, ob seine Krankheit selten oder häufig ist, – für ihn ist es nur wichtig, dass ihm geholfen wird. Soll heißen, nur weil etwas selten ist, ist es noch lange nicht unwichtig. Mehr noch, – seltene Erkrankungen sind definitionsgemäß ja Erkrankungen, die bei 2.000 Menschen nur 1 Mal vorkommen (also 5 pro 10.000). Da es aber insgesamt sage und schreibe 7.000 unterschiedliche seltene Erkrankungen gibt, ist die Gesamtzahl der von seltenen Erkrankungen Betroffenen sehr groß. Man geht von etwa 4 Millionen Menschen mit seltenen Erkrankungen alleine in Deutschland aus (was ja mehr als derzeitige FDP-Wähler ist). Insofern ist dies durchaus eine große Zahl von Betroffenen, um die wir uns kümmern müssen. Ziel unseres Seminars ist auch nicht das stupide Auswendiglernen von Syndromen, – die Zeiten sollten vorbei sein. Viel wichtiger für uns ist die Vermittlung von Lösungsstrategien. Es dreht sich darum, überhaupt erstmal Auffälligkeiten zu sehen, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie man den Fall gelöst bekommt. Unser Job ist es, die Studenten zu motivieren, vermehrt Datenbanken zu nutzen, wie Uptodate, Orphanet oder Medline u. v. a. m., um dann die richtige Fährte aufzunehmen. Im Seminar sollen die Studenten mitbekommen, wie erfahrene Kliniker, am Beispiel der Dr. House Fälle, komplexe Krankheitsbilder auflösen würden. Es sind somit eher Diagnosefindungsstrategien, die wir vermitteln wollen. Und die helfen uns in jeder unklaren Situation weiter, auch bei einer atypischen Blinddarmentzündung. Mit „nur seltenen“ Erkrankungen hat das nichts zu tun. Und schon klar, dass unsere Studenten am Ende ihres Studiums ein Herzinfarkt-EKG erkennen, – das setze ich voraus. Nur sollte deswegen kein Brugada-Syndrom und auch kein Long-QT-Syndrom übersehen werden. Diese Auffälligkeiten im EKG kriegen unsere Studenten in wenigen Minuten gelöst, wenn sie sich das EKG nur richtig ansehen. DocCheck: Aktuell sind Sie der Leiter des Zentrums für unerkannte Krankheiten (ZuK) in Marburg. Erleben Sie dort tatsächlich solche spannenden Fälle wie bei Dr. House? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Unser Zentrum wird seit seiner Gründung im Dezember 2013 von Patientenanfragen regelrecht überrannt und uns erreichen zwischen 20 bis 30 schriftliche Anfragen pro Tag. Hinzu kommen zahlreichen E-Mails und Anrufe. Mit solch einem Ansturm haben wir nicht gerechnet, was für unser kleines Zentrum eine enorme Belastung bedeutet. Es zeigt aber auch, dass wir hier in Deutschland ein Versorgungsproblem haben, – viele Menschen mit komplexen Erkrankungen finden einfach keine Anlaufstelle. In der Tat erreichen uns unglaublich bewegende und spannende Anfragen, die aufzuklären oftmals so spannend sind wie bei Dr. House (wenngleich in einer wesentlich angenehmeren Arbeitsatmosphäre). Das geht von häufigen, aber nicht erkannten Krankheiten wie Bilharziose oder Borreliose über scheinbar ausgestorbene Erkrankungen wie Skorbut und andere Hypovitaminosen bis hin zu solch ungewöhnlichen Syndromen wie dem CAP-Syndrom (Cryopyrin-assoziierte periodische Syndrome) oder familiär hyperkaliämisch, periodischen Lähmungen. DocCheck: Wie sieht ein normaler Tag für Sie aus? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Wir sind ganz normale Ärzte, nicht besser und nicht schlechter und mit Dr. House haben wir nicht wirklich viel zu tun. Daher ist unser Alltag nicht anders als der von anderen Ärzten an einer Universitätsklinik. DocCheck: Was muss man können, um seltenen Erkrankungen auf die Spur zu kommen? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Nichts, was man nicht als Arzt ohnehin können muss. Hilfreich ist es, wenn man Spaß am Lösen kniffliger Fälle hat, also eine Menge Neugierde und Begeisterungsfähigkeit mitbringt. Da aber auch wir – trotz aller Mühen – nicht alles aufgeklärt bekommen, bedarf es Ausdauer und Hartnäckigkeit und man darf sich nicht allzu schnell frustrieren lassen. DocCheck: Was war der spannendste Fall, den Sie bisher hatten? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Jeder Fall ist für sich genommen spannend, – das ist nun mal so in der Medizin, dass wir es mit Schicksalen zu tun haben, die für sich betrachtet alle einmalig sind. Sehr bewegt hat mich jedoch der Fall unseres Patienten mit einer schweren Kobaltvergiftung durch eine künstliche Hüftkopfprothese. Da kam ein Mann Mitte 50, der bislang weitestgehend gesund war, aber wenige Monate nach dem Wechsel einer zerborstenen Keramik-Hüftkopfprothese gegen eine Metallprothese blind, taub, hypothyreoid und herzschwach wurde. Mehr als eineinhalb Jahre wurde der Patient auf den Kopf gestellt. Dass alles mit der Hüftprothese zu tun haben könnte, konnte sich niemand so richtig vorstellen. Aber es war so. Durch einen erhöhten Kobaltabrieb aus der defekten Hüftkopfprothese wäre der Mann fast gestorben. Interessanterweise gab es einen ganz ähnlichen Fall bei einer Dr. House-Folge, die ich für den Unterricht genutzt hatte. Das machte für mich die Diagnosefindung recht einfach. Aber auch ohne Dr. House sollte man die Diagnose recht rasch finden können, – einfach indem man die Symptome in Google oder sonst eine Suchmaschine eintippt. Nachdem die Hüftprothese gewechselt wurde, besserte sich alles wieder und mittlerweile geht es dem Patienten relativ gut. DocCheck: Was ist das Wichtigste an Ihrer Arbeit? Was macht Ihnen am meisten Spaß? Prof. Dr. Jürgen Schäfer: Ganz wichtig ist, dass bei komplizierten Fällen sich ein Team von erfahrenen und engagierten Ärzten zusammenfindet, wie wir das bei unseren wöchentlichen ZuK-Sitzungen machen. Wenn junge, noch unerfahrene Kollegen dabei sind, kann das aber auch eine tolle Bereicherung sein, da diese Ideen mit einbringen, die den alten Hasen schon zu weit weg erscheinen mögen. Auch Allgemeinmediziner und Kollegen von der Psychosomatik sind für unser Team ganz wichtig. Dabei muss jeder bereit sein, sich ohne Profilierungssucht zum Wohle der Patienten zu engagieren, Ideen einzubringen, unterschiedliche Aspekte zu diskutieren und Lösungsansätze zu suchen. Solche Teamsitzungen sind die wahre Stärke unseres Zentrums, – denn neben allem High-Tech und Labor, das uns in einer Uniklinik zur Verfügung steht, am wichtigsten ist immer noch die ärztliche Einschätzung. Und klar, macht es am meisten Spaß, wenn wir eine wirklich „harte Nuss“ gelöst bekommen. Da ist Medizin manchmal spannender als ein Krimi. Für alle Studenten, die gerne mal die „Dr. House“-Folgen aus medizinischer Sicht analysiert bekommen wollen, hat Prof. Schäfer das Buch „Housemedizin“ verfasst.