Deutschlands Männer leiden. Bei ihnen sind Prostatakarzinome die häufigste Krebserkrankung und die dritthäufigste Krebstodesursache. Besonders problematisch: In frühen Stadien merken Betroffene nur wenig. Jetzt suchen Ärzte verstärkt nach Risikofaktoren und nach sinnvollen Therapien.
Prostatakarzinomen auf der Spur: Tests auf das prostataspezifische Antigen (PSA) werden flächendeckend angeboten – nicht ohne Kontroverse. Im Rahmen ihres 65. Kongresses hat sich die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) positioniert. Gemäß einer aktualisierten S3-Behandlungsleitlinie zum Prostatakarzinom sprechen sich Urologen gegen Massenscreenings aus. Vielmehr sollten Ärzte Männer ab 45 Jahren ausführlich über Früherkennungsuntersuchungen informieren, damit sich Patienten bewusst für oder gegen Tests entscheiden. Auch die American Urological Association (AUA) lehnt flächendeckende Untersuchungen gesunder Männer ab. Jetzt veröffentlichte Fritz Schröder von der Erasmus Universität in Rotterdam eine weitere Studie zum heiklen Thema. Er wertete Daten der European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) mit 162.388 Männern zwischen 50 und 74 Jahren aus. Alle Probanden wurden randomisiert einer Screening-Gruppe oder einer Kontrollgruppe zugeordnet. Ärzte führten ab PSA-Werten von 3,0 ng/ml eine Biopsie durch. Wie erwartet kam es zum Anstieg der Diagnosen (7.408 versus 6.107) und zu weniger Prostata-Ca-assoziierten Todesfällen (427 versus 610). Bei insgesamt 18.251 Todesfällen im Screeningarm und 21.992 in der Kontrollgruppe falle dieses Krebsleiden zahlenmäßig kaum ins Gewicht, schreibt Schröder. Es sei durch Massenuntersuchungen nicht gelungen, die Gesamtmortalität signifikant zu verringern.
In einem Kommentar zur Studie raten Ian M. Thompson von der Universität von Texas und Catherine M. Tangen vom Fred Hutchinson Cancer Research Center, PSA-Tests mit weiteren Risikofaktoren zu kombinieren. Bislang wissen Humangenetiker, dass es bei jedem zehnten Betroffenen eine Häufung von Prostata-Ca in der Familie gibt. Patienten sind besonders gefährdet, sollten Verwandte ersten Grades bereits vor dem 60. Lebensjahr erkranken. Um genauere Angaben machen zu können, haben Wissenschaftler eines internationalen Konsortiums Gene von 43.000 Männern mit Prostata-Ca untersucht. Zum Vergleich wurde eine ähnlich große Gruppe gesunder Studienteilnehmer herangezogen. Als Resultat ihrer genomweiten Assoziationsstudie identifizierten Forscher insgesamt 100 Risikogene. Je nach Muster erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, Prostatakrebs zu entwickeln, um das 2,9- bis 5,7-Fache. Eine weitere Untersuchung soll zeigen, welchen Einfluss entsprechende Muster auf die Prognose haben.
Damit nicht genug: Michael B. Cook vom National Cancer Institute, Bethesda, fand einen Risikofaktor der besonderen Art. Er wertete Daten von 39.070 Männern aus. Sie hatten an der Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial teilgenommen. Über Fragebögen brachte Cook ein nicht unwichtiges Detail in Erfahrung, nämlich möglichen Haarausfall. Zum Follow-up: Innerhalb von drei Jahren erfassten Ärzte 1.138 Krebserkrankungen der Prostata; 572 hatten Tumore mit einem Gleason-Score vom mindestens sieben, mit dem klinischen Stadium III oder waren sogar verstorben. Tatsächlich erkrankten Studienteilnehmer bis 45 Jahren mit kahlen Stellen am Hinterkopf oder mit Geheimratsecken zu 39 Prozent häufiger an aggressivem Prostatakrebs. Das zeige laut Cook die Möglichkeit gemeinsamer pathophysiologischer Mechanismen zwischen Tumoren und der androgenetischen Alopezie. Haarwurzeln sind überempfindlich gegen Dihydrotestosteron – und Testosteron beschleunigt das Wachstum von Prostatakarzinomen. Als Therapieoption kommt bei hochmalignen Karzinomen ein Androgenentzug infrage.
Dass Antiandrogene oder Kastrationen bei niedrigmalignen Varianten keinen Sinn machen, bewies Grace Lu-Yao vom Rutgers Cancer Institute in Brunswick. Basis ihrer Arbeit waren Daten von mehr als 66.000 Männern über 65 mit lokal begrenzten Prostatatumoren. Ärzte behandelten 22 bis 39 Prozent ihrer Patienten via Hormonentzug – vor allem bei schlechterer Prognose. Dazu gehörten höhere PSA-Werte, ein höherer Gleason-Score sowie Komorbiditäten. Regionale Präferenzen gab es ebenfalls. Um einen möglichen Mehrwert zu identifizieren, untersuchte Lu-Yao Gegenden, in denen Mediziner häufig beziehungsweise selten die Androgendeprivation einsetzten. Ihr Resultat: Litten Patienten unter moderat differenzierten Tumoren, betrug ihre Gesamtüberlebensrate nach 15 Jahren 20 versus 21 Prozent – kein signifikanter Unterschied. Selbst bei schlecht differenzierten Karzinomen ließ sich aus Daten der Kohorte kein Mehrwert für radikale Therapien ableiten. Als Gesamtüberlebensrate geben die Forscher hier 8,6 versus 9,2 Prozent an. Grace Lu-Yao rät deshalb, antiandrogene Behandlungsoptionen Patienten mit weit fortgeschrittenem Prostata-Ca vorzubehalten.