Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels fürchten Experten in den kommenden Jahrzehnten eine Alzheimer-Epidemie. Forscher fanden jetzt eine Möglichkeit Ablagerungen bei Erkrankten besser abbauen zu können. Lest hier mehr.
In Deutschland sind heute ca. 1,6 Mio. Menschen von einer Demenzerkrankung betroffen. Mit der Überalterung der Bevölkerung steigt die Zahl weiter an und wird Schätzungen zufolge im Jahr 2050 bei 2,8 Mio. liegen. Die Forschung arbeitet daher mit Hochdruck an unterschiedlichen kausalen Therapieansätzen. Das Zusammenspiel der Mechanismen, die letztendlich zur Neurodegeneration und zum kognitivem Abbau führen, ist äußerst komplex und bislang nicht vollständig aufgeklärt.
Eine zentrale Rolle bei Morbus Alzheimer spielen zerebrale Ablagerungen pathologischer Eiweißaggregate, die vor allem aus extrazellulärem Beta-Amyloid (Alzheimer-Plaques) und intrazellulärem hyperphosphoryliertem Tau-Protein (Alzheimer-Fibrillen) bestehen. Von Bedeutung ist auch das sogenannte glymphatische System, das im ZNS für die Entsorgung von zellulären Abfallprodukten zuständig ist und mit dem Liquorsystem in Verbindung steht. Stoffwechselprodukte bzw. lösliche Proteine werden auf diesem Wege aus dem Gehirn gespült. Ein Versagen bzw. eine Überlastung des Systems wird bei verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen diskutiert.
Um die zerebrale Clearance der Proteinablagerungen zu verbessern, werden unterschiedliche therapeutische Ansätze untersucht – so wurden bereits mehrere monoklonale Antikörper gegen Beta-Amyloid entwickelt. Ein anderer, molekulargenetischer Therapieansatz greift an dem pathologisch veränderten Tau-Protein an. Es handelt sich um ein sogenanntes Antisense-Oligonukleotid (ASO), das gezielt die Proteintranslation und somit die Tau-Entstehung verhindert. Das Tau-Protein wird durch das MAPT-Gen kodiert („microtubule-associated protein Tau“). Beim DNA-Ableseprozess im Zellkern wird immer zunächst mRNA gebildet, die als Matrize für die Proteinsynthese dient.
ASOs sind synthetisch hergestellte mRNA-Bausteine, die den Ablesevorgang des Gens bzw. bestimmter DNA-Sequenzen unterbrechen. In der Zeitschrift Nature Medicine erschien nun kürzlich eine „first-in-human“-Studie zur Hemmung der MAPT-Expression mit dem spezifischen Tau-Targeting-ASO MAPTRx in frühen Alzheimer-Stadien. Die Phase-Ib-Studie untersuchte Sicherheit, Wirkung und Pharmakokinetik von MAPTRx. 46 Teilnehmer erhielten doppelblind randomisiert eine intrathekale Bolusgabe (d. h. in den Liquorraum) von MAPTRx (n = 34) in steigender Dosis, oder Placebo (n = 12). Über 13 Wochen erhielt Gruppe 1 monatlich (an Tag 1, 29, 57 und 85) 10 mg MAPTRx (n = 6); Gruppe 2 monatlich 30 mg (n = 6); Gruppe 3 monatlich 60 mg (n = 9) und Gruppe 4 vierteljährlich (Tag 1 und 85) 115 mg (n = 13); gefolgt von einer Nachbeobachtungszeit von 23 Wochen.
Zum Wirkungsnachweis wurde regelmäßig das Gesamt-Tau in Liquorproben untersucht. Schwere unerwünschte Ereignisse gab es nicht; Nebenwirkungen (leichte/mittelgradige) wiesen 94 % der mit MAPTRx und 75 % der mit Placebo Behandelten auf. Die Liquor-Tau-Konzentration sank dosisabhängig ab, mit einer durchschnittlichen Absenkung (gegenüber dem Ausgangswert) um ≥50 % in den Gruppen mit 4x60 mg und 2x115 mg.
„Diesen Wirkungsnachweis anhand eines Surrogat-Parameters werten wir als positives Signal“, so Prof. Anja Schneider. „Nun müssen Phase-II- und -III-Studien folgen, die auch einen klinischen Wirksamkeitsnachweis erbringen.“
„Für die DGN stellt die Hirngesundheit ein besonders relevantes Thema dar. Wir unterstützen die Alzheimer-Forschung, erinnern aber gleichzeitig daran, dass die Möglichkeiten der Prophylaxe unbedingt ausgeschöpft werden müssen“, so Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Bis zu 40 % der Demenzerkrankungen könnten verhindert werden, wenn alle bekannten modifizierbaren Risikofaktoren minimiert würden. Die größte Bedeutung haben nach derzeitigem Wissen ein niedriger Bildungsstand, unbehandelte Schwerhörigkeit, Rauchen, Depression und fehlende Sozialkontakte, aber auch Bluthochdruck und Übergewicht im mittleren Lebensalter oder exzessiver Alkoholkonsum. Eine gesunde Lebensweise wirkt dagegen protektiv – einschließlich gesunder Ernährung und regelmäßiger mentaler, sportlicher sowie sozialer Aktivität.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V.. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Marie P, unsplash