Der erste Hype um Cannabis auf Rezept ist vorbei – von einzelnen Ausreißern abgesehen. Ärzte und Apotheker sind sich aber einig: Bei ausgewählten Indikationen kann die Medikation helfen. Eine neue Übersicht bewertet, bei welchen Beschwerden der Einsatz sinnvoll ist.
„Kiffen auf Staatskosten - Polizei in München muss Mann Joint erstatten“ – solche Schlagzeilen sind in den letzten Wochen selten geworden. Auch das anfängliche Interesse vieler Patienten an Cannabis als Medikament lässt langsam, aber sicher nach. „Das hat sich wieder relativiert“, sagte der Landesvorsitzende des Berufsverbands der Schmerztherapeuten, Ingo Palutke. Seiner Erfahrung nach habe sich herumgesprochen, dass cannabishaltige Arzneimittel nur für einen stark eingeschränkten Patientenkreis zugelassen seien und die Krankenkassen eine solche Behandlung deshalb häufig ablehnten. Palutke weiter: „Der Hausarzt besetzt die Schlüsselposition auf dem Behandlungspfad, da er erste Anlaufstelle ist und die Weichen für den weiteren Verlauf der Therapie stellt.“ Allerdings betreten viele Ärzte Neuland, das Wissen über den therapeutischen Nutzen von medizinischem Cannabis ist häufig unzureichend. Ihnen hilft eine kürzlich veröffentlichte Meta-Studie von Privatdozentin Dr. Eva Hoch, Forscherin am Klinikum der Universität München.
Zusammen mit Kollegen hat Hoch mehr als 2.100 wissenschaftliche Studien ausgewertet – und ist teilweise auf frustrierende Ergebnisse gestoßen. „In den letzten zehn Jahren ist vor allem ein deutlicher Anstieg der wissenschaftlichen Literatur zu vermerken, die sich mit den Risiken des Cannabiskonsums zu Rauschzwecken befasst“, berichtet Hoch. Beispielsweise gibt es klare Hinweise auf Einschränkungen bei der Gedächtnisleistung, der Aufmerksamkeit und der Psychomotorik – bis hin zu schlechteren Bildungserfolgen. An bestimmten Gehirnregionen mit vielen Cannabinoid-Rezeptoren wie der Amygdala und dem Hippocampus treten strukturelle Veränderungen auf, was entsprechende Beobachtungen erklären könnte. Die Forscherin kann anhand von Papers auch zeigen, dass unsere Atmung sowie das Herz-Kreislauf-System Schaden nehmen. Entgegen früheren Vermutungen gab es jedoch keinen Zusammenhang zwischen dem Cannabiskonsum und Krebserkrankungen im Bereich von Kopf, Hals oder Lunge. Mögliche Effekte stehen eher mit Tabak oder Alkohol in Zusammenhang. Allerdings fand die Wissenschaftlerin signifikante Assoziationen mit Hodenkrebs. Nicht zuletzt erhöhte sich durch Cannabis das Verkehrsunfallrisiko um den Faktor 1,25 bis 2,66. Unklar ist jedoch, welche Menge an aktiven Substanzen in den Körper gelangt ist oder ob zusätzlich Alkohol im Spiel war.
Im medizinischen Bereich fand Hoch vor allem Hinweise für einen Nutzen bei Übelkeit, Erbrechen oder Inappetenz. Davon profitieren beispielsweise Patienten mit Krebserkrankungen, speziell bei der Chemotherapie. Auch bei HIV/AIDS könnte Cannabis einen Mehrwert bieten. Deutlich schlechter war die Datenlage bei chronischen Schmerzen. Hier gab es nur Hinweise auf eine leichte Verringerung der Beschwerden. Meistens wurde Cannabis zusammen mit anderen Analgetika eingesetzt. „Die Daten sprechen derzeit eher nicht für eine substantielle Reduktion der Symptomatik“, fasst Hoch zusammen. Auch bei Patienten mit Spastiken aufgrund von Multipler Sklerose oder Paraplegie gebe es „subjektive, jedoch nicht ausreichend objektivierbare Hinweise für eine Besserung der Symptomatik“. Und bei gastrointestinalen, neuroinflammatorischen, neurologischen oder psychischen Erkrankungen fehlen eindeutige Hinweise.
Die Daten bieten eine Chance für Ärzte, Patienten auszuwählen, bei denen es zumindest eine gewisse Chance auf Therapieerfolge gibt. Bleibt als gute Nachricht zum Schluss: Zwar traten in den analysierten Studien Nebenwirkungen auf. Diese waren durchwegs leicht und nur vorübergehend. Alle beim unsachgemäßen Gebrauch genanten Effekte spielen therapeutisch eine untergeordnete Rolle.