Ein Stammkunde in der Apotheke kommt sein Dosett nicht holen, ich werde stutzig. Ein Telefonat später weiß ich: Er ist im Krankenhaus. Umso überraschter bin ich, als er plötzlich doch vor mir steht – und von seinen Plänen berichtet.
Wir richten für Patienten, die mehrere Medikamente täglich nehmen müssen und Mühe mit der Übersicht derselben haben, Wochendispenser her. Das sind nicht zwingend nur ältere Leute. Einer unserer Dosett-Kunden ist ein jüngerer Mann, auf dessen Medikation ich hier nicht eingehen will. Im Normallfall kommt er sein Dosett regelmäßig abholen und wir müssen nicht hinterhertelefonieren. Sehr zuverlässig. Immer freundlich. Auch darum gehört er für mich eher zur angenehmen Sorte Kunden.
Um so erstaunter bin ich, als ich am Dienstag merken muss, dass er das Dosett nicht wie gewohnt am Montag abgeholt hat. Also versuche ich, ihn zu erreichen. Wir haben seine Nummer, da geht das relativ gut. Er nimmt auch tatsächlich ab.
Pharmama: „Guten Tag, hier ist Pharmama von der Apotheke. Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass Sie bei uns das Dosett noch nicht abgeholt haben.“
Er: „Ah, ja – das werde ich in den nächsten Tagen auch nicht können, ich bin im Spital und werde das noch ein paar Tage sein.“
Au – Fettnapf. Aber ich konnte es ja nicht wissen. „Oh, das tut mir aber leid, zu hören, was ist denn passiert?“
Er: „Ich wurde zusammengeschlagen … “
Nein, das hört sich nicht gut an. Am nächsten Tag steht eben dieser Mann in der Apotheke vor mir. Allzu fit sieht er noch nicht aus.
Pharmama: „Äh, guten Tag, ich dachte, Sie wären noch ein paar Tage im Spital?“
Er: „Ja, ich wurde früher … ach was! Ich bin abgehauen. Ich wollte eigentlich nur Danke sagen für das Telefon gestern und dass ich meine Medikamente nicht mehr nehme und Sie brauchen sie darum auch nicht mehr zu richten. Dann habe ich da noch ein Hühnchen zu rupfen mit dem, der mich zusammengeschlagen hat! Dem werde ich’s jetzt zeigen!“
Sagt’s und marschiert auch schon wieder aus der Apotheke. Wir bleiben verdutzt zurück und auch ein bisschen hilflos. Was machen wir in so einer Situation? Im Prinzip hat er mir gerade erzählt, dass er eine Straftat begehen will. Aber er ist auch unser Kunde und untersteht als solcher dem Patientengeheimnis. Gut, ein Bruch der Schweigepflicht zum Beispiel durch die Verständigung der Polizei (ohne, dass mich der Patient von der Schweigepflicht entbindet!) kommt in Betracht – aber nur um zukünftige (schwere) Straftaten zu verhindern. Fällt so was schon da drunter?
Zuerst versuchen wir noch etwas anderes – sein Telefon. Besetzt, Mist. Nochmals. Er nimmt tatsächlich ab! Es folgt ein längeres Telefongespräch, das ich so nicht mehr genau wiedergeben kann, dazu war ich viel zu aufgeregt. Man denke sich aber folgende Grundthemen:
„Gewalt ist keine Lösung!“
„Sie brauchen wieder Ihre Medikamente und es ist absolut keine gute Idee, die abrupt abzusetzen!“
„Gehen Sie doch bitte, bitte wieder ins Spital zurück!“
Er zeigt sich einsichtig, aber noch nicht wirklich überzeugt. Und ich überlege immer noch, ob das reicht. Kurze Zeit darauf steht er wieder in der Apotheke:
Er: „Haben Sie die Polizei angerufen?“
Pharmama: „Nein, das habe ich nicht. Haben Sie sich überlegt, wieder ins Spital zurückzugehen?“
Er: „Ja, die haben auch schon angerufen. Sie haben mir gesagt, ich habe noch bis heute Abend 6 Uhr Zeit, ansonsten nehmen sie mich nicht mehr zurück.“
Er ging dann tatsächlich ohne Zwischenfall mit seinem Widersacher zurück ins Spital, wo er noch eine knappe Woche blieb. Und er kommt seitdem auch wieder seine Medikamente holen. Yay!
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