Weil Resistenzen immer weiter zunehmen, sucht die Medizin händeringend nach neuartigen Antibiotika. Schweizer Forscher stellen nun eine potenzielle neue Wirkstoffklasse vor – erste Ergebnisse sind vielversprechend.
Pro Jahr sterben weltweit mehr als fünf Millionen Menschen aufgrund von antibiotikaresistenten Bakterien. Um weiterhin die erfolgreiche Behandlung bakterieller Infektionen zu gewährleisten, braucht es deshalb so schnell wie möglich neuartige Wirkstoffe. „Unglücklicherweise ist die Pipeline für neue Antibiotika ziemlich leer“, sagt Chemiker Oliver Zerbe, Leiter des NMR-Labors der Universität Zürich. „Seit mehr als fünfzig Jahren sind keine Antibiotika gegen bisher nicht verwendete Zielmoleküle zugelassen worden.“
In einer vor kurzem publizierten Studie berichtet Zerbe nun über die Entwicklung einer neuen, hochwirksamen Antibiotika-Klasse, die Gram-negative Bakterien auf neuartige Weise bekämpft. Zu diesen besonders widerstandsfähigen Bakterien gehören beispielsweise Carbapenem-resistente Enterobakterien. An der Arbeit beteiligt waren neben dem UZH-Team auch Forscher der Pharmafirma Spexis AG im Rahmen einer durch Innosuisse mitfinanzierten Zusammenarbeit.
Ausgangspunkt für die Entwicklung der neuen Wirkstoffe war das natürlich vorkommende Eiweiß Thanatin, das Insekten zur Abwehr von Infektionen dient. Thanatin unterbricht eine wichtige Transportbrücke für eine essenzielle Lipid-Zuckerkomponente zwischen der inneren und äußeren Membran von Gram-negativen Bakterien, wie der inzwischen emeritierte UZH-Professor John Robinson vor einigen Jahren zeigen konnte. Dadurch stauen sich diese Stoffwechselprodukte im Zellinneren an und das Bakterium stirbt ab. Allerdings eignet sich Thanatin selbst nicht als Antibiotikum – unter anderem, weil es zu schwach wirkt und sich rasch Resistenzen dagegen bilden.
Die chemische Struktur von Thanatin wurde nun gezielt verändert, um dessen Eigenschaften zu verbessern. „Hierfür waren unsere Strukturuntersuchungen essenziell“, so Zerbe. Sein Team setzte die verschiedenen Komponenten des bakteriellen Transportwegs synthetisch zusammen und konnte dann durch Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) bildlich darstellen, wo und wie sich Thanatin anlagert und den Transport unterbricht. Anhand dieser Informationen planten Mitarbeiter der Spexis AG die chemischen Modifikationen, die notwendig waren, um eine stärkere antibakterielle Wirkung zu erzielen. Weitere Abwandlungen der ursprünglichen Struktur dienten unter anderem dazu, die Stabilität zu erhöhen.
Die synthetisch hergestellten Substanzen wurden dann in Mäusen mit bakteriellen Infektionen getestet – mit ausgezeichneten Resultaten. „Vor allem bei Lungeninfektionen erwiesen sich die neuartigen Antibiotika als sehr wirksam“, so Zerbe. „Insbesondere sind sie hocheffektiv bei Carbapenem-resistenten Enterobakterien, gegen die fast alle erhältlichen Antibiotika machtlos sind.“ Zudem waren die Wirkstoffe nicht toxisch, fügten den Nieren keinen Schaden zu und blieben im Blut über lange Zeit stabil – alles Eigenschaften, die Voraussetzung für eine Zulassung als Medikament sind. In Zukunft stehen aber noch weitere präklinische Untersuchungen an.
Bei der Auswahl der vielversprechendsten Wirkstoffkandidaten stellten die Forscher zudem sicher, dass diese auch gegen Bakterien wirken, die bereits eine Resistenz gegenüber Thanatin entwickelt haben. „Wir sind zuversichtlich, dass dies die Ausbildung von zukünftigen Resistenzen maßgeblich verlangsamen wird“, sagt Zerbe. „Jetzt besteht die Aussicht, dass bald eine neue Klasse von Antibiotika auf den Markt kommt, welche auch gegen resistente Bakterien wirksam ist.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Universität Zürich. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Frederick Marschall, unsplash