Denken intelligente Menschen schneller? Forscher haben das Problemlöseverhalten unterschiedlicher Menschen verglichen und konnten zeigen, dass intelligentere Hirne sich sogar mehr Zeit für Entscheidungen lassen.
Im menschlichen Gehirn befinden sich 100 Milliarden Nervenzellen. Jede einzelne von ihnen hat geschätzt 1000 Kontakte zu benachbarten oder weiter entfernt liegenden Nervenzellen. Dieses unfassbare Netzwerk ist es, das die Leistungsfähigkeit des Gehirns ausmacht – und das es gleichzeitig so kompliziert macht, seine Arbeitsweise zu verstehen. Prof. Petra Ritter von Charité Berlin simuliert das menschliche Gehirn am Computer. „Wir wollen verstehen, wie das Gehirn Entscheidungen fällt, und warum sie bei verschiedenen Personen unterschiedlich ausfallen“, beschreibt sie ihre Arbeit.
Um die Vorgänge im menschlichen Gehirn zu simulieren, nutzen Prof. Ritter und ihr Team digitale Daten aus MRT-Untersuchungen und theoretisches Wissen über biologische Prozesse in Form mathematischer Modelle. Aus zunächst allgemeinen Modellen entwickelten Ritter und ihr Team dann mithilfe von individuellen Messwerten personalisierte Gehirnmodelle. In einer aktuellen Studie werteten die Wissenschaftler nun Daten von 650 Teilnehmern aus, die zuvor umfangreiche kognitive Tests zur Feststellung des IQ-Werts absolvierten.
„Wir können sehr effizient die Aktvität individueller Gehirne reproduzieren“, sagt Petra Ritter. „Dabei haben wir festgestellt, dass sich diese in silico Gehirne unterschiedlich verhalten – und zwar so wie ihre biologischen Counterparts. Unsere virtuellen Avatare spiegeln die Leistungsfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit der biologischen Pendants wider.“
Auffällig war, dass die langsameren Gehirne sowohl im lebenden Menschen als auch im Modell stärker synchronisiert, also zeitlich aufeinander abgestimmt waren. Diese stärkere Synchronisierung ermöglichte es Nervenschaltkreisen im Frontallappen, Entscheidungen länger hinauszuzögern als Gehirne, die weniger gut koordniert waren. In den Modellen wurde sichtbar, wie eine verringerte zeitliche Koordination dazu führt, dass die zur Entscheidungsfindung benötigten Informationen nicht rechtzeitig verfügbar gemacht oder im Arbeitsgedächtnis vorgehalten werden können.
Aufnahmen im Ruhezustand zeigten, dass langsamere Testpersonen eine höhere funktionelle Konnektivität, also zeitliche Abstimmung zwischen ihren Gehirnregionen aufwiesen. In personalisierten Gehirnsimulationen der 650 Teilnehmer konnten die Forscher ermitteln, dass Gehirne mit verringerter funktioneller Konnektivität bei Entscheidungen voreilige Schlüssen ziehen, anstatt abzuwarten, bis vorgeschaltete Gehirnregionen die benötigten Verarbeitungsschritte zur Problemlösung beenden konnten.
Die Teilnehmer sollten logische Regeln in einer Serie von präsentierten Mustern erkennen, die mit jeder Aufgabe komplexer wurden und somit schwieriger zu erkennen. Übertragen auf eine Alltagssituation wäre eine leichte Aufgabe der schnelle Tritt auf die Bremse an einer roten Ampel, während eine schwere Aufgabe das langsame Erarbeiten einer Route auf einer Straßenkarte wäre. Im Modell findet eine Art Wettlauf zwischen verschiedenen an einer Entscheidung beteiligten Nervengruppen statt, wobei sich die Nervengruppen durchsetzen, für die deutlichere Beweise vorliegen. Im Falle komplexer Entscheidungen sind solche Beweise zur Entscheidungsfindung oft nicht eindeutig genug, wodurch beteiligte Nervengruppen regelrecht gezwungen werden, voreilige Schlüsse zu ziehen.
„Die Synchronisation – also das Bilden funktionaler Netzwerke im Gehirn – verändert die Eigenschaften des Arbeitsgedächtnisses und somit auch die Fähigkeit, längere Zeit ohne Entscheidung auszuhalten“, erklärt Erstautor Michael Schirner. „Bei komplizierteren Aufgaben muss man Dinge im Arbeitsgedächtnis behalten, während man weitere Lösungen sucht, und diese dann miteinander in Einklang bringt. Dieses Sammeln von Beweisen für eine bestimmte Lösung dauert manchmal länger – führt dann aber auch zu besseren Ergebnissen“, so Schirner weiter. „Wir konnten mit dem Modell zeigen, wie die Balance zwischen Anregung und Hemmung auf der groben Ebene des gesamten Gehirnnetzwerks die Entscheidungsfindung und das Arbeitsgedächtnis auf der feinen Ebene einzelner Nervengruppen beeinflusst.“
Intelligente Gehirne nehmen sich mehr Zeit für schwierige Aufgaben. Credit: BIH, Petra Ritter.„Es ist die richtige Balance aus Anregung und Hemmung zwischen den Nervenzellen, die Entscheidungen beeinflussen und damit einen Menschen mehr oder weniger befähigen, Probleme zu lösen“, erklärt Petra Ritter.
Dass die beobachteten Ergebnisse an den Avataren so gut mit den Ergebnissen der echten Probanden übereinstimmen, könnte die Behandlungsplanung für Patienten neurodegenerativer Erkrankungen optimieren: „So kann der Arzt bereits durch eine Comutersimulation abschätzen, welcher Eingriff oder welches Medikament für einen bestimmten Patienten oder eine bestimmte Patientin am besten wirken könnte und die geringsten Nebenwirkungen hätte“, sagt Prof. Ritter.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Ali Haijan, unsplash.