Eure Patienten nehmen ihre Statine nicht? Das könnte daran liegen, dass sie sich auf Social Media informieren statt bei euch. Was ihr dagegen tun könnt, lest ihr hier.
Warum zwickt die Hüfte, warum schmerzt das Knie – oder warum rast das Herz? In Deutschland googelt jeder zweite Patient vor dem Arztbesuch seine Symptome – das haben Umfragen des Branchenverbands Bitkom gezeigt. 14 Prozent wollen regelmäßig Rat von Dr. Google; Frauen tendenziell häufiger als Männer.
Quelle: Bitkom
Was diese Zahlen jedoch verschweigen: Auch nach dem Termin in der Praxis recherchieren Erkrankte weiter und beenden im schlimmsten Fall eigenmächtig ihre Therapie. Wissenschaftler gingen der Sache jetzt anhand von Reddit nach. In dieser Social-Media-Plattform und Online-Community können User Inhalte selbst einstellen, teilen, diskutieren und bewerten.
Die Forscher haben sich speziell mit Statinen befasst. Sie gehören in vielen Ländern zu den am häufigsten verordneten Präparaten. Sie senken die Morbidität und Mortalität bei Patienten mit atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zahlreiche Studien untermauern die Evidenz, und Leitlinien empfehlen den Einsatz. Allerdings ist die Therapietreue oft niedrig, speziell bei Menschen ohne Beschwerden.
Woran das liegt? Manche Patienten sind vergesslich, andere haben die Einnahmeroutinen nicht verstanden, sehen den Sinn der Therapie nicht ein, fürchten Nebenwirkungen oder haben einfach keine Motivation. Neue Studien zeigen, dass auch Social Media eine große Rolle spielen.
Dazu untersuchten Forscher Einträge auf Reddit mit Tools der künstlichen Intelligenz. Anhand der Suchbegriffe „Statin“ und „Cholesterin“ fanden Algorithmen 19 Communities mit insgesamt 10.233 Postings von 5.188 Autoren.
Posting (Ausschnitt) zu Statinen im Subreddit „keto“. Screenshot: DocCheck
Die meisten Kommentare und Beiträge wurden bei der Suche nach dem Wort „Statin“ gefunden (74,0 %). „Lipitor“ (12,7%) und „Atorvastatin“ (4,2%) waren die zweit- und dritthäufigsten Suchbegriffe, gefolgt von „Crestor“ (3,8%), „Simvastatin“ (1,8%) und „Rosuvastatin“ (1,7%).
Im Datensatz identifizierte der Algorithmus 100 Diskussionsthemen. Oft ging es um erhöhte Low-Density-Lipoprotein-Cholesterinwerte während einer ketogenen Diät oder um die Frage nach eigenen Erfahrungen zur Wirkung und zu Nebenwirkungen von Statinen.
Weitere Themen waren Statin-Studien und mögliche Verzerrungen der Ergebnisse durch die Industrie, Alternativen zur Pharmakotherapie wie eine Umstellung der Ernährung, Supplemente oder roter Reis, das Zusammenspiel zwischen koronaren Kalzium-Scores und der Rolle von Statinen und viele mehr.
Die Stimmungsanalyse von Beiträgen und Diskussionen in sozialen Medien über Statine ergab eine überwiegend neutrale bis negative Stimmung, aber kaum positive Tonalitäten. Frühere Arbeiten haben gezeigt, dass schlechte Publicity über Statine die Therapietreue von Patienten beeinträchtigen kann. Genau das befürchten die Autoren der Studie auch hier.
Es geht jedoch um mehr als nur um den negative Duktus. Viele der Postings enthielten auch falsche Informationen zu Statinen. Als Beispiele nennen die Autoren Zweifel am Mechanismus, dass LDL-C in einem kausalen Zusammenhang mit Herzerkrankungen steht: „Ich denke, LDL ist ziemlich irrelevant. HDL und Ihre Triglyceride sind viel wichtiger.“
Weiter ging es mit vermeintlichen Alternativen zu Statinen: „Roter Hefereis ist im Grunde ein Statin“, oder „Statine sind eigentlich Mykotoxine und verbrauchen fettlösliche Nährstoffe wie Q10, Vitamin D, K, A und E und verschlechtern die kardiovaskuläre Gesundheit“, war zu lesen.
„Solche auf Social-Media-Plattformen geposteten Fehleinschätzungen können den Nährboden für die Verbreitung von Fehlinformationen bilden“, kritisieren die Autoren der Studie. Vor allem problematisch sei, dass Reddit leicht zugänglich ist und Inhalte von Suchmaschinen gut erschlossen würden.
Dabei geht es nicht nur bei Reddit heiß her. Analysen von Twitter-Postings bestätigen den Trend. Für eine Untersuchung haben Forscher 11.852 Twitter-Posts über acht Statine inhaltlich analysiert, nämlich Atorvastatin, Rosuvastatin, Pitavastatin, Simvastatin, Pravastatin, Lovastatin, Fluvastatin und Cerivastatin.
Von allen 11.852 Twitter-Posts über Statine hatten 5.201 (43,9%) einen konkreten Bezug zur Gesundheit. Am häufigsten ging es um Informationen über neue Veröffentlichungen, etwa Links zu Artikeln (35,1%). Dann folgten persönliche Meinungen zu Statinen (21,1 %), Posts zu unerwünschten Ereignissen (6,8%), Diskussionen über die Dosierung (6,2%) und Fragen zu Statinen an die Community (3,7%).
Meinungsbeiträge seien oft extrem polarisierend – mit einer Bandbreite von „lebensrettend“ bis „tödlich“, heißt es in der Studie. Informationen zum Lebensstil oder zur Tatsache, dass Statine Folgen einer ungesunden Ernährung abschwächen, fehlten weitgehend.
Bleibt als Fazit: Patienten googeln nicht nur vor dem Praxisbesuch. Auch danach informieren sie sich – und stoßen auf dubiose Postings in Social Media.
Ärzte sollten Patienten besser direkt erklären, dass nicht alle Informationen in sozialen Medien verlässlich oder wissenschaftlich fundiert sind. Wichtig ist aber auch, Menschen laiengerechte, valide Quellen an die Hand zu geben: beispielsweise gesund.bund.de, ein Portal des Bundesministeriums für Gesundheit.
Hattet ihr auch schon Patienten, die sich anhand dubioser Quellen informiert und ihre Pharmakotherapie abgebrochen haben? Schreibt es in die Kommentare!
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