Es braucht nicht immer verschreibungspflichtige Medikamente – Ruhe und Hausmittel reichen manchmal auch. Oder bin ich der Einzige, der das so sieht?
In einem System, in dem alle etwas verkaufen und Patienten so schnell wie möglich gesundgespritzt werden wollen, gilt es manchmal, innezuhalten und sich auf die ärztliche Grundtugend der sprechenden Medizin zu konzentrieren.
Mutter: „Ich habe mir diesen Hustensaft in der Apotheke besorgt. Nun brauche ich noch ein Rezept.“
Ich: „Tut mir leid, aber wir empfehlen keine Hustensäfte, vor allem keine Schleimlöser wie diesen.“
Mutter: „Ich habe bei meiner Kasse angerufen, die übernehmen das.“
Ich: „Na, das ist doch kulant von der Kasse.“
Mutter: „Ja, dafür brauche ich das Rezept.“
Ich: „Aber ich dachte, Ihre Kasse übernimmt die Kosten für den Saft?“
Mutter: „Die Mitarbeiterin bei der Kasse hat gesagt, dass sie gerne alle Medikamente übernimmt. Und der Arzt muss mir dafür ein Rezept rausschreiben. Dann übernehmen sie das auch.“
Ich: „Die Krankenkassen haben immer die Möglichkeit einer individuellen Kostenerstattung, machen sie bei Osteopathie oder Glaubuli ja auch. Ein Rezept bedeutet, dass ich durch meine Unterschrift bestätige, dass der Schleimlöser wirkt und Ihrem Kind hilft.“
Mutter: „Ach so, verstehe. Ihr Rezept ist wie eine Empfehlung. Und weil Sie es nicht empfehlen, können Sie kein Rezept ausschreiben.“
Ich: „Richtig. Genauso ist es.“
Ich würde mir mehr Ehrlichkeit von allen Beteiligten wünschen: von den Apotheken, die natürlich auch ihre Hustensäfte (oder Glaubuli, Salben, Vitaminpräparate oder Pflaster für den Darm) verkaufen wollen und von den Krankenkassen, die sich hinter dem Argument verstecken, „wenn der Arzt das rezeptiert, bezahlen wir auch“, statt einfach so die Kosten zu erstatten, wenn sie den Patienten Gutes tun wollen (nämlich Geld erstatten).
Die einzig Ehrlichen sind die Patienten bzw. die Eltern, die nicht verstehen, warum sie freiverkäufliche Präparate (aus der Apotheke) selbst bezahlen müssen. Schließlich kommen sie ja aus der Apotheke, sind von medizinischem Personal (= Apotheke) empfohlen (= verkauft) worden. Außerdem zahle man schon genug Krankenkassenbeiträge.
Wenn ich ablehne, Medis ohne Evidenz zu rezeptieren, weil es eben keine Evidenz gibt, sei ich unfair und wolle nur mein Budget schonen. Spoiler dazu: In 20 Jahren hatte ich nun keine Probleme damit. Im schlimmsten Fall möchte ich Patienten vergraulen – wurde mir auch schon unterstellt.
Ärzte sollten medizin-, evidenz- und damit patientenorientiert arbeiten, ohne Blick auf Kosten bei sich, der Krankenkasse oder den Patienten. Deshalb dürfen sie auch keine Medikamente aus der Praxis abgeben (= verkaufen), wie das z. B. Tierärzte machen. Und sie unterliegen der Orientierung der Wirtschaftlichkeit: ausreichend (= passend und evidenzorientiert), zweckmäßig (= dem Behandlungsziel dienlich), wirtschaftlich (= effektiv und effizient) und notwendig (= objektiv erforderlich).
Das kann eben auch bedeuten: Manchmal nichts verordnen, sondern Hausmittel oder schlicht Abwarten zu empfehlen. Dies müssen wir Ärzte aber gut kommunizieren, indem wir aufklären, lehren, erklären. Also: reden, reden, reden. Bei unzureichend wertgeschätzter sprechender Medizin ist das ein täglicher Zeit- und Ressourcenkampf.
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