Mittels der Magnetenzephalographie (MEG) wurden an der Uniklinik Tübingen Geschlechtsunterschiede bei der Wahrnehmung von Körpersprache untersucht. Das Ergebnis: Männer und Frauen nutzen unterschiedliche Gehirnareale und Strategien, um Körpersprache zu erkennen.
Die Mehrzahl neurologischer Entwicklungsstörungen sowie psychiatrischer und psychosomatischer Erkrankungen, bei denen auch die nonverbale Wahrnehmung und Kommunikation beeinträchtigt sind (wie Autismus, ADHS, Schizophrenie, Depression, Angst- und Essstörungen), betrifft die Geschlechter in unterschiedlichem Ausmaß und Verhältnis. Ohne die zugrunde liegenden neurobiologischen Geschlechtsunterschiede zu verstehen, ist aber eine personalisierte Medizin undenkbar.
Unter Federführung von Prof. Dr. Marina A. Pavlova, Abteilung für Biomedizinische Magnetresonanz am Universitätsklinikum Tübingen, wurden Geschlechtsunterschiede nun differenziert erforscht. In einer ersten Untersuchung sollten gesunde Versuchsteilnehmer erkennen, ob eine an der Tür klopfende Person fröhlich, neutral oder wütend gestimmt war. In der zweiten Studie wurden Emotionen gehender Menschen beurteilt. In beiden Fällen waren Männer beim Erkennen fröhlicher Körpersprache besser als Frauen, Frauen wiederum bei wütenden Bewegungen. Insbesondere konnte gezeigt werden, dass Männer fröhlich gehende Frauen am besten erkennen. Mit Hilfe der Magnetenzephalographie konnte bei Frauen eine frühere und höhere Aktivität über dem rechten Temporallappen nachgewiesen werden, einer Gehirnregion, in der die neuronalen Netzwerke für Bewegungswahrnehmung und Erkennen emotionaler Körpersprache überlappen.
Bei Männern wird eine spätere Gehirnaktivität über dem Frontalhirn aufgezeichnet, dort, wo sozial relevante Entscheidungen getroffen werden. Es scheint, dass die Gehirne beider Geschlechter sich unterschiedlicher spezifischer Strategien zum Lesen von Körpersprache bedienen. Trotz neurobiologischer Unterschiede kann das beobachtete Verhalten beider Geschlechter ähnlich sein. Die unterschiedliche Gehirnaktivität kann sogar als Anpassungsstrategie gesehen werden. Um eine angepasste soziale Reaktion zu zeigen, könnten Männer eher auf Entscheidungsebene zurückgreifen, während bei Frauen reine visuelle Wahrnehmungsprozesse im Vordergrund stehen könnten. Dennoch können solche Mechanismen oder deren Ausfall der geschlechtsunterschiedlichen Prädisposition für bestimmte neuropsychiatrische Erkrankungen zugrunde liegen.
Die weit verbreitete Annahme, dass Frauen generell nonverbale Signale besser verstehen, konnte also nicht bestätigt werden. Geschlechtsunterschiede beim Verstehen von Körpersprache gibt es aber durchaus, und zwar abhängig von der Art der Emotion: Männer erkennen besser fröhliche, Frauen wütende Körpersignale. Originalpublikation: Sex Differences in the Neuromagnetic Cortical Response to Biological Motion Marina A. Pavlova et al.; Cerebral CORTEX, doi: 10.1093/cercor/bhu175; 2014