Warum man beim Kaninchen nicht um Zähne herumkommt, wann Schildkröten ihr Ei nicht legen können und wieso Alter auch beim Hund keine Krankheit ist, lest ihr hier.
Letztes Wochenende war es wieder so weit: Mehr als 2.000 Teilnehmer besuchten den Veterinärkongress Deutsche VET in Dortmund. Deutsche und internationale Referenten stellten ihre neuesten Forschungsergebnisse und praktische Learnings aus ihren Spezialgebieten vor. Wir waren vor Ort und haben ein paar Vorträge für euch zusammengefasst. Zu Teil 1 kommt ihr hier.
Am Samstag gab Dr. Maximilian Reuschel von der Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel eine Übersicht zu diesen in der Tierarztpraxis immer häufiger werdenden Patienten. Der Anspruch an die medizinische Versorgung von Kaninchen, Meerschweinchen, Vögeln und Reptilien ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Da es leider immer noch regelmäßig zu Fehleinschätzungen und Fehltherapien bei den relativ exotischen Tierarten kommt, hat der Experte ein paar Do´s and Don´ts für Praktiker zusammengefasst.
Bei Kleinsäugern sollte man als Tierarzt bei Symptomen am Kopf als erstes an Zahnpathologien denken, so Reuschel. Da alle Zähne der herbivoren Tiere wurzeloffen (elodont) sind, wachsen sie ein Leben lang. Um einen regelmäßigen natürlichen Abrieb zu gewährleisten, sollte der Tierarzt sichergehen, dass er die Besitzer über den Nutzen von strukturreicher, heubasierter Ernährung aufklärt. Bei Hamstern, Rennmäusen oder Ratten kommt es seltener zu Zahnproblemen, denn bei ihnen sind nur die Schneidezähne wurzeloffen.
Wichtig ist bei der Adspektion der Mundhöhle, dass der Tierarzt artspezifische Besonderheiten des Gebisses im Hinterkopf hat. So sollten physiologische Schmelzspitzen beim Kaninchen nicht als pathologisch angesehen und die physiologische Winkelung der Okklusionsfläche beim Meerschweinchen bei einer Zahnbehandlung niemals begradigt werden.
Auch betonte der Heimtierspezialist, dass das Knipsen der Zähne und das Einsetzen von Maulspreizern am wachen Tier aufgrund des hohen Verletzungsrisikos unbedingt zu vermeiden sind. Okklusionskorrekturen sollten – wie Zahnextraktionen oder Abszesssanierungen – in jedem Fall in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Für eine reine Zahnkorrektur reiche oftmals Isofluran, da die Behandlung im Regelfall schmerzlos ist. Zahnpatienten sollten außerdem alle 4–6 Wochen zur Kontrolle beim Tierarzt vorstellig werden.
Bei Reptilien und Vögeln seien Eiablage- und Legedarmprobleme häufige Vorstellungsgründe, so der Experte. Wie auch bei Kleinsäugern sei es hier besonders wichtig, eine ausführliche Haltungs- und Ernährungsanamnese durchzuführen. Oft würden geeignete Eiablagemöglichkeiten fehlen oder Vögel würden durch ein Nest oder eine Bruthöhle gar zur Eiablage angeregt. Für die Produktion der Eischale benötigen die Tiere hohe Mengen an Kalzium, die oft über die Fütterung nicht im ausreichenden Maße zugeführt würden. Fehlende Ablagemöglichkeiten, kombiniert mit einem Kalziummangel, würden dann oftmals zum medizinischen Notfall führen. Beim Vogel sollte man bei einer Legenot keinesfalls das ggf. schon vorhandene Gelege entfernen, sondern die Eier abkochen oder austauschen, da sonst die Eiproduktion weiter angeregt wird. Die Tiere sollten vom Tierarzt mit Infusionen und Kalziumgabe zunächst an einem ruhigen Ort stabilisiert werden, da ihr Kreislauf meist stark beeinträchtigt ist. Unter Umständen kann die Eiablage, sowohl bei Vögeln als auch bei Reptilien, mit Oxytocin induziert werden.
Der Experte betont: „Auch Eier, die sehr groß aussehen, können oftmals noch gelegt werden, da die Eischale noch weich ist.“ Eine Ausnahme bildet hier die Schlange, bei der Oxytocin keine Wirkung zeigt. Auch ein Suprelorin-Chip kann bei Vögeln zum Einsatz kommen. Besonders bei Hühnern müssen außerdem fehlgebildete Eier, wie Schichteier, in Betracht gezogen werden. Diese sind im Röntgenbild meist nicht gut zu erkennen, da sie keine ausreichend mineralisierte Eischale enthalten. Eine Kontrastmittelpassage oder Sonografie können hier bei der Diagnostik helfen. Bei Schildkröten können Eier außerdem fälschlicherweise im Harnsack landen – eine natürliche Eiablage ist dann unmöglich.
Ein weiterer Punkt, der Reuschel am Herzen liegt: Vor einer Winterstarre sollte dringend ein tierärztlicher Gesundheitscheck empfohlen werden. Hier sollte der Tierarzt eine Kotuntersuchung auf Parasitosen und gegebenenfalls eine Blutuntersuchung durchführen. Ein Parasitenbefall während der Winterstarre kann zur Endotoxämie führen und bei Tieren, die organisch vorerkrankt sind, kann es zu Komplikationen wie zu frühem Erwachen, hohem Gewichtsverlust oder Sepsis kommen – im schlimmsten Fall versterben sie daran.
Zwischendurch erklärt Parasitologe Nikola Pantchev von der Firma IDEXX in einem spannenden Vortrag, warum der optimale Zeitpunkt für die Behandlungskontrolle einer Giardien-Infektion stets nach 4–5 Tagen ist, „tote Giardien“ nicht zu einem positiven Test führen können und dass man bei einem positiven Befund nach 7–10 Tagen bereits an eine Reinfektion denken solle. Auch äußerte sich Pantchev positiv zur aktuellen Überarbeitung der ESCCAP Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Prävention von Giardien.
Anästhesistin und Oberärztin Dr. Eva Müller referiert wenig später darüber, warum ihr das perioperative Wärmemanagement von Patienten ein besonderes Anliegen ist. Viele Tierärzte würden das Thema Hypothermie im Zusammenhang mit Narkosen nicht ernst nehmen. Egal ob Dogge oder Chihuahua – jeder Patient müsse vor einem relevanten Temperaturverlust geschützt werden, sei es mithilfe von Decken, erwärmten Infusionen, Heizkissen, Wärmelampen oder einer Warmluftdecke – die laut Müller effektivste Methode. „Wenn Sie nichts anderes haben, tut es auch eine Rettungsdecke – aber achten Sie hier darauf, dass sie die richtige Seite verwenden.“ Sie zeigt Bilder von schlimmen Verbrennungen aufgrund von Heizkissen und spricht sich für eine erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema aus. Erfasse man die Körperkerntemperatur vor, während und nach einem Eingriff konsequent, ließen sich nicht nur verlängerte Aufwachphasen, sondern auch Wundheilungsstörungen verhindern.
Am Nachmittag erklärte der Mitorganisator des Kongresses und Direktor der Klinik für Kleintiere in Hannover, Prof. Holger Volk, in einem unterhaltsamen Vortrag, dass Alter keine Krankheit sein müsse – auch nicht beim Hund. Der interaktiv geplante Vortrag musste zwar aufgrund von Internetproblemen eher frontal gehalten werden, das tat der Aufmerksamkeit der Zuhörer aber keinen Abbruch. Wie wir Menschen werden auch unsere Haustiere immer älter. Ob sie selbst ihr Alter spüren, weiß wohl niemand. „Ich habe mich ja sehr lange wie 18 gefühlt“, erklärt der dynamische End-Vierziger, während er Bilder von sich mit stetig ergrauendem Haupthaar an die Leinwand wirft. „Mittlerweile fühle ich mich eher wie 22.“ Der Saal lacht.
Jeder dritte Hund im Alter von 12 Jahren und mehr als jeder zweite Hund im Alter von 15 Jahren sei vom kognitiven Dysfunktionssyndom betroffen (lest hier mehr dazu). Bei Katzen zwischen 16 und 19 Jahren würden Halter bei 9 von 10 Tieren von entsprechenden Symptomen berichten. Das kognitive Dysfunktionssyndrom sei jedoch von physiologischen Alterserscheinungen abzugrenzen und müsse als Erkrankung ernst genommen werden, so Volk. Die Beeinträchtigungen würden ausgelöst durch Veränderungen im Gehirnstoffwechsel, den Botenstoff-Leveln, Gefäßveränderungen, Entzündungen und Ablagerungen bestimmter Eiweiße im Gehirn. Eine verminderte Interaktion mit den Haltern, ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus, Angststörungen, Verlernen von Kommandos oder Drangwandern seien die Symptome. Katzen zeigten oftmals eine gesteigerte Vokalisation. Eine idiopatische Epilepsie begünstige außerdem die Entstehung einer Demenz.
Prophylaktisch empfiehlt Volk eine angepasste Ernährung mit Ergänzungsmitteln für den Gehirnstoffwechsel. So können mittelkettige Fettsäuren (MCT) die mitochondriale Funktion verbessern und Omega-3-Fettsäuren (v.a. DHA) anti-inflammatorisch wirken. Vitamin E und C sowie Selen können freie Radikale reduzieren; das Protein Apoaequorin könnte den neuronalen Zelltod vermindern. In Studien sei bei alten und dementen Hunden so eine deutliche Verbesserung der kognitiven Leistung erzielt worden.
Als pharmakologische Interventionsmöglichkeiten nennt Volk das für Hunde zugelassene Selegilin, welches die Monoaminooxidase B und somit den Dopaminabbau im Gehirn hemmt und freie Radikale vermindert. Die Wirkung trete aber erst nach einigen Wochen ein. Auch Medikamenteninteraktionen sowie eine gesteigerte Unruhe durch den erhöhten Katecholaminspiegel führt er als Nachteile auf. Propentofyllin kann den zerebralen Blutfluss erhöhen, bisher würden hier aber Placebo-kontrollierte Studien fehlen. Volk empfiehlt außerdem Gabapentin zur leichten Sedation vor dem Schlafengehen, da ein so stabilisierter Schlaf-Rhythmus beim alten Tier wahre Wunder bewirken könne. Auch Zahnerkrankungen oder Gelenkschmerzen sollten behandelt werden, da die hierdurch ausgelösten Beschwerden den Zustand der Tiere verschlechtern – und damit auch die Besitzer mehr belasten.
Bildquelle: Reba Spike, unsplash