Herzinfarkt und Schlaganfall sind in der Notaufnahme leicht zu erkennen – oder? Leider nicht. Das sind die 15 Erkrankungen, die am häufigsten fehldiagnostiziert werden. Lest hier, woran’s liegt.
Menschen machen Fehler. Ärzte sind Menschen – also machen Ärzte Fehler. Diese logische Schlussfolgerung klingt einleuchtend, wird im Alltag aber oft wenig beachtet. Zunächst ist es natürlich unangenehm, sich mit menschlichem Versagen zu beschäftigen. Vor allem, wenn dadurch potenziell dauerhafte gesundheitliche Schäden entstehen oder es sogar zu eigentlich vermeidbaren Todesfällen kommt. Aber aus Fehlern kann man lernen und deshalb ist die Forschung, die sich mit diagnostischen Fehlern beschäftigt, für die Patientensicherheit enorm wichtig. Diagnostische Fehler passieren in allen medizinischen Bereichen. Ein Bereich, der zum einen besonders fehleranfällig erscheint und in dem zum anderen Fehler eine potenziell schwerwiegende Konsequenz haben, ist die Notaufnahme.
Hier stellen sich Patienten mit den unterschiedlichsten Beschwerden vor. Dahinter stecken oft harmlose Ursachen, aber immer wieder auch lebensbedrohliche Erkrankungen, bei denen eine schnelle diagnostische Einordnung Voraussetzungen für eine adäquate Therapie ist. Durch das hohe Patientenaufkommen muss das medizinische Personal Entscheidungen unter hohem Zeitdruck treffen, was zur Fehleranfälligkeit beitragen kann.
In den USA wurde vor kurzem eine große Meta-Analyse zu Fehlern bei der Diagnosestellung in Notaufnahmen veröffentlicht, bei der 279 einzelne Studien zusammengefasst wurden. Die Krankheitsbilder, bei denen es besonders häufig durch Fehldiagnosen zu gesundheitlichen Schäden kommt, sind dabei besonders häufig einer Disziplin zuzuordnen – der Neurologie. Von den Top 6 der Erkrankungen mit den häufigsten durch Fehldiagnosen verursachten Schäden sind drei neurologisch, von den gesamten Top 15 sind es immerhin 6.
Schaut man sich die Liste mit den Erkrankungen genauer an, fällt auf, dass sowohl sehr häufige (Schlaganfall, Herzinfarkt) als auch seltene Erkrankungen (spinaler oder intrakranieller Abszess) vertreten sind. Bei häufigen Erkrankungen kann schon eine vergleichsweise geringe Rate an Fehldiagnosen zu einer großen absoluten Anzahl an Schadensfällen führen. Dies ist zum Beispiel beim Herzinfarkt der Fall, bei dem nach der Studie eine Fehlerrate von nur 1,5 % vorliegt. Trotzdem führt dies bei der sehr hohen Inzidenz von Herzinfarkten zu einer erheblichen Anzahl an gesundheitlichen Schäden. Genau andersherum verhält es sich bei den spinalen Abszessen. Diese eher seltene Erkrankung wird in über der Hälfte der Fälle (56 %) fehldiagnostiziert und schafft es deshalb in die Liste. Angeführt wird die Liste vom Schlaganfall, dieser ist in etwa so häufig wie der Herzinfarkt, wird aber mehr als zehnmal so oft fehldiagnostiziert (Fehlerrate von 17 %). Aus diesem Grund ist beim Schlaganfall die absolute Zahl an durch eine Fehldiagnose verursachten Schäden mit Abstand am größten.
Dass die Liste vom Schlaganfall angeführt wird, hat verschiedene Gründe, die auch von den Studienautoren untersucht wurden. Während sich ein Herzinfarkt in der überwiegenden Anzahl der Fälle durch ähnliche Symptome äußert, ist die Symptomatik beim Schlaganfall vielfältiger, je nach betroffener Gehirnregion. So unterschied sich die Rate an Fehldiagnosen je nach vorherrschender Symptomatik. Äußerte sich der Schlaganfall primär durch Schwindel, war das Risiko für eine Fehldiagnose im Vergleich zu im Vordergrund stehenden motorischen Symptomen zehnfach erhöht. Wenig überraschend war das Risiko für eine Fehldiagnose auch erhöht, wenn die Symptome nur mild ausgeprägt oder transient waren.
Ein weiterer Aspekt ist das Fehlen eines diagnostischen Markers, der einen akuten Schlaganfall zuverlässig anzeigt bzw. ausschließt. Bei jedem Patienten, dessen Symptome an einen Myokardinfarkt denken lassen, wird ein EKG geschrieben und das Serum-Troponin bestimmt. So kann ein Myokardinfarkt diagnostiziert oder auch mit relativ großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Beim Schlaganfall ist dies nicht so leicht möglich. Bei neurologischen Symptomen wird häufig ein natives Schädel-CT durchgeführt. Das Ergebnis ist aber beim akuten Schlaganfall meist unauffällig, Veränderungen durch einen Schlaganfall erscheinen erst verzögert im CT. Um einen Schlaganfall sicher auszuschließen, müsste ein Schädel-MRT durchgeführt werden. Dies ist aber in einer Welt mit knappen Ressourcen nicht bei jedem Patienten mit neurologischen Symptomen möglich.
Die Studienautoren betonen auch, dass nicht jeder diagnostische Fehler vermeidbar ist. Die großen Unterschiede in der Fehlerrate bei bestimmten Erkrankungen in den verschiedenen untersuchten Zentren zeige aber, dass Verbesserungen möglich sind. So lag beispielsweise die Fehlerrate für den Herzinfarkt in verschiedenen Krankenhäusern zwischen 0 % und 29 %, bei der Subarachnoidalblutung betrug die Spanne sogar 0–100 %. Letzteres ist sicher auch durch die Seltenheit der Erkrankung bedingt.
Insgesamt lässt sich aus den genannten Unterschieden aber die Hoffnung ableiten, dass durch Schaffung von bestimmten Strukturen die Fehlerraten gesenkt werden können. Als wichtigsten Ansatzpunkt für Verbesserung schlagen die Autoren die konsequente und standardisierte Erfassung von Fehldiagnosen vor, so dass aus Fehlern gelernt werden kann.
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