Sensorische Zellen des Vagusnervs erkennen, ob sich Nahrung in der Speiseröhre befindet und melden einen Weitertransport zum Magen. Fällt diese Funktion aus, führt dies zu Schluckstörungen – so die Ergebnisse einer neuen Studie.
Schluckbeschwerden können viele Ursachen haben. Neben neurologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Parkinson können bestimmte Medikamente dazu führen, dass die Nahrung nicht mehr ohne Weiteres vom Mund in den Magen gelangt. Die möglichen Folgen sind Mangelernährung, Gewichtsverlust und Dehydration.
Ein Team um Professorin Carmen Birchmeier hat den Schluckvorgang jetzt genauer analysiert. Im Fachblatt Neuron beschreiben die Forscher sensorische Zellen des Nervus vagus, die auf mechanische Reize in der Speiseröhre reagieren und deren unbewusste Bewegung anregen. Die Ergebnisse der Studie könnten in Zukunft dabei helfen, Schluckstörungen besser zu behandeln. „Die modernen Methoden der Einzelzellsequenzierung haben unsere Arbeit möglich gemacht“, erläutert Birchmeier. „Mithilfe der dabei gewonnenen Daten konnten wir genetische Modelle herstellen, die es uns erlaubt haben, die Funktionen der sensorischen Nervenzellen in den vagalen Ganglien im Halsbereich genauer zu untersuchen.“
Speiseröhre und Magen einer Maus. Gelb: Fortsätze der sensorischen Neuronen, die zu einem Zellknoten des Vagusnervs gehören. Credit: Elijah D. Lowenstein.Zunächst färbten die Wissenschaftler die Nervenzellen, um zu prüfen, welche Organe sie ansteuern. Anschließend ermittelten sie, ob und wie sie auf mechanische Reize in der Speiseröhre reagieren. In einem letzten Schritt schalteten sie die Zellen aus, um die Konsequenzen für den Schluckvorgang zu analysieren. Wissenschaftlerin Dr. Teresa Lever entwickelte dazu ein Verfahren, mit dem die Forscher den Schluckvorgang in frei agierenden, nicht betäubten Mäusen per Video-Fluoroskopie in Echtzeit beobachten konnten. „Der Verlust der Nervenzellen, die mechanische Reize aus der Speiseröhre reflexartig in Muskelbewegungen umwandeln, welche die Nahrung Richtung Magen befördern, führte bei den Mäusen nach kurzer Zeit zu einer Gewichtsabnahme“, erläutert Erstautor Dr. Elijah Lowenstein.
Der Gewichtsverlust zeige, dass diese Neuronen eine Schlüsselrolle bei der körperlichen Homöostase spielen.
„Die Speiseröhre ist also nicht nur ein hohler Schlauch, der den Mund mit dem Magen verbindet“, sagt Lowenstein. „Sondern sie ist auf eine mechanosensorische Rückkopplung angewiesen, um ihre Funktion zu erfüllen.“ Ohne diese Zellen des Vagusnervs bleibe die Nahrung buchstäblich in der Speiseröhre stecken, ergänzt Birchmeier. Teilweise sei sie bei den Mäusen sogar in den Rachen zurückgeflossen.
Die Axone der sensorischen Nervenzellen bilden ein feines Netzwerk in der Speiseröhre der Maus. Credit: Elijah D. Lowenstein.
„Unsere Arbeit kann jetzt dazu beitragen, Schluckbeschwerden künftig besser zu behandeln – etwa indem man die von uns entdeckten Mechanorezeptoren pharmakologisch aktiviert“, sagt die Forscherin. Zudem möchte Birchmeier die genetischen Modelle nutzen, um die Funktionen anderer vagaler sensorischer Nervenzellen zu ermitteln. „Womöglich spielen diese Neuronen eine entscheidende, aber noch unbekannte Rolle bei der Entstehung bestimmter Atemwegserkrankungen oder Herz-Kreislauf-Leiden wie Bluthochdruck“, sagt sie. Das Team hat für alle vagalen Neurone der Maus einen molekularen Atlas erstellt, der im Internet frei zugänglich ist.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Nhia Moua, unsplash