Das Chronische Fatigue Syndrom ist und bleibt ein Rätsel. Wie ist der aktuelle Forschungsstand und wie sieht die Zukunft für Patienten aus?
Schon bei der Definition tut man sich mit ME/CFS schwer. Obwohl das Chronische Fatigue Syndrom bereits 1969 von der WHO als neurologische Erkrankung klassifiziert wurde, wird es in der Praxis häufig eher als ein Konglomerat an Symptomen wahrgenommen, anstatt als klar definierte Diagnose. Andere Definitionen wiederum beschreiben ME/CFS als komplexes, chronisches, neuroimmunologisches Krankheitsbild. Die Leitsymptome umfassen dabei chronische, exzessive Erschöpfung und Erschöpfbarkeit – sowohl physisch als auch psychisch. Die charakteristische Fatigue verschlechtert sich typischerweise durch bereits geringe körperliche, emotionale oder physische Belastungen (post-exertional malaise). Ausgelöst wird das Syndrom oftmals durch Virusinfektionen oder Unfälle (mit HWS-Trauma).
Patienten, die unter ME/CFS leiden, haben einen enormen Leidensdruck. Einerseits durch die typischen Krankheitssymptome, andererseits durch den gesellschaftlichen Druck. Dennoch scheint sich die Forschung uneins, wie genau es zu ME/CFS kommt und vor allem, was man dagegen tun kann. Das Bundesministerium für Gesundheit hat deswegen das IQWIG beauftragt, den aktuellen wissenschaftlichen Stand der Dinge zusammenzutragen. Jetzt wurden die finalen Ergebnisse veröffentlicht.
Die wohl wichtigsten Erkenntnisse des Reports sind:
„Insgesamt schätzt das IQWIG, dass vor der Covid-Pandemie etwa 140.000 bis 310.000 Menschen in Deutschland von ME/CFS betroffen waren“, heißt es in der Veröffentlichung. „Da ein Teil der Patienten mit Long Covid die diagnostischen Kriterien für ME/CFS erfüllt, dürfte die Zahl seitdem gestiegen sein. Eine zuverlässige Schätzung ist jedoch aufgrund fehlender Daten noch nicht möglich.“
Die stetig steigenden Zahlen und der große Leidensdruck der Patienten verlangen nach effektiven Therapien – aber das ist nicht so einfach. Nach wie vor zeigen nur kognitive Verhaltenstherapie und zu einem gewissen Grad Aktivierungstherapien statistisch signifikante positive Effekte. Aber, und dieses Aber ist groß: Mehrere Patienten berichteten über eine Verschlechterung ihres Zustands nach Behandlungen, die die Steigerung der körperlichen Aktivität beinhalten. Die Ergebnisse zeigen zwar statistisch relevante, kleine Vorteile von Aktivierungstherapien gegenüber Standardbehandlung, aber „die klinische Relevanz der meisten Aktivierungseffekte bleibt fraglich.“
Das IQWIG sieht zwar kurz- und mittelfristig immer noch einen „Hauch an Nutzen“ der kognitiven Verhaltenstherapie – etwa in Bezug auf eine eventuelle Rückkehr in den Beruf/die Schule – allerdings sind hier keine Langzeitdaten verfügbar. Außerdem gibt es keine Studiendaten zu den Vor- und Nachteilen der Therapie von Patienten, die unter sehr schweren Formen von Me/CFS leiden. „Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass kognitive Verhaltenstherapie die Krankheit nicht heilen kann. Aber sie ist eine Option, insbesondere für Patienten mit leichteren Erkrankungen, um ihnen zu helfen, mit ihrer Situation etwas besser zurechtzukommen“, sagt Daniel Fleer, Abteilungsleiter des IQWiG-Ressorts Nichtmedikamentöse Interventionen.
Diese Ergebnisse sind ernüchternd, denn wirklich viel Neues bringen sie nicht. Es gibt immer noch große Wissenslücken bezüglich Entstehung, Diagnose und Behandlung der Erkrankung. „Es besteht dringender Bedarf an einem internationalen Konsens über Diagnosekriterien mit möglichst eindeutigen diagnostischen Parametern. Auf dieser Grundlage sollten die Forschungsanstrengungen zur Klärung der Ätiologie von ME/CFS sowie zur Bestimmung der Art der erforderlichen Behandlung und Betreuung intensiviert werden. Die interdisziplinäre Forschung ist in all diesen Bereichen unzureichend“, schlussfolgert Fleer.
Als potenziell erfolgsversprechende Therapie steht außerdem Pacing im Raum. Als Pacing wird eine Methode des Energiemanagements bezeichnet, die die eingeschränkten körperlichen Energiereserven der betroffenen Patienten individuell berücksichtigt. So soll die post-exertional malaise verringert werden. Fleer dazu: „Es gibt einen auffallenden Mangel an soliden Studien über den Nutzen und Schaden […] von Pacing. Dennoch scheint Pacing eine wichtige Rolle in der täglichen Versorgung vieler Menschen mit ME/CFS zu spielen. Diese Beweislücke sollte schnell geschlossen werden.“
Anhand der erhobenen Daten und Literaturrecherchen entstand schlussendlich ein Informationstext, der die Krankheit, ihre Diagnose und die Behandlung beschreibt – als Unterstützung für betroffenen Patienten und ihre Angehörigen. Vielleicht kann man dadurch zumindest eine der großen ME/CFS-Baustellen, das gesellschaftliche Stigma, angehen.
Bildquelle: Julian Hochgesang, unsplash