Schlechte Ernährung führt nicht nur zu Adipositas, sondern bedingt auch bis zu 40 % aller Krebsdiagnosen. Oft stellen wir unsere Patienten an den Pranger – aber nicht immer sind sie an der Misere selbst schuld.
Die Suche nach Faktoren, die die Krebssterblichkeit beeinflussen können, konzentriert sich zunehmend auch auf die Ernährungsumgebung der Menschen. Eine aktuelle Studie aus den USA, die in JAMA Oncology veröffentlicht wurde, weist auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Ernährungsumfeld, Übergewicht und Krebssterblichkeit hin.
Krebsleiden sind nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in den USA sowie in zahlreichen Industrienationen, darunter auch Deutschland. Das macht sie zu einem gewaltigen finanziellen Problem für die Gesundheitssysteme dieser Länder. In den USA erhielten im Jahr 2022 mehr als 1,9 Millionen Menschen eine Krebsdiagnose. Davon machten adipositasbedingte Tumoren 40 % aus.
Nach Einschätzung der International Agency for Research on Cancer (IARC) begünstigt Adipositas insbesondere das Risiko für Krebserkrankungen folgender Organe: Ösophagus, Pankreas, Leber, Dickdarm, Mamma (postmenopausal), Endometrium, Niere, Magen, Gallenblase, Ovarien, Prostata und Schilddrüse. Der Verzehr gesunder Lebensmittel ist neben dem Verzicht auf alkoholische Getränke und Tabakwaren ein beeinflussbarer Risikofaktor, der die adipositasbedingte Krebssterblichkeit nachweislich reduziert.
Die vorliegende Querschnittsstudie untersuchte den Zusammenhang zwischen der Qualität der Ernährungsumgebung und der adipositasbedingten Krebssterblichkeit in 3.038 von insgesamt 3.142 Landkreisen der USA. Dazu wurden die Registerdaten des Food Environment Atlas (FEA) des US-Landwirtschaftsministeriums zur Charakterisierung der Ernährungsumgebung mit CDC-Registerdaten zur Erfassung der adipositasbedingten Krebssterblichkeit über einen Zeitraum von zehn Jahren (2010–2020) zusammengeführt und verknüpft.
Die Qualität der Ernährungsumgebung in den jeweiligen Landkreisen wurde einerseits durch die mittlere Entfernung der Bevölkerung eines Bezirks zum nächstgelegenen Lebensmittelgeschäft bzw. Supermarkt mit einem vollständigen Angebot an frischen Waren und andererseits dem Verhältnis von Fast-Food-Restaurants und Convenience-Stores zu Lebensmittelgeschäften und Bauernmärkten in diesen Bezirken charakterisiert.
Wenn die mittlere Entfernung der Bevölkerung eines Bezirks zu einem Lebensmittelgeschäft mit einem qualitativ hochwertigen Lebensmittelangebot mehr als 1,6 km betrug (städtisches Gebiet) oder mehr als 16 km (ländliches Gebiet), bezeichneten die Autoren diesen Bezirk als „Lebensmittelwüste“. Die Klassifizierung der Lebensmittelgeschäfte erfolgte auf der Grundlage des nordamerikanischen Branchenklassifizierungssystems (Retail Food Environment Index).
Ein Bezirk mit einer hohen Anzahl von Fast-Food-Restaurants bzw. Convenience-Stores im Vergleich zu Lebensmittelgeschäften mit einem vollständigen Warensortiment wurde von den Autoren als „Lebensmittelsumpf“ bezeichnet. Zur Kategorie der Convenience Stores zählen auch Tankstellenshops, Kioske, Snackbars, Imbissbuden und Spätverkaufsstellen. Der Lebensmittelsumpf-Score wurde als Quotient von Fast-Food- und Convenience-Stores zu Supermärkten und Bauernmärkten berechnet.
Die höchsten Scores kennzeichnen somit Bezirke mit einer ungesunden Ernährungsumgebung und stellen gleichzeitig ein indirektes Maß für ein Überangebot an hoch verarbeiteten Fertigprodukten und Fast Food dar. Ein ungesundes Ernährungsumfeld ist also durch den einfachen Zugang zu einem einseitigen Angebot an stark verarbeiteten Fertigprodukten mit hoher Energiedichte und niedrigem Vitalstoffgehalt sowie einer Vielzahl von gesüßten Soft- und Energydrinks charakterisiert.
Stark verarbeitete Fertigprodukte zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an isoliertem Zucker, modifizierter Stärke, gehärteten Fetten, fraktionierten Proteinen und einer Vielzahl von Zusatzstoffen mit einer E-Nummer aus. Daraus stellt die Lebensmittelindustrie künstliche Produkte her, die in dieser Zusammensetzung und Beschaffenheit in der Natur so nicht vorkommen und die unsere körpereigenen Regulationssysteme mittel- und langfristig überfordern, sodass wir krank werden.
Die Korrelationsanalysen zeigten, dass sowohl der Lebensmittelwüsten-Score als auch der Lebensmittelsumpf-Score positiv mit der adipositasbedingten Krebssterblichkeit assoziiert waren. Das Ausmaß der Beziehung zwischen der Qualität des Ernährungsumfelds und der adipositasbedingten Krebssterblichkeit wurde mit Hilfe eines multiplen Regressionsmodells analysiert. Dabei wurden die Effektmodifikatoren ethnische Zugehörigkeit (Ureinwohner, Asiaten, Farbige, Lateinamerikaner, Weiße), Alter, mittleres Haushaltseinkommen, Armutsquote, Adipositas- und Diabetesraten berücksichtigt. Die adipositasbedingte Krebssterblichkeit wurde als hoch eingestuft, wenn die Inzidenz 71,8 Fälle pro 100.000 Einwohner überstieg.
Das Risiko, an einer adipositasbedingten Krebserkrankung zu versterben, war in Bezirken mit einer großen Entfernung zu guten Lebensmittelgeschäften und Bauernmärkten im Vergleich zur Kontrolle signifikant um 59 % erhöht (adjustierte Odds Ratio 1,59; 95 % KI 1,29–1,94). In Bezirken mit einer geringen Anzahl guter Lebensmittelgeschäfte war die adipositasbedingte Krebssterblichkeit sogar um 77 % im Vergleich zur Kontrolle erhöht (adjustierte Odds Ratio 1,77; 95 % KI 1,43–2,19). In Landkreisen mit den höchsten Lebensmittelsumpfwerten zeigte sich ein mehr als zweifach erhöhtes Risiko für die adipositasbedingte Krebssterblichkeit.
Darüber hinaus wurde in beiden Szenarien eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Qualität der Ernährungsumgebung und der adipositasbedingten Krebssterblichkeit festgestellt, was als Anhaltspunkt für einen kausalen Zusammenhang betrachtet werden kann. Obwohl die Studie aufgrund ihres Beobachtungscharakters nur eine statistische Assoziation zwischen der Ernährungsumgebung und der adipositasbedingten Krebssterblichkeit herstellen kann, stellt das Ergebnis doch ein weiteres Glied in einer langen Kette von bereits vorliegenden Indizien dar.
Wenngleich sich die Studienergebnisse aus den USA nicht 1:1 auf die deutsche bzw. europäische Situation übertragen lassen, gibt es aber auch hierzulande Beobachtungen, wonach der verstärkte Konsum von Fertigprodukten mit einer erhöhten Krebsinzidenz und Krebssterblichkeit einhergeht.
Laut der 2018 veröffentlichten NutriNet-Santé-Studie französischer und brasilianischer Forscher besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Verzehr von industriell stark verarbeiteten Lebensmitteln und der Entwicklung von Krebserkrankungen. Die Forscher analysierten Daten von fast 105.000 französischen Erwachsenen, die Auskunft über ihre Ernährungsgewohnheiten gaben und verglichen sie mit der Anzahl der Krebsdiagnosen im Beobachtungszeitraum. Das Krebsrisiko stieg über acht Jahre dosisabhängig um insgesamt 12 % an.
Die Ergebnisse einer kürzlich in Lancet veröffentlichten Kohortenstudie deuten ebenfalls darauf hin, dass ein hoher Konsum von ultraprozessierten Nahrungsmitteln (UPF) mit einem höheren Krebsrisiko sowie einer erhöhten Krebssterblichkeit assoziiert ist. Annähernd 200.000 Teilnehmer der UK-Biobank wurden über 12 Jahre nachverfolgt. Jede Erhöhung des UPF-Konsums um 10 Prozentpunkte ging mit einem erhöhten Krebssterberisiko um insgesamt 6 % einher. Unter den einzelnen Krebsarten war das Sterberisiko am Mammakarzinom um 16 % und am Ovarialkarzinom sogar um 30 % erhöht.
Anhand der Daten von mehr als 450.000 Teilnehmern ergab die EPIC-Studie, dass der Austausch von nur 10 % der verarbeiteten Fertigprodukte durch frische Lebensmittel das Krebsrisiko insgesamt um 4 % senkt. Das Risiko für Plattenepithelkarzinome der Speiseröhre wurde sogar um 43 % gesenkt. Für hepatozelluläre Karzinome, Kopf-Hals-Karzinome, Adenokarzinome der Speiseröhre sowie für Darmkrebs betrug die Risikoreduktion 23 %, 20 % bzw. 17 %.
Die Autoren vermuten, dass sich große Lebensmittelhandelsketten zunehmend aus US-Landkreisen mit überwiegend armen Bevölkerungsschichten zurückziehen. Der niedrige sozioökonomische Status der Bewohner solcher Bezirke steht den Renditeerwartungen der Einzelhandelsgeschäfte entgegen. Durch den Rückzug von Supermärkten mit einem vollständigen Angebot an frischen Produkten können sich Lebensmittelwüsten rasch in Lebensmittelsümpfe verwandeln. Nach Ansicht der Autoren ist die Politik aufgefordert, dieser Entwicklung durch geeignete ordnungsrechtliche und fiskalpolitische Maßnahmen entgegenzuwirken.
In der Bundesrepublik setzt sich insbesondere die Deutsche Allianz nichtübertragbarer Krankheiten (DANK), ein Zusammenschluss von 22 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, für eine Verbesserung der Lebensmittelumgebung der Bevölkerung ein. Die DANK fokussiert sich darauf, politische Entscheidungsträger für die Vorteile einer umfassenden Verhältnisprävention zu sensibilisieren. In Übereinstimmung mit dem globalen Aktionsplan gegen nichtübertragbare Krankheiten der WHO hält die DANK folgende Maßnahmen für vordringlich:
Ein grundlegender Wandel unserer Ernährungsumgebung kann jedoch nur gelingen, wenn die Notwendigkeit zu Veränderungen auch von breiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wird. Der kürzlich vom deutschen Parlament eingesetzte Bürgerrat Ernährung könnte dabei frischen Wind in die politische Debatte bringen.
Bildquelle: Colin + Meg, unsplash