Amerikanische Behörden klagen über Lieferengpässe der makaberen Art: Nachdem sich Hersteller geweigert haben, Barbiturate zu liefern, konnten mehrere Todesstrafen nicht vollstreckt werden. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben – längst experimentieren Behörden mit neuen, tödlichen Cocktails oder denken laut über Erstickungsmethoden nach.
Skandal in Oklahoma: Laut Justizminister Scott Pruitt muss der US-Bundesstaat drei geplante Hinrichtungen aussetzen, weil Pharmaka fehlen. Pruitt bat das zuständige Gericht, als neuen Termin den Januar oder Februar 2015 anzusetzen. Ursprünglich sollte der erste Straftäter am 13. November getötet werden, die anderen beiden in den folgenden Wochen. Gleichzeitig forderte er, Justizbeamte besser auszubilden. Im April war der Mörder Clayton Lockett qualvoll nach 43-minütigem Todeskampf gestorben – aufgrund einer falsch gesetzten Kanüle. Ärzte dürfen laut Erklärung der World Medical Association (WMA) nicht Hand anlegen. Auch kann sie niemand zwingen, Verordnungen für tödliche Cocktails auszustellen. Mittlerweile weigern sich Apotheker und pharmazeutische Hersteller ebenfalls, Wirkstoffe zu liefern.
Zum Hintergrund: In Amerika erhalten Verurteilte bei ihrer Hinrichtung Barbiturate, damit sie ihr Bewusstsein verlieren. Anschließend verabreichen Vollstreckungsbehörden noch Muskelrelaxantien wie Pancuroniumbromid, Suxamethoniumchlorid oder Tubocurarin, was zum Erstickungstod führt. Kaliumchlorid löst als dritte Substanz einen Herzstillstand durch Hyperkaliämie aus. Zusammengemischt ergeben die Substanzen einen schwer löslichen Niederschlag. Um dies zu vermeiden, erfolgen separate Gaben. Beim Einsatz von Thiopental kam es trotzdem zu Pannen: Das Barbiturat wirkt vergleichsweise schnell, aber kurz. Kommen Delinquenten wieder zu Bewusstsein, ersticken sie durch ein Muskelrelaxans qualvoll. Firmen liefen dagegen Sturm: Bereits Anfang 2011 stellte Hospira Produktion und Vertrieb von Thiopental ein. Ende des gleichen Jahres verhängten europäische Politiker eine Ausfuhrgenehmigungspflicht für diverse Barbiturate, was fatale Konsequenzen für etliche US-Bundesstaaten hatte. Kentucky, Tennessee, und Georgia mussten ihre Vorräte der Drug Enforcement Administration (DEA) aushändigen, nachdem bekannt wurde, dass es sich um illegale Importe handelte. Georgia und Arizona wiederum kauften ungeprüftes Natriumthiopental von einem dubiosen Großhändler aus London, der im Hinterhof einer Fahrschule residiert. Nebraska importierte große Mengen aus Indien. Missouri schickte Beamte nach Oklahoma, um in Apotheken mit großem Labor Chemikalien gegen Bargeld zu erwerben. Pharmazeuten rochen schließlich Lunte – und gaben kein Natriumthiopental mehr ab. Lange verschloss die US Food and Drug Administration (FDA) ihre Augen vor halbseidenen Machenschaften im pharmazeutischen Bereich. Nachdem Menschenrechtler auf die Situation hingewiesen hatten, versiegten illegale Kanäle über Nacht.
Oklahoma entschloss sich kurzerhand, bei Hinrichtungen auf Pentobarbital zurückzugreifen. Erfahrungen aus der Humanmedizin gab es kaum – die Substanz wurde zeitenweise als Schlafmittel eingesetzt. Heute verwenden vor allem Veterinärmediziner Pentobarbital, um Tiere einzuschläfern. Trotzdem änderten weitere 15 US-Bundesstaaten ihr Protokoll und griffen zum verfügbaren Pharmakon. Am 16. Dezember 2010 wurde die Substanz erstmals als alleiniges Mittel zur Vollstreckung der Todesstrafe verwendet. Lieferungen kamen vom dänischen Konzern Lundbeck. Geschäftsführer protestierten – und gaben Pentobarbital schließlich in die Hände von Akorn Pharmaceuticals. Beide Seiten verständigten sich vertraglich, dass Vollstreckungsbehörden die umstrittene Substanz nicht bekommen. Ihre Strategie ging auf. Viele Justizvollzugsanstalten in den Staaten klagen über schwindende Vorräte – wie zuvor bei Thiopental.
Ohio setzte im Januar 2014 deshalb zum ersten Mal Midazolam plus Hydromorphon ein, um Dennis McGuire hinzurichten, einen verurteilten Mörder. Sein Todeskampf dauerte 15 Minuten – Erstickungsanfälle inklusive. Bei repräsentativen Befragungen kurz nach McGuires Hinrichtung sprachen sich 62 Prozent aller US-Bürger trotzdem für die Todesstrafe aus, und nur 26 Prozent forderten ein Umdenken. Alternativen gibt es kaum – eine Propofol-Bestellung von offizieller Seite hätte letzten November beinahe zur Staatskrise geführt. Handelssperren bei diesem wichtigen Anästhetikum will niemand riskieren. US-Politiker erinnern sich deshalb an längst vergessene Techniken: In 2010 fand die letzte Exekution durch ein Erschießungskommando statt, und Gaskammern waren bis 1999 im Einsatz. Auf dem elektrischen Stuhl starb zuletzt ein Verurteilter in 2013. Michael Rushford, Präsident der Criminal Justice Legal Foundation, schlägt andere Wege vor. Keine Verschreibung, die Ärzte verweigern; keine Nadel, die gesetzt werden muss, und keine Chemikalien, die Apotheker nicht dispensieren – Rushford will Straftäter mit Stickstoff oder Kohlenmonoxid hinrichten lassen. Er hält dies für einen friedlicheren, humaneren Weg: Verurteilte würden einschlafen und schließlich ersticken. Todesstrafe und human – ein Widerspruch in sich, zumindest aus deutscher Sicht. Pharmazeutische Hersteller haben klar gemacht, dass ihre Produkte außen vor bleiben.