Künstliche Intelligenz kann passende Behandlungsschritte bei einer Sepsis vorschlagen. Dass sie darin sogar besser ist als der Mensch, zeigt jetzt eine Studie.
Künstliche Intelligenz (KI) wird in der Medizin eine wichtige Rolle spielen. Besonders erfolgreiche Tests gibt es bereits in der Diagnostik: Der Computer kann zum Beispiel lernen, mit großer Treffsicherheit Bilder danach zu kategorisieren, ob sie krankhafte Veränderungen zeigen, oder nicht. Schwieriger ist es allerdings, eine KI darauf zu trainieren, den zeitlich veränderlichen Zustand von Menschen zu untersuchen und Behandlungsvorschläge zu berechnen – genau das gelang nun an der TU Wien in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien.
Mit Hilfe der Daten von Intensivstationen unterschiedlicher Krankenhäuser wurde eine KI entwickelt, die Vorschläge für die Behandlung von Menschen liefert, die wegen einer Sepsis intensivmedizinische Betreuung brauchen. Analysen zeigen, dass die KI die Qualität menschlicher Entscheidungen bereits übertrifft. Wichtig ist nun aber auch eine Diskussion über die rechtlichen Aspekte solcher Methoden.
„Auf einer Intensivstation werden rund um die Uhr viele verschiedene Daten erhoben. Die Patientinnen und Patienten werden laufend medizinisch überwacht. Wir wollten untersuchen, ob sich diese Daten vielleicht noch besser nutzen lassen als bisher“, sagt Prof. Clemens Heitzinger vom Institut für Analysis und Scientific Computing der TU Wien.
Das ärztliche Personal trifft seine Entscheidungen auf Basis gut begründeter Regeln. Meistens weiß man sehr genau, welche Parameter man beachten muss, um die beste Krankenversorgung zu gewährleisten. Der Computer kann aber problemlos auch noch viele andere Parameter berücksichtigen, die ein Mensch vielleicht ignorieren würde – und genau das kann in manchen Fällen zu noch besseren Entscheidungen führen.
„Wir setzten in unserem Projekt eine Form von maschinellem Lernen ein, die man als Reinforcement Learning oder bestärkendes Lernen bezeichnet“, sagt Heitzinger. „Dabei geht es nicht nur um einfache Kategorisierung – etwa die Einteilung von Bildern in solche, die einen Tumor zeigen und solche, die keinen Tumor zeigen – sondern um einen zeitlich variablen Verlauf, um die Entwicklung, die eine ganz bestimmte Person im Krankenbett voraussichtlich durchmachen wird. Das ist mathematisch etwas ganz Anderes. Dazu gab es bisher im medizinischen Bereich wenig Forschung.“
Der Computer wird hier zum Agenten, der selbst Entscheidungen trifft: Geht es dem Patienten gut, wird der Computer belohnt. Verschlechtert sich der Zustand oder kommt es zum Tod, wird der Computer bestraft. Das Computerprogramm hat die Aufgabe, seine virtuelle Belohnung mit allen Mitteln zu maximieren. So lässt sich aus umfangreichen Krankenhausdaten automatisch eine Strategie ermitteln, mit der man eine besonders hohe Erfolgswahrscheinlichkeit erzielt.
„Sepsis ist eine der häufigsten Todesursachen in der Intensivmedizin und stellt eine enorme Herausforderung für Ärzte und Krankenhäuser dar, da die frühzeitige Erkennung und Behandlung entscheidend für das Überleben der Patienten ist“, sagt Oliver Kimberger von der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie der Medizinischen Universität Wien. „Bislang gab es in diesem Bereich wenige medizinische Durchbrüche, was die Suche nach neuen Behandlungsmethoden und Ansätzen umso dringlicher macht. Aus diesem Grund ist es besonders interessant, zu untersuchen, inwieweit künstliche Intelligenz hier einen Beitrag zur besseren medizinischen Betreuung leisten kann. Durch den Einsatz von Machine-Learning-Modellen und anderen AI-Technologien besteht die Möglichkeit, die Diagnose und Behandlung von Sepsis zu verbessern und so letztendlich die Überlebenschancen der Patienten zu erhöhen.“
Analysen zeigen, dass die Fähigkeiten der KI den Menschen bereits übertreffen: „Die Heilungsquote ist mit der Strategie der künstlichen Intelligenz mittlerweile höher als mit rein menschlichen Entscheidungen. In einer unserer Untersuchungen konnte die Heilungsquote in Bezug auf die 90-Tage-Mortalität um ca. 3 % auf ca. 88 % gesteigert werden“, sagt Heitzinger.
Das heißt natürlich nicht, dass man dem Computer die medizinischen Entscheidungen auf einer Intensivstation alleine überlassen sollte. Aber man kann die KI als Zusatzgerät am Krankenbett mitlaufen lassen – und das medizinische Personal kann sich auf diese Weise beraten lassen oder die eigene Einschätzung mit den Vorschlägen der KI vergleichen. Auch in der Ausbildung kann eine solche KI höchst nützlich sein.
„Das wirft allerdings wichtige Fragen auf, besonders juristische“, sagt Heitzinger. „Man denkt da zuallererst wohl an die Diskussion, wer für eventuelle Fehler der künstlichen Intelligenz haftbar gemacht wird. Aber das Problem stellt sich auch umgekehrt: Was ist, wenn die künstliche Intelligenz die richtige Entscheidung getroffen hätte, der Mensch sich aber für eine andere Option entschieden hat und der Patient deshalb Schaden erleidet?“ Setzt sich der Arzt dann dem Vorwurf aus, man hätte doch der KI besser vertrauen sollen, weil sie einen riesigen Erfahrungsschatz mitbringt? Oder muss es zu jedem Zeitpunkt das Recht des Menschen sein, die Ratschläge des Computers zu ignorieren?
„Das Forschungsprojekt zeigt: Bereits mit heutigem Stand der Technik lässt sich künstliche Intelligenz mit Erfolg in der klinischen Praxis einsetzen – doch eine gesellschaftliche Diskussion über die Rahmenbedingungen dafür und klare juristische Regeln sind noch dringend nötig“, ist Heitzinger überzeugt.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Technischen Universität Wien. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Google DeepMind, Unsplash