Bis Ende des Jahres könnten sich tausende Menschen neu mit Ebola infizieren, so die Befürchtung der Forscher. Jetzt arbeiten Biotechnologen mit Hochdruck an Vakzinen. Um alle Betroffenen in Westafrika zu impfen, wären schätzungsweise 30 bis 40 Millionen Dosen erforderlich. Nach Jahren intensiver Impfstoffentwicklung muss jetzt alles ganz schnell gehen.
Drastische Worte beim World Health Summit 2014 in Berlin: Liberias Botschafterin Ethel Davis fordert die internationale Staatengemeinschaft zur Hilfe auf. „Liberia kann die Situation allein nicht mehr bewältigen“, so Davis. Gleichzeitig warnt sie vor internationalen Dimensionen: „Ebola ist nicht länger nur ein westafrikanisches Problem. Ebola ist nur einen Flug oder eine Busreise entfernt.“ Bisher haben sich 9.216 Menschen infiziert, und mindestens 4.555 sind gestorben – Tendenz drastisch steigend. Die „New York Times“ zitierte dazu Prognosen von Regierungsberatern. Bis Ende 2014 erwarten sie hunderttausende Infektionen. Roberto Bertollini von der WHO kritisiert: „Hinter globalen Gesundheitskrisen wie Ebola stecken schlechte öffentliche Investitionen in die Forschung.“ Kein Wunder, gibt es Jahrzehnte nach der Erstbeschreibung des tödlichen Virus immer noch keine Vakzine. Wissenschaftler sehen in flächendeckenden Impfprogrammen die einzige Chance, Ebola dauerhaft zu besiegen.
Weltweit befassen sich etliche Labors mit dem Thema. Die wichtigsten Ansätze: GlaxoSmithKline (GSK) untersucht zusammen mit dem amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases, welche Potenziale in Adenoviren stecken. Biologen verwenden das chimpanzee-derived replication-defective adenovirus (ChAd), um Antigene des Ebolavirus im menschlichen Körper zu exprimieren und dem Immunsystem zu präsentieren. Momentan laufen zwei große Studien mit dem Konstrukt cAd3-EBO Z: In Großbritannien sollen 60 Probanden verschiedene Dosen des Impfstoffs erhalten. Ähnliche Untersuchungen planen Wissenschaftler in den USA mit 26 Personen. Auch das Vesicular stomatitis Indiana virus (VSIV), ein Verwandter des Tollwutvirus, hat Potenziale. Nach einer VSIV-Infektion erkranken Rinder oder Pferde schwer, während Menschen nur leichte, grippeähnliche Symptome verspüren. Ein wichtiger Vertreter ist VSV-EBOV. Molekularbiologen haben Erbinformation für das virale VSV-Glykoprotein durch die RNA für ein Ebola-Glykoprotein ausgetauscht. Unser Immunsystem reagiert, indem es Antikörper herstellt. Die Public Health Agency of Canada setzt große Erwartungen in VSV-EBOV. Zusammen mit der NewLinks Genetics Corporation hat sie eine Phase-I-Studie in die Wege geleitet.
Dazu noch einige Studien: Ratten und Meerschweinchen profitierten nachweislich vom Impfstoff. In Studien überlebten 80 bis 100 Prozent aller Tiere. Menschenaffen wurden ebenfalls zuverlässig geschützt – es kam zu einer starken Immunantwort mit hohen Serumtitern. Ein Großteil aller Primaten blieb am Leben, falls unmittelbar nach einer Virusinfektion die Impfung als Postexpositionsprophylaxe verabreicht wurde. Erhielten Tiere die Vakzine aber erst 48 Stunden nach der Exposition, starben zwei Drittel. VSV-EBOV wirkt allerdings hoch spezifisch. Ein Impfstoff mit dem Glykoprotein des Ebola-Zaire-Virus schützt nicht vor verwandten Erregern wie dem Ebola-Sudan-Virus. Forscher haben VSV-EBOV bislang nur in Tierexperimenten untersucht – mit einer Ausnahme: Als sich vor mehreren Jahren eine Mitarbeiterin des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin mit einer kontaminierten Nadel gestochen hatte, bekam sie VSV-EBOV und zeigte eine nachweisbare Immunreaktion. Ob sie sich tatsächlich infiziert hatte, blieb unklar.
Sollten VSV-EBOV- oder ChAd-Vakzine zu höheren Antikörpertitern führen, wäre die logische Konsequenz, Phase-2- und später Phase-3-Studien durchzuführen. An diesem Thema scheiden sich die Geister: GSK ist in der Lage, mittelfristig etwa 10.000 Impfdosen für Phase-2-Studien produzieren, um die optimale Menge zu ermitteln. Gesundheitspolitiker würden lieber sofort mit Phase-3-Studien beginnen, um keine Zeit zu verlieren. Auch hier müsste ein Serum gegen Placebo getestet werden, was Experten teilweise als unverantwortlich kritisieren. Ira Longini von der University of Florida schlägt als Alternative vor, mit dem „Stepped-wedge-Design“ ohne Placeboarm zu arbeiten. Wissenschaftler vergleichen lediglich Probanden, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten geimpft wurden. Ripley Ballou, Chef der Impfstoffforschung bei GSK, hätte lieber eine randomisierte Studie mit Ärzten und Pflegekräften vor Ort. Angesichts des dramatischen Anstiegs von Ebola-Fällen lehnen es einige Forscher generell ab, weitere Studien durchzuführen. Die Public Health Agency of Canada ging recht pragmatisch vor. Sie lieferte 800 Dosen ihres experimentellen Impfstoffs VSV-EBOV an den WHO-Sitz in Genf. Zusammen mit Vertretern aller betroffenen westafrikanischen Länder überlegen die obersten Gesundheitswächter jetzt, wie sie die Vakzine verteilen könnten.
Damit nicht genug: Ein internationales Konsortium sucht nach Wegen, um virale Reservoire zu eliminieren. Ihre Idee ist alt: Bis 2008 legten Gesundheitsbehörden in Deutschland Impfköder gegen die Fuchstollwut aus – mit Erfolg: Seither existiert bei uns keine terrestrische Tollwut mehr. Forschern aus den USA und Großbritannien ist es analog dazu gelungen, einen Ebola-Impfstoff für wildlebende Menschenaffen zu entwickeln. Diese gelten neben verschiedenen Flughunden als natürliches Hauptreservoir. Vor einigen Jahren habe ein Ebola-Ausbruch mehr als 30 Prozent aller freilebenden Gorillas ausgelöscht, schreiben die Autoren. Vom Impfschutz profitieren Mensch und Tier gleichermaßen, Strategien gibt es aber noch nicht. Ob und wie sich größere Zahlen an Menschenaffen impfen lassen, ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.
Doch zurück zur Humanmedizin. Unter realistischen Annahmen könnten Firmen bis Mitte 2015 ausreichend große Impfstoffmengen bereitstellen, um medizinisches Personal zu impfen. Bis wann 30 oder sogar 40 Millionen Dosen produziert werden könnten, vermag derzeit niemand abzuschätzen. „Der Impfstoff wird nicht schnell genug zur Verfügung stehen, um das in den nächsten Wochen und Monaten zu schaffen, und er würde auch nicht in ausreichenden Dosen zur Verfügung stehen“, sagt Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin gegenüber tagesschau.de. Schlechte Infrastrukturen machen die Lage vor Ort nicht gerade einfacher. WHO-Experten verfolgen deshalb ein anderes Ziel. Sollte es gelingen, 70 Prozent aller infizierten Patienten in Isolierbetten unterzubringen und 70 Prozent aller Toten sicher zu beerdigen, ließe sich Ebola theoretisch unter Kontrolle bringen. Mit dieser Strategie hatten Gesundheitsbehörden bereits in Nigeria und im Senegal Erfolg.