Ein Zytostatikum sollte im besten Fall nur den Tumor bekämpfen und nirgends anders wirken. Bochumer Forscher haben so einen präzisen Wirkstoff jetzt entwickelt: Er wird mittels Ultraschall scharfgestellt.
Viele Medikamente gegen Krebs haben starke Nebenwirkungen. Zu den am häufigsten bei einer Chemotherapie verwendeten Medikamenten (Zytostatika) gehören Platinkomplexe wie Cisplatin, Oxaliplatin und Carboplatin. Sie werden statistischen Daten zufolge bei mehr als der Hälfte aller chemotherapeutischen Behandlungen weltweit eingesetzt. Auf der einen Seite töten sie zwar Tumorzellen effektiv ab, auf der anderen Seite sind sie aber oft mit Nebenwirkungen verbunden, wie Übelkeit, Erbrechen, Nierenschädigung und Unterdrückung der Blutbildung im Knochenmark (Myelosuppression).
Nun hat ein Forscherteam um Dr. Johannes Karges von der Fakultät für Chemie und Biochemie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) einen neuen Wirkstoffkomplex auf Basis von Cisplatin entwickelt. Dieser reichert sich zunächst im Tumorgewebe an und wird erst dort durch Ultraschallwellen aktiviert. Auf diese Weise könnten Tumoren in Zukunft gezielter und mit weniger Nebenwirkungen behandelt werden. Gleichzeitig könnten mithilfe von Ultraschall auch größere und tiefer liegendere Tumoren erreicht werden. An der Studie waren neben dem Doktoranden Nicolás Montesdeoca von der gleichen Fakultät auch Forscher der Chinese Academy of Sciences und zweier indischer Universitäten beteiligt. Ihre Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie International Edition erschienen.
Bereits in den vergangenen Jahrzehnten wurde intensiv daran geforscht, so genannte Platin(IV)-Prodrugs zu entwickeln, mit denen Tumoren gezielter und mit weniger Nebenwirkungen angegriffen werden können. „Dabei handelt es sich um Medikamentenvorstufen, die im gesunden Gewebe stabil und inaktiv sind“, erläutert Karges. „Im Tumorgewebe sollen sie jedoch schnell in therapeutisch aktive Platin(II)-Komplexe umgewandelt werden.“ Für diesen Prozess, die Reduktion des Metallkomplexes, wird Energie benötigt. „Bisherige Studien, die unter anderem in unserer Arbeitsgruppe durchgeführt wurden, haben die Aktivierung der Prodrugs mit blauem oder rotem Licht untersucht“, berichtet der Forscher. „Das Problem ist jedoch, dass Licht weniger als einen Zentimeter tief in das Körpergewebe eindringen kann und viele Tumoren so nicht erreicht werden können.“
In ihrer neuen Studie kombinierten die Wissenschaftler erstmals ein Platin(IV)-Komplex-Prodrug mit einem Sonosensibilisator. Dabei handelt es sich um eine Substanz, die Ultraschallwellen absorbiert und die Energie auf den Platin(IV)-Komplex überträgt, so dass dieser chemisch reduziert und aktiviert wird. Ultraschallwellen haben den Vorteil, dass sie mehrere Zentimeter tief in das Körpergewebe eindringen können. Als Sonosensibilisator verwendete das Forscherteam das biokompatible Hämoglobin, das sie zusammen mit dem Platin(IV)-Prodrug zu Nanopartikeln verkapselten.
Bislang wurde das Konzept nur im Mausmodell getestet – dort allerdings mit Erfolg: Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass sich die Nanopartikel nach Injektion in die Blutbahn selektiv in einem Darmtumor der Maus anreicherten. Durch die Bestrahlung mit Ultraschall wurde das Platin(IV)-Prodrug an der Stelle des Tumors aktiviert und das Zytostatikum Cisplatin freigesetzt. „Dies führte zu einer fast vollständigen Ausrottung des Tumors“, berichtet Karges. „Genauer gesagt fand sich bei drei untersuchten Mäusen kein Tumorgewebe mehr, bei zwei weiteren Mäusen nur noch kleine Mengen des Tumors.“
„Insgesamt hat die Methode sehr präzise und ohne relevante Nebenwirkungen funktioniert“, fasst Karges zusammen. „Der Wirkstoff hat sich im Tumor angereichert und wurde selektiv durch die Ultraschall-Strahlung aktiviert.“ Die Ergebnisse könnten zur Entwicklung neuartiger Methoden für eine nebenwirkungsarme chemotherapeutische Krebsbehandlung beitragen, mit der auch größere oder tiefsitzende Tumoren erreicht werden können. „Die Behandlung mit Ultraschall hat viele Vorteile“, sagt der Bochumer Forscher. „Sie wird von Patienten als wenig invasiv empfunden und ist für Ärzte einfach anzuwenden. Weiterhin sind die erforderlichen Geräte in Kliniken in der Regel vorhanden.“
Bei ihrer Arbeit handle es sich bisher um reine Grundlagenforschung, betont der Wissenschaftler. „Zunächst einmal ist uns der Nachweis gelungen, dass das chemische Konzept funktioniert“, so Karges. „Wir halten den Ansatz jedoch für vielversprechend und hoffen, dass sich daraus in absehbarer Zeit klinische Studien und schließlich klinische Anwendungen ergeben werden.“ In weiteren Schritten könnte es zum Beispiel darum gehen, die Zusammensetzung und Dosierung des Wirkstoffs-Komplexes oder den zeitlichen Abstand zwischen Wirkstoff-Injektion und Ultraschall für die Behandlung zu optimieren.
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