Ärzte sind extrovertierter, einfühlsamer und gewissenhafter als ihre Patienten. Das zeigt eine aktuelle Umfrage. Aber sind sie auch neurotischer?
Unterschiede in den Charaktereigenschaften von Ärzten und Patienten haben direkte Auswirkungen auf die Arzt-Patienten-Beziehung – so zumindest die Annahme. Bisherige Forschungsergebnisse zur Persönlichkeit von Ärzten konzentrierten sich allerdings meist auf bestimmte Facharztgruppen oder die Studien wiesen nur eine überschaubare Zahl an Probanden auf. Australische Forscher haben deswegen nun zwei großangelegte Umfragen zum Thema analysiert und ihre Ergebnisse im BMJ Open veröffentlicht.
Bei den Umfragen handelt es sich um zwei landesweit repräsentative Erhebungen aus Australien, in denen die Befragten gebeten wurden, ihre eigenen Persönlichkeitsmerkmale zu bewerten: In der Erhebung namens HILDA (Household, Income and Labour Dynamics in Australia) wurden 25.358 nicht-ärztliche Personen aus der Allgemeinbevölkerung im Alter von 20 bis 85 Jahren befragt, darunter waren 18.705 Patienten (definiert als Personen, die im letzten Jahr mindestens einmal einen Arzt aufgesucht hatten), 1.261 Personen mit hohem Bildungsgrad und 5.814 professionelle Pflegekräfte. Parallel dazu lief die Umfrage MABEL (Medicine in Australia: Balancing Employment and Life), an der 19.351 Ärzte teilnahmen, darunter 5.844 Allgemeinmediziner, 1.776 patientenorientierte Fachärzte (z. B. Pädiater und Psychiater) und 3.245 technikorientierte Fachärzte (z. B. Chirurgen).
Die Forscher wollten nun herausfinden, ob es zwischen Ärzten und allen anderen Gruppen Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen gibt – und ob es möglicherweise entsprechende Unterschiede zwischen den beiden Gruppen von Fachärzten gibt. Sie konzentrierten sich in der Auswertung auf die sogenannten „Big 5“-Persönlichkeitsmerkmale:
Die Teilnehmer sollten zudem ihre Neigung zur Kontrollüberzeugung bewerten – das heißt den Glauben an die eigene Handlungsfähigkeit (intern) und nicht an externe Kräfte wie das Schicksal, eine höhere Macht oder mächtige Andere (extern).
Was die Forscher erwartet hatten, traf auch tatsächlich zu: Ärzte bewerteten sich selbst als extrovertierter und verträglicher als alle anderen Gruppen – aber auch neurotischer. Besonders auffällig war dies unter Ärztinnen. Sie erzielten deutlich höhere Werte beim Punkt Neurotizismus als Frauen der Allgemeinbevölkerung.
Sowohl Ärzte als auch Pflegekräfte bewerteten sich als umgänglicher als Patienten. Ärzte bewerteten sich selbst jedoch als deutlich umgänglicher als Pflegekräfte sich selbst.
Etwas unerwartet für die Forscher war folgendes Umfrageergebnis: Ärzte glaubten demnach stärker als die Allgemeinbevölkerung, dass sie äußeren Kräften unterworfen sind, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Dieser Unterschied war signifikant, allerdings relativ gering. Im Vergleich zwischen Ärzten und der Subgruppe Patienten gab es aber keine signifikanten Unterschiede.
Schließlich waren die Unterschiede zwischen Ärzten verschiedener medizinischer Fachrichtungen insgesamt geringer als die zwischen Ärzten und Patienten und der Allgemeinbevölkerung, wobei Hausärzte durch ein höheres Maß an Verträglichkeit auffielen. „Das Fehlen von Unterschieden in der Persönlichkeit, die wir zwischen den verschiedenen Fachrichtungen von Ärzten festgestellt haben, lässt vermuten, dass eine größere Anzahl von Ärzten in einem Team nicht zu einer größeren Vielfalt von Perspektiven auf der Grundlage der Persönlichkeit führt“, schreiben die Autoren über das Ergebnis. „Die Unterschiede, die wir zwischen Ärzten und Angehörigen anderer Pflegeberufe gefunden haben, legen jedoch nahe, dass die Einbeziehung von nichtärztlichen Pflegefachkräften in klinische Teams die Persönlichkeitsvielfalt und damit die Teamleistung erhöhen könnte.“
Die Forscher räumen ein, dass ihre Ergebnisse mit gewissen Einschränkungen verbunden sind. Obwohl sie auf bekannten und validierten Instrumenten beruhen, wurden die Skalen zur Bewertung der Persönlichkeitsmerkmale selbst bewertet. Und die „Big 5“-Beschreibungen unterschieden sich zwischen den beiden Erhebungen geringfügig. Dennoch vermuten die Forscher, dass diese Persönlichkeitsunterschiede Auswirkungen auf die Arzt-Patienten-Beziehung und letztlich auf den Erfolg der Behandlung haben könnten.
„Ein höheres Maß an Gewissenhaftigkeit hat Auswirkungen auf die Therapietreue, da gewissenhafte Ärzte die Fähigkeit ihrer Patienten, Empfehlungen zu befolgen, möglicherweise überschätzen“, so die Forscher. „Ein höherer Neurotizismus bei Ärzten, der mit Stress zusammenhängt, könnte dazu führen, dass Ärzte Stress als normalen Teil des Lebens ansehen und daher die Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Patienten unterschätzen.“
Bildquelle: Greg Rosenke, unsplash