Depressionen und Angststörungen lassen sich nicht immer erfolgreich behandeln. Nach jahrzehntelanger Tabuisierung sollen therapieresistente Patienten nun von Halluzinogenen wie LSD profitieren. Wie diese im Gehirn wirken, ist allerdings noch nicht genau verstanden.
Depressionen und Angststörungen lassen sich normalerweise mit Psychotherapie und Medikamenten gut behandeln. Wenn diese Therapieoptionen jedoch nicht richtig anschlagen, stehen betroffene Patienten vor einem großen Problem. Denn wer unter starken Ängsten leidet, depressiv und womöglich suizidgefährdet ist, der braucht eigentlich schnelle und zuverlässige Hilfe. Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, schlagen einige Wissenschaftler den Einsatz von LSD als weitere Behandlungsmöglichkeit vor. Nach Jahrzehnten der Dämonisierung als Körper und Geist gefährdende Droge, soll diese halluzinogene Substanz nun dabei helfen, das seelische Gleichgewicht der therapieresistenten Patienten wieder herzustellen. Großbritannien und die Schweiz gehören zu den wenigen Ländern, in denen seit einigen Jahren die Wirkung von LSD auf den Menschen systematisch untersucht wird. Mit ersten Ergebnissen: So ist das Potenzial von LSD, sich selbst zu schädigen, im Vergleich zu anderen psychotropen Substanzen wohl eher gering. Bei Krebspatienten im finalen Stadium linderte LSD deren Ängste – allerdings war die Teilnehmerzahl dieser Studie sehr klein. Und laut einer Studie scheint es, dass die bewusstseinsverändernde Substanz vor allem an so genannte Serotonin-5-HT2A-Rezeptoren andockt, über deren Stimulation sie ihre Wirkung im Gehirn ausübt. 5-HT-Rezeptoren spielen ein wichtige Rolle in verschiedenen neuronalen Prozessen, darunter Gedächtnis, Stimmung, Thermoregulation, Appetit, Kognition oder Lernen.
In einer weiteren Studie mit gesunden Probanden konnte ein Forscherteam der Universität Basel dieses Jahr zeigen, dass LSD auf eine Hirnregion einwirkt, die für die Verarbeitung von negativen Emotionen wie Angst von zentraler Bedeutung ist. Wie die Wissenschaftler um Stefan Borgwardt in einem Artikel in der Fachzeitschrift Translational Psychiatry mitteilen, reduziert die Einnahme von LSD die Aktivität in der Amygdala, die zum limbischen System gehört und an der Furchtkonditionierung beteiligt ist. Borgwardt, der Chefarzt an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und Leiter der Forschungsgruppe Neuropsychiatrie und Gehirn-Bildgebung ist, interessiert sich seit vielen Jahren für LSD: „Im klinischen Alltag bin ich immer wieder mit Patienten konfrontiert, die diese Substanz konsumiert haben, doch es gab keine Studien, die beschrieben hätten, was LSD unmittelbar im Gehirn macht.“ An der Untersuchung von Borgwardt und seinem Team nahmen 20 gesunde Personen teil. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Hälfte der Probanden erhielt 100 Mikrogramm LSD, die andere Hälfte ein Placebo. Weder Forscher noch Probanden wussten, welche Substanz sie erhielten. Jeder Studienteilnehmer wurde deshalb über den gesamten Zeitraum der Untersuchung engmaschig überwacht. „Ein Arzt saß die ganze Zeit neben dem gerade untersuchten Probanden und stellte so sicher, dass dieser keine Schäden davonträgt“, berichtet Borgwardt.
Die Studienteilnehmer mussten sich für die Messung ihrer Gehirnaktivität in die Röhre eines MRT-Geräts legen. Die Forscher zeigten ihnen dann Bilder von Gesichtern, die verschiedene Gefühlslagen wie Wut, Freude oder Angst darstellten. Die Wissenschaftler sagten ihnen aber nicht, dass sie sich darauf fokussierten sollten, sondern nur, dass sie überlegen sollten, ob männliche oder weibliche Gesichter zu sehen wären. Da die Probanden sich jeweils eine Stunde lang im MRT-Gerät nicht bewegten durften, war das LSD eher moderat dosiert worden: „Bei einer größeren Dosis wäre es für die Probanden wegen des potenziell größeren Bewegungsdrangs in der engen Röhre sehr unangenehm geworden, außerdem wären womöglich unscharfe MRT-Aufnahmen entstanden“, beschreibt Borgwardt die Einschränkungen der verwendeten Methodik. Bei Probanden aus der Placebogruppe lösten Bilder mit ängstlichen Gesichtsausdrücken eine starke Aktivitätssteigerung auf der linken Seite der Amygdala aus, verglichen mit Bildern mit neutralen Gesichtsausdrücken. Bei Probanden unter LSD-Einfluss war diese Steigerung der Aktivität deutlich weniger ausgeprägt. Und je geringer die Aktivität anstieg, desto stärker nahmen diese Probanden visuelle Veränderungen wahr. „Das waren keine richtigen Halluzinationen, sondern die Probanden hatten den Eindruck, dass sich visuell etwas tut und sie die Gesichter nicht mehr so gut erkennen können“, so Borgwardt. „Da die Amygdala eine sehr hohe Dichte an Serotonin-5-HT2A-Rezeptoren aufweist, passen unsere Ergebnisse sehr gut, auch wenn wir mit der funktionalen MRT-Messung nur den Blutfluss in den einzelnen Gehirnarealen und nicht die Stimulation der Rezeptoren durch LSD erfassen können.“
Er und sein Team fanden bei den Probanden der LSD-Gruppe nicht nur in der Amygdala eine Aktivitätsverminderung sondern auch im medialen präfrontalen Kortex. Von diesem Gehirnareal war schon vorher bekannt, dass es auch an der Prozessierung von Emotionen beteiligt ist. Borgwardt geht davon aus, dass LSD nicht nur auf diese beiden Areale im Gehirn wirkt, sondern breitere Effekte hat: „Wir wollen auch noch erforschen, wie LSD die Konnektivität zwischen den einzelnen Hirnregionen beeinflusst.“ Die Ergebnisse der aktuellen Studie bringen zum ersten Mal die schon lange bekannten Verhaltenseffekte von LSD mit Veränderungen der Aktivität einzelner Gehirnregionen in direkte Verbindung. Da die Amygdala bei Angststörungen sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung aktiviert wird, hält es Borgwardt für möglich, dass LSD prinzipiell bei solchen psychischen Erkrankungen in Ergänzung zu psychotherapeutischen Methoden einsetzbar wäre: „Gerade bei Angsterkrankungen bleiben einige Patienten therapieresistent. Die könnten durch LSD zugänglicher für eine psychotherapeutische Intervention werden.“ Extrem wichtig, so Borgwardt, sei aber ein spezifisches psychotherapeutisches Setting und eine Überwachung durch erfahrene Psychiater, nachdem die Patienten das LSD eingenommen hätten.
Als nächsten Schritt plant Borgwardt in Zusammenarbeit mit Kollegen der Klinischen Pharmakologie des Universitätsspitals Basel und einem niedergelassenen Psychiater eine weitere Studie mit Patienten, bei denen Angststörungen als Begleitsymptome anderer Krankheiten auftreten. Auch in dieser Studie möchten die Forscher um Borgwardt bei den Patienten die Wirkung von LSD auf die Gehirnaktivität mithilfe der funktionalen MRT messen. Erst wenn diese Studie die bisherigen Ergebnisse bestätigen sollte, könnte sich Borgwardt den Einsatz von LSD in einer größeren Studie vorstellen – mit Patienten, die an psychiatrischen Erkrankungen leiden. Im Gegensatz zur Schweiz, wo neben Borgwardt noch andere Wissenschaftler Studien mit LSD und anderen Halluzinogen in Angriff nehmen wollen, findet in Deutschland keine vergleichbare Forschung statt. Grundsätzlich lassen sich auch hierzulande solche Studien durchführen, doch seit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes im Jahr 2004, müssen Wissenschaftler bei klinischen Studien mit Medikamenten dieselben Ansprüche erfüllen wie die Pharmaindustrie. Substanzen, die Probanden verabreicht werden, müssen chemisch vollkommen rein und vorher aufwändig toxikologisch getestet worden sein. Auch das Produktionsverfahren für diese Substanzen muss zertifiziert werden.
Die Kosten für solche Studien in Deutschland sind so hoch, dass es für Universitäten so gut wie nicht mehr möglich ist, sie eigenständig zu verwirklichen. Von der Pharmaindustrie ist keine finanzielle Hilfe zu erwarten, da sich LSD sich nicht patentieren lässt. „Das ist bedauerlich, denn die Forschung mit Halluzinogenen für die therapeutische Anwendung hat großes Potenzial“, sagt Torsten Passie von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Gerade bei den Psychopharmaka hat es in den letzten 30 Jahren keine wesentlichen Neuentwicklungen gegeben und die Pharmaindustrie hat sich auf diesem Gebiet größtenteils zurückgezogen.“ Nach Ansicht von Passie ist die Wirkung von LSD nicht auf die Amygdala beschränkt: „Auch ein Glas Bier vermindert die Aktivität der Amygadala und dämpft die Angst. LSD beeinflusst das gesamte Gehirn, was bisher nur in Ansätzen verstanden wird.“ Die Ergebnisse von Borgwardt und seinem Team, so Passie, beschrieben einen wichtigen Aspekt der LSD-Wirkung. Man sollte sich aber hüten, diesen Aspekt als Ganzes zu nehmen.
Die Nebenwirkungen von LSD hält Passie für beherrschbar: „LSD hat beim Menschen kein Suchtpotenzial. Auch Flashbacks treten nur gelegentlich für Sekundenbruchteile auf und führen zu keinem dauerhaften Leiden.“ Dennoch plädiert der Forscher für eine sehr sorgfältige Gestaltung der Rahmenbedingungen, wenn man Patienten mit LSD behandelt. Denn es bestehe die Möglichkeit, dass die Einnahme von LSD zu traumatogenen Erlebnissen führe und die Patienten massive Angstgefühle bekämen. Deswegen, so Passie, sollten Versuche mit LSD nur in der Klinik unter Beobachtung von dafür ausgebildeten Psychiatern stattfinden – an Patienten mit leichten und mittelgradigen Depressionen, nicht aber an solchen mit schweren affektiven Störungen. Andere Experten in Deutschland sind skeptischer, ob sich Stoffe wie LSD wirklich für Therapien bei Patienten mit psychischen Erkrankungen eignen. „Besonders bei schweren depressiven Episoden sind die Patienten sehr verletzlich und die Gefahr ist groß, dass deren seelischen Wunden durch die Wirkung von LSD noch mehr aufreißen, man als das Gegenteil von dem erreicht, was man möchte“, sagt Hans Förstl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. „Das Gehirn ist so komplex, dass es eigentlich vermessen ist zu glauben, mit einer kleinen Tablette schwere Lebenskrisen wegzutherapieren.“ Man versuche deshalb, so Förstl, eher mit Psychotherapie und Psychopharmaka Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein schwer erkrankter Patient wieder mit sich ins Reine komme. „Je schwerer die psychische Erkrankung ist, desto stärker ist auch das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen und desto mehr Geduld aufseiten des Psychiaters erfordert die entsprechende Therapie, auch wenn der Wunsch groß ist, heftig zuzupacken, um den Patienten aus seinem schwarzen Loch herauszuholen“, so Förstl.