Keine Frage: Patienten müssen über potentielle Risiken einer Behandlung aufgeklärt werden. Was ihr euch aber verkneifen solltet, erfahrt ihr hier.
Der Begriff Nocebo-Effekt beschreibt Beschwerden oder Symptomverschlechterungen im Rahmen von Behandlungen, die durch negative Suggestionen, Erwartungen, sowie Konditionierung oder das Lernen durch Beobachtung hervorgerufen werden. Die Aufklärung über Komplikationen einer Therapie und die dadurch entstehende negative Erwartung der Patienten erhöhen die Häufigkeit unerwünschter Wirkungen von Medikamenten oder Maßnahmen.
Häufig werden solche Suggestionen versehentlich erzeugt. Es ist wichtig, dass wir uns als Behandler dieser Effekte bewusst sind und versuchen unsere Sprache gezielt zugunsten der Patienten einzusetzen. Im Folgenden werden einige Beispiele genannt, wie versehentliche negative Suggestionen aussehen könnten.
Durch diese Aussage wird suggeriert, dass sich der Behandler selbst nicht sicher ist, ob das Medikament einen Nutzen erbringen wird. Eine solche Haltung wirkt sich nachweislich ungünstig auf die Therapietreue aus und kann die Wirksamkeit der Medikation verringern. Dieser Effekt ist besonders für Schmerzmittel untersucht. Besser wäre: Ich habe ein Medikament für Sie ausgesucht, das bei Ihrem Problem besonders gut wirkt und auf das ich Sie gerne einstellen würde.
Patienten befinden sich zum Beispiel in Vorbereitung auf die Narkose in einer absoluten Ausnahmesituation und stehen unter Stress. Es wird sogar postuliert, dass die Patienten sich in einer Art Trancezustand befinden, in dem sie besonders vulnerabel gegenüber Suggestionen sind. Die Aussage suggeriert, dass der Patient die Narkose nicht überleben wird – eine Angst, die viele Menschen vor einer Operation umtreibt. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln und klar mit den Patienten zu kommunizieren. „Gleich wird die angenehme Narkose einsetzten. Ich werde die ganze Zeit über bei Ihnen sein.“
Häufig gehen wir als Behandler davon aus, dass es für unsere Patienten leichter wird, wenn wir eine schmerzhafte Manipulation vorher ankündigen, da wir sie so auf das unangenehme Ereignis vorbereiten. Das tun wir auch, jedoch erzeugt die negative Erwartung ganz im Gegenteil zur gut gemeinten Intention eine Zunahme des Schmerzerlebens. In einer Studie mit 100 Patienten zeigten jene, die mit den Worten „Das sticht jetzt“ auf die Blutentnahme vorbereitet wurden, signifikant mehr Schmerzen als die Vergleichsgruppe, die mit dem Satz „Ich fange jetzt an“ adressiert wurde.
In einer anderen Studie wurde Schwangeren in Vorbereitung auf eine PDA eine Lokalanästhesie verabreicht, die angekündigt wurde mit: „Wir werden Ihnen jetzt eine Lokalanästhesie geben, die den Bereich taub macht, wo wir die Epidural-Spinal-Anästhesie durchführen, damit es für Sie angenehm ist.“ Alternativ wurde die Prozedur angekündigt mit den Worten: „Sie werden jetzt einen Stich und ein Brennen am Rücken spüren, als hätte Sie eine Biene gestochen, das ist der schlimmste Teil der ganzen Prozedur.“ Der empfundene Schmerz war bei dem zweiten Text signifikant stärker.
Dabei bilden sich die Patienten nocebobedingte Schmerzen nicht ein. Funktionelle Magnetresonanz zeigt: Bei ihnen sind schmerzassoziierte Regionen im zentralen Nervensystem aktiv. Endogene Opioide und Dopamin werden vermindert freigesetzt. ACTH und Cortisol sowie Cholecystokinin werden vermehrt ausgeschüttet, wobei letzteres die Wirkung endogener Opioide aufhebt.
Damit werden erneut negative Erwartungen stimuliert. Gleiches gilt für Aussagen wie: „Sie brauchen keine Angst zu haben, es ist nicht so schlimm“ oder „Drücken Sie feste auf den Tupfer, damit es nicht blutet“, „Holen Sie Luft, dann tut es nicht so weh“. Das Gehirn ist darauf ausgerichtet Gefahren wahrzunehmen – gerade in Stresssituationen. Dadurch werden die angstauslösenden Worte besonders stark wahrgenommen. Was die Patienten unterbewusst hören sind also die Worte „Schmerz“, „Angst“, „schlimm“, „bluten“, „weh tun“.
Die ärztliche Aufklärung stellt gerade in Bezug auf Noceboeffekte eine echte Zwickmühle dar. Zum einen möchte man Patienten gut informieren und muss sich auch selbst rechtlich absichern, um nicht wegen eines Behandlungsfehlers wegen unzureichender Aufklärung belangt zu werden. Zum anderen möchte man auch keine Ängste schüren oder die Behandelten übermäßig verunsichern. Deshalb ist es wichtig, bei der Aufklärung sensibel auf das Gegenüber einzugehen. Es gibt ein Anrecht auf Aufklärung, aber auch ein Anrecht darauf, nicht aufgeklärt zu werden.
Es ist sinnvoll, mit den Patienten vorher darüber zu sprechen, ob sie vollumfänglich informiert werden wollen oder keine Informationen über milde und/oder passagere Nebenwirkungen erhalten möchten. Dabei kann auch der Noceboeffekt kurz erklärt werden. Selbst bei Verzicht auf die Aufklärung müssen Patienten jedoch ein Mindestmaß an Informationen erhalten. Lebensgefährdende Risiken müssen offensichtlich mitgeteilt werden. Inhalt und Umfang der Risikoaufklärung hängen einerseits wesentlich von der Stärke der medizinischen Indikation und andererseits von der Schwere der möglichen Komplikation ab. Beispiel: Schönheitsoperation versus Koronarintervention bei Infarkt. Wünschen die Behandelten keine Aufklärung ist es wichtig das gut – möglicherweise sogar im Beisein eines Zeugen – auf dem Aufklärungsbogen zu dokumentieren und vom Patienten unterschreiben zu lassen.
Bei der Mitteilung von Gefahren oder Nebenwirkungen ist erneut ein bewusster Umgang mit Sprache hilfreich. Insbesondere sollten nicht nur die Risiken genannt, sondern auch der Nutzen der Behandlung erklärt werden. Weiterhin kann auch hier darauf geachtet werden, nicht auf das Negative zu fokussieren. Es macht statistisch keinen Unterschied ob wir sagen „10 % der Patienten erleiden Komplikationen“ oder „Bei 9 von 10 Patienten verläuft der Eingriff komplikationslos.“ – psychologisch jedoch schon.
Teilen wir Behandelten Informationen mit, kann zudem der Effekt des Framings genutzt werden. Die erste und letzte Information werden besonders gut aufgenommen. Es gibt also Sinn positiv zu beginnen und zu schließen. Da Noceboeffekte mit Konditionierung zu tun haben, sollten Mehrfachaufklärungen vermieden werden, da negative Erwartungen dadurch manifestiert und bestimmte Beschwerden dadurch erst ausgelöst werden können. Mit dem Patienten kann bei Wiederholungsuntersuchungen der Aufklärungsverzicht besprochen und dann dokumentiert werden. Zum Abschluss des Gespräches ist es sinnvoll die Patienten noch einmal zu fragen, ob es innerhalb der Aufklärung etwas gab, dass sie verunsichert, irritiert oder geängstigt hat oder Fragen aufgekommen sind, um eventuelle Ängste zu besprechen.
Ein bewusster Umgang mit Sprache kann für unsere Patienten viel Positives bewirken. Es macht deshalb Sinn, sich einmal selbst im Alltag zu beobachten und seine Sprache entsprechend anzupassen. Kommunikationstrainings können helfen, Menschen, die im medizinischen Bereich tätig sind, oder es werden wollen, für die Effekte zu sensibilisieren.
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