Nicht erst die Lücken im Datennetz zwischen Hannover und Berlin zeigen, dass Deutschland ein Problem in Sachen Digitalisierung hat. Zumindest in seinem Haus will Lauterbach vorankommen – mit Zwangsmaßnahmen.
Gemeinsam mit seinem Ministerkollegen Volker Wissing (Bundesminister für Verkehr und Digitales, FDP) stellte Karl Lauterbach (Bundesminister für Gesundheit, SPD) kürzlich die nächsten Schritte und Ziele für das umzusetzende Digitalgesetz sowie das Gesundheitsdatennutzungsgesetz vor.
Dass man sich von politischer Seite überhaupt zu einem Zwischenstandsbericht genötigt sah, darf man als Replik auf die Themenvielfalt des zeitgleich stattfinden Digital Health Kongresses (DMEA) in Berlin sehen – ließen sich die Minister doch nur übersichtlich viele Details entlocken. Vielleicht wollte Lauterbach auch die Gelegenheit nutzen, um die Wogen in der Ärzteschaft zu glätten und die Bereitschaft zur Mitarbeit zu erhöhen. War er es doch, der bereits im März in guter Twitterer-Manier etwas forsch die Mitarbeit seiner ärztlichen Kollegen einforderte:
Insbesondere die elektronische Patientenakte als Kernstück des Digitalgesetzes, besser gesagt: deren sinnvolle Nutzung und Befüllung, wurde nun mit etwas Stoff unterfüttert. Klar war bis hierhin: Die ePA in der neuen Opt-out-Version kommt verpflichtend ab 2024. Sie soll die digitale Kommunikation innerhalb der jeweils behandelnden Ärzteschaft erleichtern, dem Patienten Transparenz und Mitsprache bieten und der Forschung als Datengrundlage dienen. Was bis zu diesem Traumzustand alles zu tun sei, wird nun peu à peu offensichtlich und steht und fällt mit den jeweilig einzuspeisenden Daten. Ob Behandlungs- und Krankenhausdaten, Laborbefunde, Medikationspläne oder Rezepte – die ePA soll dann alles können.
Einen ersten Schritt machte Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin für Digitalisierung und Innovation im Bundesgesundheitsministerium (BMG), im Rahmen des Kongresses. Ganz in Manier ihres Chefs verpflichtete sie für die ersten Umsetzungsschritte die Ärzteschaft selbst. Sprich: die Medikationsübersichten auch in der ePA jederzeit aktuell zu halten.
Wie das funktionieren soll, erfuhr man nur auf Umwegen. So soll der elektronische Medikationsplan (eMP) basierend auf dem Bundesmedikationsplan (BMP) zwar in neuer FHIR-Struktur, aber sonst weitgehend unverändert, in die ePA eingebettet werden. Weiter steht der Gedanke im Raum, die eMedikation als Medizinisches Informationsobjekt (MIO) anzulegen. Welche Variante es am Ende auch wird, es ist klar: Auf euch, liebe Ärzte, wartet Digitalarbeit – und im Zweifelsfall Nachhilfe. Und auch: So eine welt- und praxisfremde Parallelstruktur aus Zettelwirtschaft und Digitalprodukt wie beim eRezept darf es nicht nochmal werden.
Im Schatten des Mammutprojekts ePA kommt derweil der pikantere, weil sensiblere Part der Digitalisierung daher. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz soll die Grundlage zur Forschung mit pseudonymisierten Daten schaffen – und damit die Basis für Industrie und Forschung auf Weltniveau darstellen. „Zukunftsweisende Forschung wird erst dadurch möglich. […] Eigentlich ist alles da. Aber uns fehlen die Daten“, so der Gesundheitsminister. Neben der Datensicherheit verbürgte sich der Minister für die Ziele dieser neuen digitalen Wege – so orientiere man sich bei der Freigabe für Forschungsanfragen nicht an hochtrabenden oder unbekannten Namen sondern an der Forschungsqualität, die hinter dem Antrag steht. Anders ausgedrückt: Nicht nur Universitäten, auch private Unternehmen sollen forschen dürfen.
Für mehr Aufmerksamkeit sorgte derweil ein ganz anderes Steckenpferd des Ministers: die künstliche Intelligenz. In Zeiten, wo Programme eigen“händig“ Texte schreiben, die Robotik industrielle Fertigungen optimiert, computergesteuerte Operationen zunehmen, darf auch die medizinische (Daten-)Verwaltung nicht hintanstehen. Dass der Gebrauch der KI im Gesundheitssektor – weder im praktischen behandelnden Alltag noch in der Forschung – grade erst am Anfang steht und die Menge Einsatzmöglichkeiten kaum abzusehen ist, ist weithin Konsens. Ebenso, dass sich das exponentiell wachsende Wissen der Maschinen aus eben jenen zuvor angelegten Daten speist, ist evident – tut es das in anderen Branchen bereits ebenso erfolgreich.
Nur geht es da nicht um Diagnosen, Medikamente und zuletzt Menschenleben. Mit welchen Algorithmen man die Maschinen also nun arbeiten und lernen lässt, wie das „Machine Learning“ gestaltet werden soll und wie man mit den Datenmengen umgeht, gelte es in naher Zukunft festzulegen. Eine nächste Station auf der KI-Reise ist der Juli: Dann will der Minister US-amerikanische und andere medizinische KI-Forschungszentren nach Berlin laden und die Köpfe zusammenstecken.
Nicht etwa durch Maschinen wird der nächste Kopf im Namen der Digitalisierung ersetzt. Der dazugehörige Name: Markus Leyck Dieken, ehemals Pharmamanager. Der seit 2019 amtierende Gematik-Chef ließ zwar – ebenso wie Lauterbach – keine Gelegenheit aus, um im Rahmen der DMEA Business-as-usual vorzuführen. Doch das Getuschel blieb. Die von The Pioneer am Morgen des ersten DMEA-Tags lancierte Nachricht von Leyck-Diekens Demission wurde vom BMG zwar dementiert, bekannt ist aber auch: Die Kritik am Gematik-Chef nahm zuletzt zu. Dazu kommt: Im Rahmen des Digitalgesetzes soll die Gesellschaft für Telematik ohnehin vollständig verstaatlich werden. Der Vertrag des Geschäftsführers endet im Sommer 2024.
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