Chronische Wunden stellen weltweit ein zunehmendes medizinisches und wirtschaftliches Problem dar. Der überwiegende Teil dieser Wunden manifestiert sich als diabetisches Fußsyndrom, Dekubitus, Wunden bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder auch als Ulcus cruris. In Deutschland liegen die Krankheitskosten der Patient:innen mit chronischem Ulcus cruris bei 9.500 Euro pro Patient:in und Jahr, wobei eine gesicherte Diagnose einen großen Einfluss auf die Kosten haben kann. Was hingegen noch unklar ist – welche Bedeutung haben Komorbiditäten (z.B. das metabolische Syndrom) sowie Kofaktoren (z. B. Körpergröße) auf den Verlauf des chronischen Ulcus cruris? Mit dieser Frage befassten sich Finja Jockenhöfer, Assistenzärztin, und Prof. Dr. med. Joachim Dissemond, beide in der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Essen. In ihrer multizentrischen Studie untersuchten sie nicht nur die Genese, sondern auch die Komorbiditäten und Kofaktoren von 1.000 Patient:innen mit chronischem Ulcus cruris aus zehn dermatologischen Wundzentren.
Das Ulcus cruris venosum war mit 51,3 % die häufigste Genese, gefolgt vom Ulcus cruris mixtum mit 12,9 % und Ulcus cruris arteriosum mit 11,0 %. Als weitere Diagnosen bestand Vaskulitis bei 4,5 %, Trauma bei 3,2 %, Pyoderma gangraenosum bei 2,8 %, Lymphödem bei 1,7 %, Neoplasie bei 1,0 % und postoperative Wundheilungsstörungen bei 0,6 % der Patient:innen. Bei 11,0 % der Patient:innen konnte die exakte Genese nicht eruiert werden [Abb. 1]. Von den 513 Patient:innen mit einem Ulcus cruris venosum hatten 239 (46,7 %) eine Thrombose und / oder ein postthrombotisches Syndrom.
Abb. 1: Genese des chronischen Ulcus cruris bundesweit.
Zu erwähnen sei, dass in dieser Studie ausschließlich dermatologische Wundzentren eingeschlossen wurden. Dies könnte dazu geführt haben, dass die untersuchte Patientenpopulation eine Negativselektion der Patient:innen darstellt, da unkomplizierte Wunden häufiger beispielsweise von Hausärzt:innen erfolgreich behandelt werden können. Zudem findet in Deutschland eine fachspezifische Vorselektion der Patient:innen statt. So erfolgt die Behandlung venöser Erkrankungen oft bei phlebologisch weitergebildeten Dermatolog:innen, wohingegen arterielle Erkrankungen eher bei Angiolog:innen oder Gefäßchirurg:innen diagnostiziert und therapiert werden.
Ebenso heterogen wie die Genese stellt sich die Verteilung der Komorbiditäten dar. Aktuelle Schätzungen des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) besagen, dass 20 Millionen Menschen in Deutschland von einem metabolischen Syndrom betroffen sind. Von den untersuchten Patient:innen wiesen 70,5 % einen manifesten Hypertonus, 27,2 % eine Glukosetoleranzstörung in Form eines Diabetes mellitus Typ 2 und 24,4 % (n = 738) eine Hyperlipidämie auf. Insgesamt hatten 45,2 % (n = 746) einen BMI ≥ 30 und waren somit (nach WHO) adipös. Außerdem gab es in dieser Population verschiedene Kombinationen von Risikokonstellationen, die somit insgesamt bei 18,4 % der Patient:innen mit einem metabolischen Syndrom zu vereinbaren waren [Tab. 1].
Metabolisches Syndrom
Genese
absolut
%
Ulcus cruris venosum
84
45,7
513
16,4
Ulcus cruris mixtum
33
17,9
129
25,6
Ulcus cruris arteriosum
27
14,7
110
24,5
Unklar
23
12,5
20,9
Vaskulitis
5
2,7
38
13,2
Posttraumatisches Ulcus cruris
4
2,2
32
Lymphödem
3
1,6
17
17,6
Pyoderma gangraenosum
2
1,1
28
7,1
Post OP
6
33,3
Neoplasie
1
0,5
10
10,0
Gesamt
184
100
1.000
Tab. 1: Metabolisches Syndrom in Bezug auf die Genese des chronischen Ulcus cruris.
Am häufigsten hatten die Patient:innen mit vaskulärer Genese einen Hypertonus, so waren es beim Ulcus cruris mixtum 88,4 %, Vaskulitis 84,2 %, Ulcus cruris arteriosum 73,6 % und Ulcus cruris venosum 66,2 %. Diese Assoziation könnte durch das pathologische Zusammenspiel von degenerierten venösen, atherosklerotisch veränderten arteriellen und inflammatorisch geschädigten Gefäßen aufgrund des permanenten Hypertonus bedingt sein.
Bei 45,2 % der Patient:innen zeigte sich eine Adipositas. Besonders oft fand sich diese mit 91,6 % beim Vorhandensein eines Lymphödem, gefolgt mit 53,8 % mit Pyoderma gangraenosum. Der kausale Zusammenhang des Lymphödems und der Adipositas lässt sich u. a. durch den naheliegenden Bewegungsmangel erklären. Für Patient:innen mit Pyoderma gangraenosum wurde aktuell diskutiert, dass Adipositas bei 32,6 % einen relevanten Kofaktor der Inflammation darstellt. Diese Daten sind vergleichbar mit den hier gezeigten Resultaten. Die gestörte Glukosetoleranz beim Diabetes mellitus Typ 2 spielt bei Patient:innen mit Ulcus cruris arteriosum (46,4 %) und mixtum (37,2 %) eine große Rolle. Auch eine Hyperlipidämie lag bei mehr als einem Drittel der Patient:innen mit arteriellen (34,9 %) und gemischt (33,7 %) bedingten Ulzera vor. Auch hier könnten atherosklerotische Umbauten der Gefäße, begünstigt durch die Komorbiditäten mit einhergehender Hyperglukosämie und Hyperlipidämie eine Erklärung liefern.
Die vollständige Risikokonstellation des metabolischen Syndroms zeigte die deutlichste Verbreitung bei Patient:innen mit vaskulär bedingten Wunden. Etwa ein Viertel dieser Diagnose entfiel auf die arteriellen (24,5 %), gemischten (25,6 %) und venösen Ulzera (16,4 %). Insgesamt zeigt sich, dass die Komorbiditäten, deren Manifestation im arteriellen Gefäßsystem liegt, gehäuft bei Patient:innen mit einem Ulcus cruris arteriosum und mixtum auftreten.
Neben den Komorbiditäten gibt es noch weitere Faktoren, die Einfluss auf die Wundheilung haben. So zeigte sich, dass mit zunehmendem Lebensalter eine pAVK (p = 0,022), auch kombiniert mit CVI (p = 0,001), häufiger diagnostiziert wurde. Dies lässt sich durch die voranschreitende Atherosklerose im zunehmenden Lebensalter erklären. Entgegengesetzt verhielt sich die Korrelation beim Lymphödem (p = 0,01) oder Pyoderma gangraenosum (p = 0,001). Diese Diagnosen wurden umso häufiger gestellt, desto jünger die Patient:innen waren. Eine CVI korrelierte signifikant positiv (p = 0,002) mit der Bestehensdauer, diese wiederum mit dem Lebensalter, welches mit einer gesteigerten Inzidenz der CVI einhergeht. Das Pyoderma gangraenosum hingegen korrelierte signifikant negativ (p = 0,039) mit der Bestehensdauer, was den Verlauf einer schubförmig, rasch auftretenden und meist extrem schmerzhaften Erkrankung mit sehr hohem Leidensdruck widerspiegelt.
Es konnte in der multizentrischen Untersuchung neben der Genese der Patient:innen mit chronischem Ulcus cruris gezeigt werden, dass es spezifische Korrelationen der Komorbiditäten und Kofaktoren gibt. Da in den letzten Jahren immer wieder gezeigt werden konnte, dass diese Faktoren negative Prädiktoren der Wundheilung sein können, sollte eine entsprechende Diagnostik und gegebenenfalls Therapie in ein individuelles Gesamtkonzept beispielsweise in Form von strukturierten Behandlungsprogrammen der Patient:innen eingebunden werden.