Bei einem Drittel aller Depressionspatienten helfen keine Antidepressiva. Ist Esketamin eine mögliche Alternative – und was ist mit Nebenwirkungen?
Der Glutamatrezeptorantagonist Esketamin ist als Narkosemittel bekannt. Seit 2019 ist das Enantiomer des Ketamins auch als additive Medikation in der Behandlung der therapieresistenten schweren Depression zugelassen. Es hat auch Einzug in die nationale Versorgungsleitlinie für die Unipolare Depression von 2022 gefunden – wenn auch nur mit einer Kann-Empfehlung. In der Leitlinie heißt es dazu: „Die Evidenzqualität ist niedrig bis moderat, da zwar rein quantitativ ausreichend Daten aus qualitativ guten Studien zur Verfügung stehen, aber mit funktioneller Entblindung zu rechnen ist, die Effekte nicht konsistent sind und alle relevanten Studien direkt vom Hersteller gesponsert waren.“
Als positiv wertet die Leitliniengruppe den neuen Wirkansatz sowie den schnellen Wirkungseintritt. Als Indikation gilt eine aktuelle mittelgradige bis schwere depressive Episode bei Erwachsenen, die auf mindestens zwei antidepressive Therapien nicht angesprochen hat. Weiterhin kann Esketamin als akute Kurzzeitbehandlung zur schnellen Reduktion depressiver Symptome eingesetzt werden, wenn diese nach ärztlichem Ermessen einem psychiatrischen Notfall entsprechen.
In der Vergangenheit wurden positive Effekte von Ketamin i. v. auf Suizidalität vor allem bipolar erkrankter Patienten berichtet. Esketamin erreichte in Studien jedoch keine signifikanten Wirkungen auf den Endpunkt Suizidgedanken. Ob es bezüglich Suizidversuchen und Suiziden effektiv ist, kann laut den Leitlinienautoren aufgrund der kurzen Nachbeobachtungszeit nicht ausreichend beurteilt werden. Die Leitliniengruppe spricht erneut eine offene Empfehlung (Kann-Empfehlung) aus.
Esketamin wird nicht als Monotherapie, sondern immer in Kombination mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder einem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) eingesetzt. In der Kurzzeittherapie wird das Nasenspray zweimal in der Woche für vier Wochen eingesetzt. Bei einer Langzeitbehandlung beginnt die Therapie mit einer vierwöchigen Induktionsphase und wird dann langsam nach unten titriert.
Aufgrund des Nebenwirkungsprofils und der Suchtgefahr ist das Spray nur zur Anwendung unter direkter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal vorgesehen. Nach der Anwendung müssen Patienten nachüberwacht werden. Aktuell ist das Medikament nur über Krankenhausapotheken erhältlich.
Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen in der Zulassungsstudie waren Schwindelgefühl (31 %), Dissoziation (27 %), Übelkeit (27 %), Kopfschmerzen (23 %), Somnolenz (18 %), Geschmackstörung (18 %), Vertigo (16 %), Hypästhesie (11 %), Erbrechen (11 %) und erhöhter Blutdruck (10 %). Besonderer Überwachungsbedarf besteht außerdem hinsichtlich Blutdruckentgleisungen. Wegen der Gefahr von Übelkeit und Erbrechen muss vor der Therapie eine Nüchtern-Phase eingehalten werden. Nach der Therapie dürfen Patienten bis zum Folgetag keine potenziell gefährlichen Tätigkeiten ausüben und somit auch nicht Auto fahren.
Eine Kontraindikation besteht bei Patienten, für die ein Anstieg des Blutdrucks oder des intrakraniellen Drucks ein schwerwiegendes Risiko darstellt (z. B. Patienten nach Hirnblutung oder Patienten mit Gefäßaneurysmen). Besondere Vorsicht gilt außerdem bei allen kardial vorerkrankten Patienten und solchen mit hohem kardiovaskulärem Risiko. Ein frischer Myokardinfarkt stellt daher eine Kontraindikation dar. Auch bei schwerer Nieren- und Leberfunktionsstörung darf das Nasenspray nicht eingesetzt werden.
Pathophysiologisch unterstütz Esketamin als glutamaterger Modulator die Freisetzung von neuronalen Wachstumsfaktoren und kann dadurch die synaptische Funktionalität verbessern und den Verlauf einer Depression günstig beeinflussen. Esketamin trägt zur Wiederherstellung der synaptischen Funktionen in den Hirnregionen bei, die für die Stimmungs- und Emotionsregulation zuständig sind. Es bewirkt die Wiederherstellung der dopaminergen Neurotransmission in den für das Belohnungs- und Motivationssystem zuständigen Hirnregionen und die verminderte Stimulation der Hirnregionen, die mit Anhedonie assoziiert sind. Dadurch kann eine monoaminerge Therapie sinnvoll ergänzt und eine konstante antidepressive Wirkung erzielt werden, die oft schon innerhalb eines Tages eintritt.
Ungefähr ein Drittel der Patienten mit Depression erreichen Studien zufolge trotz ausreichend dosierter Antidepressiva keine Remission. Für diese Patienten stellt die Therapie mit dem Esketamin Nasenspray eine mögliche Therapiealternative da.
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