Ärzte, es ist so weit: Die Covid-Impfungen gehören zum Standardprogramm. Ob ihr auch gesunde Kinder impfen solltet und wem die STIKO eine jährliche Auffrischung empfiehlt, erfahrt ihr hier.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat ihre Empfehlungen für eine Aufnahme der Covid-Impfungen in den regulären Impfplan des Robert-Koch-Instituts formuliert. Sie folgt damit auf Großbritannien und die USA, wo in den letzten Wochen ebenfalls entsprechende Empfehlungen veröffentlicht wurden. Die STIKO-Empfehlung ist noch nicht final publiziert. Sie geht ab heute, wie bei STIKO-Empfehlungen üblich, in das Stellungnahmeverfahren bei den relevanten Fachgesellschaften. Dieses dauert meist etwa zwei Wochen, danach erfolgt dann die offizielle Veröffentlichung. „Kleinere Änderungen sind daher noch möglich“, betonte STIKO-Mitglied Martin Terhardt.
Konkret schlägt die STIKO vor, künftig drei Hauptgruppen zu unterscheiden, nämlich:
Gesunden Erwachsenen bis 59 Jahren wird demnach künftig eine Grundimmunisierung empfohlen, die zur Basisimmunität führt. Diese Grundimmunisierung ist erreicht mit drei Antigenkontakten. Das heißt, auch „Mischungen“ aus Impfungen und Infektionen gelten. „Unsere Empfehlung lautet, dass mindestens zwei Antigenkontakte als Impfungen erfolgen sollten“, so Terhardt. Der Abstand zwischen dem zweiten und dritten Antigenkontakt sollte dabei im Idealfall mindestens 6 Monate betragen.
Christian Bogdan, ebenfalls STIKO-Mitglied, betonte mit Blick auf die gesunden Erwachsenen ausdrücklich, dass insbesondere jene wenigen, die bisher noch immunologisch naiv sind, sich dringend impfen lassen sollten: „Es gibt weiterhin Menschen, die an COVID-19 versterben. Wer weder geimpft ist noch eine Infektion hatte, kann sehr schwer erkranken.“
Was den Impfstoff angeht, erfolgt die Grundimmunisierung mit dem Wildtyp-Impfstoff. Dies hänge im Wesentlichen damit zusammen, dass die bivalenten Impfstoffe in Europa, anders als in den USA, bisher nur für Auffrischimpfungen zugelassen seien, so Terhardt. Wenn die EMA sich hier bewege, seien Änderungen denkbar. Der STIKO-Experte wies allerdings darauf hin, dass der US-Empfehlung, bereits zur Grundimmunisierung bivalente Impfstoffe zu nutzen, weniger immunologische Erwägungen zugrundelägen als vielmehr das Ziel, ein möglichst einfaches Impfschema zu haben.
Für die zweite Gruppe derer, die ab einem Alter von 6 Monaten ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben, lautet die vorläufige STIKO-Empfehlung, sich regelmäßig, im Idealfall im Herbst, mit Stand im Moment einem bivalenten Impfstoff auffrischen zu lassen. Es sei allerdings durchaus denkbar, dass das Auffrischintervall von einem Jahr künftig in Richtung 2 oder 3 Jahre verlängert werde, wenn sich herausstelle, dass der Schutz vor schweren Erkrankungen anhaltend sei, so Terhardt. Die Experten betonten, dass es sich zumindest im kommenden Herbst anbiete, diese Auffrischimpfung mit einer Grippe-Impfung zu kombinieren. Auch hier: Es soll den Beteiligten möglichst einfach gemacht werden. Dass bis kommenden Herbst bereits ein kombinierter Grippe-Covid-Impfstoff vorliegen könnte, gilt als unwahrscheinlich.
Keine Empfehlung zu einer Auffrischimpfung gibt es für schwangere Frauen ohne weitere Risikofaktoren, sofern diese über eine wie oben definierte Basisimmunität verfügen. Ist dies nicht der Fall, also gab es zum Beispiel bisher nur eine oder zwei Impfungen bzw. zwei Antigenkontakte, wird eine Auffrischimpfung ggf. auch noch während der Schwangerschaft empfohlen. Alle anderen Schwangeren brauchen demnach keinen erneuten Booster.
Gespannt waren viele darauf, wie sich die STIKO bei den Kindern und Jugendlichen positionieren würde. Hier hatte sich international allerdings schon ein Trend weg von den Impfempfehlungen angedeutet. Wie bei vielen anderen Pandemieentscheidungen zieht Deutschland jetzt mit etwas Verzögerung nach. Es gibt künftig keine Impfempfehlung mehr für Kinder und Jugendliche, sofern sie nicht, wie oben aufgeführt, in eine Risikogruppe fallen.
Dem liege die Tatsache zugrunde, dass der Nutzen der Impfung massiv altersabhängig sei, so Bogdan. Auf diesen Punkt wies auch der Kinderarzt Terhardt hin. Da die zu Lebensbeginn ja zwangsläufig noch Covid-immunnaiven Kleinkindern nur ein sehr geringes Risiko für schwere Verläufe hätten, gebe es hier keine generelle Impfempfehlung. Terhardt wies auch darauf hin, dass die in der Regel folgenlosen, immunologisch vermittelten PIMS mittlerweile praktisch nicht mehr aufträten, möglicherweise weil Omikron ein geringeres PIMS-Potenzial hat. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie habe ihr PIMS-Monitoring bei Covid deswegen auch eingestellt.
Dennoch: Gerade bei den Kinderimpfungen dürfte es auch weiterhin eine gewisse Elastizität geben. Auf Nachfrage, was er persönlich sagen würde, wenn Eltern eine Kleinkindimpfung wünschen, sagte Terhardt, dass er im Moment nicht zu einer Impfung raten würde. Der Immunologe Carsten Watzl wiederum, selbst nicht STIKO-Mitglied, wies darauf hin, dass die STIKO in ihren Empfehlungen explizit darauf schreibe, dass die Impfung bei Kindern und Jugendlichen zumindest auch nicht schade. Das öffnet die Tür für eine individuelles Vorgehen.
Grundsätzlich steht hier, wie bei den gesunden Erwachsenen, allerdings noch die Frage im Raum, inwieweit nicht STIKO-empfohlene Covid-Impfungen künftig noch von der GKV erstattet werden. Der Normallfall ist, dass nicht STIKO-empfohlene Impfungen nicht von der GKV erstattet werden. Die Entscheidung trifft üblicherweise der Gemeinsame Bundesausschuss. Allerdings gab es von diesem Normalfall schon vor COVID-19 viele Ausnahmen. Derzeit stellt sich die Frage ohnehin noch nicht akut, da die Covid-Impfstoffe bisher vom Staat und nicht von der GKV finanziert werden.
Die neue STIKO-Empfehlung soll nicht zuletzt dazu führen, dass nicht alle halbe Jahr neue Impfempfehlungen gegeben werden müssen. Ähnlich wurden die neuen Impfpläne auch in den USA und in Großbritannien kommuniziert. „Back to business as usual“ also? Noch nicht so ganz. Die STIKO geht durchaus von Änderungen ihrer Empfehlungen in den nächsten Jahren aus. Dass sich das Auffrischintervall verlängern könnte, wurde schon angesprochen. Hier ist die Dauer des Schutzes vor schweren Verläufen die Unbekannte.
Eine andere Unbekannte ist COVID-19 selbst, wie Watzl noch einmal betonte: „Diese Empfehlung steht unter der Prämisse, dass auch im Herbst noch Omikron-Varianten oder ähnlich harmlose Varianten kursieren. Wir hoffen alle, dass das so bleibt.“ Die Frage der Varianten ist auch relevant für die Frage, inwieweit Covid-Impfstoffe den Weg der Grippeimpfstoffe gehen und eventuell angepasst werden müssen.
Watzl sieht dafür aktuell keinen Grund, betont aber auch, dass Sprünge des Virus wie jener in Richtung Omikron, der zur Entwicklung der Omikron-spezifischen Impfstoffe führte, möglich bleiben. Passiere das, dann müssten die neuen Varianten evaluiert, und es müsse bei den Auffrischimpfungen gegebenenfalls nachgesteuert werden. Auch Bogdan betonte noch einmal nachdrücklich, dass SARS-CoV-2 kein neues Influenzavirus sei. Das Influenzavirus sei wesentlich variabler. Es gebe bei SARS-CoV-2 derzeit keinen Grund, aufgrund von Erregervariabilität jährlich neu zu impfen.
Post-Vac und Long Covid scheinen jeweils relativ wenig Einfluss auf die Impfempfehlungen genommen zu haben. Es sei unstrittig, dass jede Impfung zu Impfreaktionen führen könne, die nicht mehr als normal anzusehen seien, so Bogdan. Dies betreffe auch die Covid-Impfungen, aber die jüngsten Diskussionen über Post Vac hätten konkret die Empfehlung bei Kindern und Jugendlichen nicht beeinflusst. Insgesamt seien die Covid-Impfungen als sehr sicher zu bezeichnen. Gleichzeitig müssten aber immer auch extrem seltene Nebenwirkungen bei Nutzen-Risiko-Erwägungen und damit den Impfempfehlungen Berücksichtigung finden.
Was Long Covid angeht, betonten sowohl Terhardt als auch Watzl, dass es Hinweise gebe dahingehend, dass Covid-Impfungen dass Long-Covid-Risiko senken können. Dieser Schutz sei aber allen bisherigen Daten zufolge suboptimal. Zudem sei das Long-Covid-Risiko im Gefolge der Immunitätsentwicklung insgesamt gesunken, sodass Long Covid allein für eine Impfempfehlung bei Kindern und Jugendlichen bzw. gesunden Erwachsenen nicht als ausreichend angesehen wurde.
Bleibt die Gruppe der schwer immunsupprimierten Menschen. Das sind Menschen, die zum Beispiel wegen einer Transplantation Medikamente einnehmen, die das Immunsystem hemmen oder die an einer genetischen oder erworbenen Dysfunktion des Immunsystems leiden. Dies sei keine einheitliche Gruppe, sagte Bogdan, sodass letztlich bei jedem einzelnen Patienten die Situation individuell bewertet werden müsse. Zunächst gelte es, zu klären, ob durch drei Impfungen überhaupt eine Immunität aufgebaut wird. Sei dies nicht der Fall, werde nachgeimpft, gegebenenfalls in kurzen Abständen, mit doppelter Dosis oder mit wechselnden Impfstoffen, um von der zusätzlichen Aktivität eines anderen Adjuvans zu profitieren.
Und die Nasenspray-Impfungen, von denen Karl Lauterbach einst sagte, erst sie würden die Pandemie beenden? Hier äußerte sich Watzl zurückhaltend: Was derzeit entwickelt werde, seien in den meisten Fällen Auffrischimpfungen. Wie lange deren Wirkung an der Mukosa anhalte, müsse man erst einmal abwarten. Zumindest gebe es aktuell in diesem Bereich eine gewisse Forschungsdynamik: „Bis vor ein paar Jahren waren Impfungen langweilig. Die Pandemie hat dazu geführt, dass Impfungen nicht mehr ganz so langweilig sind. Da passiert was.“
Bildquelle: Piron Guillaume, unsplash