… reflexhaft Protonenpumpenhemmer geben, wenn eine NSAR-Dauertherapie im Medikationsplan auftaucht. So lautet eine neue Klug-Entscheiden-Empfehlung der DGIM, die (fast) jeden angeht.
Wenn die Internisten in Wiesbaden tagen, dann ist auch immer die Zeit der Klug-Entscheiden-Empfehlungen. Die ursprünglich aus den USA stammende, griffige Auflistung von Empfehlungen zu alltagsrelevanten diagnostischen oder therapeutischen Fragestellungen hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) vor einigen Jahren nach Deutschland geholt, und sie hat sich mittlerweile etabliert. Eine neue, bei der Jahrestagung in Wiesbaden vorgestellte Empfehlung, beschäftigt sich jetzt mit einem echten Universalthema: Es geht um die Frage, ob und wann bei einer Dauertherapie mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) ein Protonenpumpenhemmer (PPI) gegeben werden sollte.
Hintergrund seien die enorm gestiegenen Verordnungszahlen bei den PPI, sagt Prof. Axel Holstege, früher Klinikum Landshut. Wurden 1993 noch rund 2 Millionen Packungen PPI pro Jahr zulasten der GKV verordnet, waren es 2012 schon 27 Millionen. Das ging in den Jahren danach noch weiter nach oben, erst seit etwa 2017 gibt es eine gewisse Stabilisierung auf sehr hohem Niveau. Dabei sind in den offiziellen GKV-Zahlen die von den Patienten selbst erworbenen PPI noch gar nicht enthalten. Insgesamt ist der Trend unerfreulich, weil PPI Nebenwirkungen haben können. In Assoziationsstudien korreliert ihre Einnahme unter anderem mit Demenz, Drüsenkörperzysten, Oberschenkelfrakturen, Infektionen und interstitieller Nephritis.
Dies sei nicht immer mit härtester Evidenz hinterlegt, so Holstege. Dennoch sei von einer erheblichen Überversorgung auszugehen. Diese Überversorgung hat mehrere Dimensionen. Eine davon ist die nahezu routinemäßige Verordnung eines PPI immer dann, wenn NSAR – oder ASS oder selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – für mehr als ein paar Tage angesetzt werden.
Hier setzt die DGIM mit ihrer neuen Klug-Entscheiden-Empfehlung an. Sie lautet: „Eine Therapie mit einem Protonenpumpenhemmer bei Gabe von nicht selektiven nichtsteroidalen Antirheumatika zur Prophylaxe von gastroduodenalen Ulzera und deren Komplikationen soll NICHT regelhaft erfolgen. Bei Vorliegen von Risikofaktoren ist sie indiziert. Wenn nur der Risikofaktor Alter vorliegt, ist eine Prophylaxe nicht erforderlich.“
Holstege machte das am Beispiel eines 70-jährigen Patienten fest, der wegen unspezifischer Rückenschmerzen begleitend zur Physiotherapie eine Diclofenac-Dauertherapie mit 2 x 75 mg pro Tag erhalten soll. Der Rentner ist fit, anamnestisch sind keine Ulzera oder gastrointestinalen Blutungen bekannt. Weitere Komorbiditäten bestehen nicht. „Dieser Patient kann Diclofenac ohne weitere Maßnahmen erhalten. Eine PPI-Gabe ist nicht erforderlich“, so Holstege.
Liegen Risikofaktoren vor, dann wird es naturgemäß etwas komplizierter. Holstege ging in seinem Vortrag bei der DGIM auf diverse Konstellationen ein. Risikofaktoren seien in erster Linie eine Ulkusanamnese sowie schwere Komorbiditäten. Diese in Verbindung mit einem Alter über 60 Jahre führen zu einer Soll-Empfehlung für eine PPI-Prophylaxe bei Therapie mit nicht-selektiven NSAR. Eine gastrointestinale Blutung in der Anamnese führt ebenfalls zu einer Soll-Empfehlung unabhängig vom Alter. Insbesondere die Bedeutung der Komorbiditäten zum Blutungsrisiko werde breit unterschätzt, so Holstege. So trugen in einer Studie aus dem Jahr 2013 nicht-gastrointestinale Komorbiditäten zu 20 % zum Risiko oberer gastrointestinaler Blutungen in der Studienpopulation bei, NSAR dagegen nur zu 3 %.
Keine Soll-, sondern nur eine Sollte-Empfehlung für PPI gebe es bei alten Menschen mit zusätzlichen Risikofaktoren bei Therapie mit einem Cox-2-Hemmer, so Holstege. Der SSRI erhält sogar nur eine Kann-Empfehlung. Ein klares Soll gibt es darüber hinaus, wenn ein nicht-selektiver NSAR mit ASS oder SSRI oder einem anderen gerinnungshemmenden Präparat kombiniert wird. Grundsätzlich zielführend sei bei alten Menschen mit zusätzlichen Risikofaktoren auch ein Test auf Helicobacter pylori mit anschließender Eradikation vor Beginn einer Dauertherapie mit nicht-selektiven NSAR. Auch hier gebe es in den relevanten Leitlinien eine klare Soll-Empfehlung, betonte Holstege, wobei im Einzelfall diskutiert werden könne, wie danach dann mit der PPI-Prophylaxe verfahren werden sollte.
Quellen
Klug-Entscheiden-Initiative der DGIM www.klug-entscheiden.com
Crooks CJ et al. Comorbidities affect risk of nonvariceal upper gastrointestinal bleeding. https://www.gastrojournal.org/article/S0016-5085(13)00289-8/fulltext
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