Hättet ihr es gewusst? Bei Frauen mit COPD kommt es früher zu einer verschlechterten Lungenfunktion als bei Männern. Diese und weitere frische News vom DGIM-Kongress lest ihr hier.
Auch dieses Jahr findet in Wiesbaden wieder einer der größten medizinischen Fachkongresse in Deutschland statt. Wir sind für euch auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und fangen vor Ort spannende Themen ein, die Internisten umtreiben. In einer der ersten Sessions am Sonntag ging es um Genderaspekte bei Patienten mit pneumologischen Erkrankungen. Den Auftakt machte Dr. Franziska Trudzinski aus Heidelberg mit ihrer Untersuchung zu Geschlechtsunterschieden bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).
Die Oberärztin hat ihren Kollegen in Heidelberg folgende Frage stellte: Welche Rolle spielt geschlechtersensible Medizin in der pulmologischen Praxis? Die geringste Rolle spiele das Geschlecht in der klinischen Versorgung, so die Antwort der Ärzte. Etwas mehr Bedeutung komme der gendersensiblen Medizin in Lehre und Ausbildung und am meisten in wissenschaftlichen Projekten zu. Was Trudzinski auffällt, als sie die Studienlage sichtet: In den Studienkohorten fallen Frauen vor allem durch Abwesenheit auf. Das prägt natürlich das Bild, das Kliniker von typischen COPD-Patienten im Kopf haben – alte männliche Raucher. Das soll sich nun ändern.
Aber haben Klinker überhaupt den Eindruck, dass sie bei der Diagnostik von COPD unterschiedliche Aspekte bei Frauen und Männern berücksichtigen müssten? In einer Umfrage unter Schweizer Ärzten glauben 90 % an eine höhere Prävalenz der Erkrankung bei Patienten männlichen Geschlechts. Tatsächlich wird die COPD bei beiden Geschlechtern ziemlich gleich häufig diagnostiziert. An einen Geschlechtsunterschied in Puncto Risikofaktoren glauben immerhin noch die Hälfte aller befragten Ärzte. 70 % haben den Eindruck, dass das Rauchen die Lungengesundheit von Frauen stärker beeinflusst, als es bei Männern der Fall ist. Auch würden Frauen über stärkere Symptome in Bezug auf die FEV berichten, als betroffene Männer. Und obwohl der Anteil an Exazerbationen bei beiden Geschlechtern ähnlich ist, berichten deutlich mehr Frauen über eine reduzierte Lebensqualität, so die befragten Ärzte. Das decke sich auch mit ihrer Erfahrung, sagt Trudzinski.
Von hoher Bedeutung für den klinischen Verlauf und die Behandlung der COPD sind Komorbiditäten. Durch die Einteilung anhand der modifizierten Skala des Medical Research Council (mMRC), in GOLD-Gruppen oder mittels Fragen des COPD Assessment Test (CAT), können Ärzte Hinweise auf Komorbiditäten und COPD-Phänotypen erhalten. Die Tatsache, dass sich die Symptome von Herzerkrankungen und COPD stark überschneiden, macht es oft schwierig, allein aus den Symptomen Hinweise auf kardiale Erkrankungen zu gewinnen.
Ausgehend von diesen Überlegungen untersuchte Trudzinski mit ihrem Team, ob die mit den leicht zugänglichen Instrumenten CAT und mMRC erfassten COPD-Symptome Beziehungen zu häufigen COPD-Komorbiditäten und funktionellen Veränderungen aufweisen, die sich zwischen Männern und Frauen unterscheiden. Als Datensatz verwendeten sie die große deutsche COPD-Kohorte COSYCONET (COPD and Systemic Consequences-Comorbidities Network) mit über 2.700 Patienten – 2.046 von ihnen konnten in die Analysen mit einbezogen werden. Immerhin: 795 Patienten aus der Kohorte waren Frauen, mehr als doppelt so viele wie in „typischen“ COPD-Studien.
Männer und Frauen unterschieden sich signifikant in Bezug auf Alter, Body-Mass-Index (BMI), pack years (Raucherjahre), Raucherstatus, FEV1/FVC, RV/TLC, 6MWD und Exazerbationsprofil, nicht jedoch bei FEV1, TLCO und GOLD-Gruppen (CAT und mMRC) oder -Graden. Auch in der Prävalenz der meisten Komorbiditäten unterschieden sich Männer und Frauen: Litten Männer mit COPD häufiger zusätzlich unter kardialen Erkrankungen und Hypertonie, konnten bei Frauen öfter Asthma und Osteoporose beobachtet werden.
Was außerdem auffiel: Die CAT-Punkte 1 (Husten), 2 (Schleim), 4 (Atemnot), 5 (Aktivitäten) und 7 (Schlaflosigkeit) wiesen ebenfalls signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede auf, der CAT-Gesamtscore und der mMRC aber nicht. „Generell berichten Frauen in Studien von stärkeren Symptomen und mehr Exazerbationen“, sagt Trudzinski. Die Frauen seien außerdem tendenziell jünger gewesen und zum Zeitpunkt der Erfassung öfter noch aktive Raucher.
Den größten Einfluss auf die Prognose bei COPD haben kardiovaskuläre Erkrankungen. Bei Männern waren Alter, BMI, Raucherstatus, FEV1, FEV1/FVC, CAT Punkt 8 (Energie) und mMRC signifikant mit kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert. Bei Frauen zeigte nur das Alter einen signifikanten Zusammenhang, bei schrittweiser Vorwärts- oder Rückwärtsselektion wurde auch nach CAT Punkt 5 (Aktivitäten) zu einer signifikanten Determinante.
Was die CAT-Positionen 1 (Husten), 2 (Schleim) und 5 (Aktivitäten) betrifft, so könnten die Unterschiede in Ausmaß und ihrer Beziehung zu funktionellen und klinischen Maßnahmen mehrere Ursachen haben, spekuliert Trudzinski. Bei Husten und Schleim (CAT 1 und 2) spielen wahrscheinlich soziale Faktoren wie die Wahrnehmung und die Bereitschaft, darüber zu berichten, eine Rolle. Ein weiterer Faktor könnte eine unterschiedliche Prävalenz von Komorbiditäten, insbesondere Asthma, sein. Unterschiede beim Faktor Rauchen könnten ebenfalls eine Rolle gespielt haben, da der Raucherstatus in der Erhebung nur bei Männern für Herzerkrankungen relevant war.
Ein weiteres Symptom, das sich bei Männern und Frauen unterschied, war die Aktivität (CAT 5), die bei Männern, nicht aber bei Frauen, mit dem BMI und einer Verringerung der CO-Diffusionskapazität zusammenhing. „Es ist gut möglich, dass die Aussage ‚Ich bin zu Hause in meinen Aktivitäten nicht eingeschränkt‘ von Männern und Frauen unterschiedlich interpretiert wird, da Frauen traditionell mehr Arbeit zu Hause verrichten und daher bei gleichem Grad an funktionellen Beeinträchtigungen stärkere Einschränkungen empfinden könnten“, so Trudzinski in ihrem Vortrag.
Frühere COSYCONET-Daten lieferten Anhaltspunkte dafür, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei COPD unterdiagnostiziert und unterbehandelt werden – was auf die gemeinsamen Symptome von Atemwegs- und Herzerkrankungen zurückzuführen sein könnte. „Obwohl die aktuellen Behandlungsempfehlungen für COPD ausdrücklich auf Begleiterkrankungen hinweisen, geben sie keine klare Empfehlung, wann und wie das Screening auf kardiale Komorbiditäten durchgeführt werden sollte“, schreiben Trudzinski und ihre Kollegen.
Ihre Studie lieferte nun einfache, für den Kliniker leicht erfassbare Hinweise auf das Vorliegen einer kardialen Komorbidität bei COPD-Patienten. Bei Männern war die Aussage „Ich habe wenig Energie“ wichtig, bei Frauen eher „Meine Brust fühlt sich sehr eng an.“ Sie schreiben: „Wenn diese Symptome bei einem einzelnen Patienten nicht mit dem Schweregrad der Atemwegserkrankung übereinstimmen, geben sie einen Hinweis darauf, dass spezifische kardiologische Diagnoseverfahren gerechtfertigt sind.“
Festzuhalten ist also: Geschlechtsspezifische Diagnostik und Behandlung ist wichtig und wird eine immer größere Rolle in der Medizin spielen. Bisher sind vorhandene Daten nämlich in diesem Punkt oftmals nur bedingt aussagekräftig. Am Ende ihres Vortrags weist Trudzinski darauf hin, dass zukünftige Studien davon profitieren würden, wenn die Kohorten Probanden beiden Geschlechts in ähnlicher Zahl enthielten. Denn momentan frage sie sich oftmals: „Ist das überhaupt eine repräsentative Schnittmenge?“ und hat nun mit ihrer Auswertung einen ersten Schritt getan, damit sich das bald ändert.
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