Bisher war die Mutterschafts-Richtlinie in der Versorgung Schwangerer tonangebend. Jetzt empfiehlt die Leitlinie Neuerungen. Was ihr dazu wissen solltet, findet ihr hier.
Die Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses wurden zuletzt 2021 geändert. Sie bilden einen Leitfaden für die ärztliche Schwangerenvorsorge und die Betreuung im Wochenbett. In der S3-Leitlinie „Fetale Überwachung in der Schwangerschaft“ vom 1. Februar 2023 wurden neue Empfehlungen hinzugefügt, die man kennen sollte. Und neben allen physiologischen Veränderungen kommt noch ein völlig neues Lebensgefühl auf die werdende Mutter zu, worauf in der Vorsorge meist wenig eingegangen wird.
Vorrangiges Ziel ist die frühzeitige Erkennung von Risikoschwangerschaften und -geburten. In der gynäkologischen Praxis lässt sich anhand der Mutterschafts-Richtlinien ein Vorsorgekonzept für die Schwangerschaft erstellen, von dem in Risikokonstellationen individuell abgewichen werden muss.
Erstgespräch: Hier werden Eigen- und Familienanamnese erhoben, mögliche Risikofaktoren frühzeitig erkannt und eine ausführliche Beratung über Verhaltensmaßregeln bezüglich Ernährung, Medikamente und Infektionsvermeidung besprochen. Besonderheiten der individuellen Lebensführung wie Beruf, Sport und familiäre Situation fließen mit ein. Es wird auf eine ausreichende Substitution von u. a. Jodid und Folsäure hingewiesen und der Impfpass eingesehen. Für Schwangere gilt eine Empfehlung zur Pertussis- und ggf. auch Influenza- und Coronaimpfung. Fragen zur Pränataldiagnostik werden erörtert und an das persönliche Sicherheitsbedürfnis angepasst. Der Mutterpass wird angelegt und erläutert.
Labordiagnostik: Es erfolgen Blutgruppen-, Rhesusfaktor- und Antikörperbestimmung. Weiterhin Erhebung von Hämoglobinwert, Röteltiter (ggf. dokumentierte zweimalige Impfung), Lues- und HIV-Serologie (mit Einwilligung) und ein Chlamydienscreening. Im Verlauf werden Hämoglobin- und Antikörperbestimmung wiederholt, ein Screening auf Gestationsdiabetes und eine Hepatitis-B-Serologie durchgeführt. Bei RhD-negativen Schwangeren ist die Bestimmung des fetalen Rhesusfaktors nach dem Gendiagnostikgesetz möglich. Bei positivem Kind erhält die Schwangere eine Anti-D-Prophylaxe. Die Urinuntersuchungen sind bei unauffälligem Verlauf auf die Parameter Eiweiß und Glucose beschränkt. Als IGeL sind u. a. Untersuchungen auf Toxoplasmose, Zytomegalie und ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe B möglich.
Untersuchungen: Fakultativ vaginale Untersuchungen zum Ausschluss von Infektionen, Fruchtwasserabgang und Bestimmung der Zervixlänge. Bei jeder Vorsorge Ermittlung des Fundusstandes, Kindslage und fetale Herztöne sowie mütterlicher Blutdruck und Körpergewicht. Die Untersuchungsintervalle sind bei unauffälligem Schwangerschaftsverlauf bis 32+0 SSW alle 4 Wochen, danach alle 2 Wochen. Sie können auch in einer Hebammensprechstunde erfolgen.
Ultraschall: Bei unauffälligem Verlauf sind nur drei Ultraschalluntersuchen in der gesamten Schwangerschaft vorgesehen.
1. Screening: 8 + 0 bis 11 + 6 SSW
2. Screening: 18 + 0 bis 21 + 6 SSW
3. Screening: 28 + 0 bis 31 + 6 SSW
Wochenbett: Innerhalb der ersten postpartalen Woche und 6–8 Wochen nach der Geburt sollten Kontrollen stattfinden. Neben einer gynäkologischen Untersuchung, Bestimmung des mütterlichen Hämoglobinwerts, Blutdruck und Urinuntersuchung steht ein Beratungsgespräch im Vordergrund. Darin werden Fragen zum Wochenbett, Stillen und der Antikonzeption erläutert.
Bezüglich der Indikationen zu CTG- und Doppler-Untersuchungen gibt es wesentliche Ergänzungen in der Leitlinie.
Im Low-Risk-Kollektiv sehen sowohl Mutterschafts-Richtlinien als auch die Leitlinie keine evidenzbasierte Indikation für ein Routine-CTG in der Schwangerenvorsorge.
Indikationen nach Mutterschafts-Richtlinien:
Indikationen zum erstmaligen CTG
Indikationen zur CTG-Wiederholung
Ergänzende Indikationen nach Leitlinie:
Der Begriff Muttertät leidet sich vom englischen Begriff Matrescence ab, der erstmals in den 1970er Jahren auftauchte. Er beschreibt die Übergangsphase, die ein Frau auf dem Weg zum Muttersein durchläuft. Diese Phase kann ähnlich heftig wie die Pubertät verlaufen und betrifft neben der somatischen die psychische, soziale und seelische Ebene. Frauen brauchen manchmal mehrere Jahre, um sich in ihre neue Rolle einzufinden.
Interessant sind auch wissenschaftliche Aspekte: Ein Forscherteam aus Holland hat in cranialen MRT-Scans von Müttern und Nicht-Müttern Unterschiede ausgemacht, die besonders die emotionalen Bereiche der Fürsorge und Empathie betreffen und zu Lasten des Kurzzeitgedächtnisses gehen. Manche dieser Umstrukturierungen werden nach einigen Jahren zurückgefahren, andere bleiben bestehen.
In der gynäkologischen Praxis sind die zusätzlichen Indikationen für feto-maternale Doppleruntersuchungen und CTG-Kontrollen bereits angekommen. Warum beispielsweise bei Gestationsdiabetes oder hypertensiver Schwangerschaftserkrankung bisher keine CTG-Indikation bestand, oder Mehrlinge nicht generell mittels Doppler und CTG intensiver überwacht werden sollten, ist schon länger fragwürdig. Die Leitlinie agiert hier zeitgemäß und die Mutterschafts-Richtlinien müssten daraufhin ergänzt werden.
Im Low-Risk-Kollektiv völlig auf präpartale CTG-Diagnostik zu verzichten, wird sowohl von den Mutterschafts-Richtlinien als auch von der Leitlinie befürwortet. Im ersten Moment erscheint es plausibel, in der Durchführung schwierig. Die Einordnung in Low und High Risk ist manchmal fließend und wer kennt nicht das Zusammenspiel aller Parameter, die, gepaart mit langjährig erprobter Intuition, auf die richtige Spur verweisen? Ein CTG-Experte, Prof. Frank Reister von der Universitätsklinik Ulm, antwortete auf die Frage, ob man dieser Empfehlung folgen sollte: „Es ist nicht falsch, CTGs durchzuführen. Man sollte sie nur richtig interpretieren können.“
Ob mit dem dritten Ultraschallscreening eine späte Retardierung erkannt wird, ist fraglich. Eine weitere Untersuchung zwischen 34+0 und 36+0 SSW wäre sinnvoll und wird meist auch durchgeführt.
Die Betreuung Schwangerer ist höchst anspruchsvoll, besteht doch die Sorge um das Wohlergehen mehrerer Leben: Es darf und sollte nichts übersehen werden. All diese Aufgaben lassen kaum noch Raum, der Schwangeren in ihre neue Rolle des Mutterseins hinein zu helfen. Womöglich sind hier die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen restlos überfordert und benötigen die Unterstützung der Gesamtgesellschaft.
Bildquelle: Nathan Dumlao, unsplash