Sendungen wie die Ernährungs-Docs sind bei Patienten äußerst beliebt. Was wir Mediziner uns von solchen TV-Ärzten abschauen können, lest ihr hier.
Immer wieder haben mich in der Praxis Patienten darauf angesprochen, ob ich die Ernährungs-Docs kennen würde. „Die sind richtig toll“, erklärte mir erst kürzlich einer meiner Patienten. Ich kannte sie nicht, wurde dann aber neugierig und rief die Sendung in der Mediathek des NDR auf. Ich sah mir einige Folgen an und fand sie unterhaltsam und interessant. Doch was genau ist das Geheimrezept der Ernährungs-Docs?
Grundsätzlich funktionieren die Episoden immer gleich. Menschen können sich mit ihren Erkrankungen bei den Ernährungs-Docs anmelden. Sie werden dann mit ihren Beschwerden vorgestellt, die für Patienten und Zuschauer erklärt werden. Ernährungstipps sind – wie der Name schon sagt – ein wichtiger Bestandteil der Sendung. Von den TV-Ärzten könnte sich wohl jeder Arzt etwas abschauen.
Zusammenhänge und Risiken werden einfach und verständlich dargestellt – ohne Fachjargon, ohne komplizierte Studiendaten. Zugegeben, manchmal wirken diese Verbildlichungen sehr konstruiert. Andererseits beeindruckt es schon, wenn die Ernährungs-Docs zum Beispiel gießkannenweise Fett in einen großen Glasbehälter schütten, um zu verdeutlichen, wie viel Bauchfett ein Patient zu viel hat. Sie wählen dabei klare Worte, ohne zu dramatisieren. Und da kommen wir auch schon zur geheimen zweiten Zutat.
Die Ärzte begegnen den Patienten mit viel Respekt und nehmen alle Beschwerden sehr ernst. Ob Darmkrebs oder Aphten, auf jeden Patienten gehen sie mitfühlend ein. „Sie sind eine tapfere Frau“, sagt Dr. Klasen einer jungen Frau mit Endometriose – und es klingt kein bisschen aufgesetzt. Maß aller Dinge sind die Beschwerden der Patienten, die mittels Fragebögen abgefragt und trotzdem nicht in Frage gestellt werden.
Anschließend werden die Ernährungsgewohnheiten anhand eines Tagebuches erfasst und die Nahrungsmittel einer Woche vor den Patienten auf den Tisch gepackt. Dabei ist man nicht nur als Zuschauer schockiert, was manche Menschen so zu sich nehmen. Die Ernährungs-Docs erklären, welche Ernährung helfen würde und warum. Die Patienten erhalten so die Chance, in den Heilungsprozess einzugreifen und damit auch Verantwortung zu übernehmen. Anschließend werden sie vom Team für einige Monate bei der Ernährungsumstellung begleitet.
Was am Ende auf dem Teller landet, ist das, was man auch landläufig als gesunde Ernährung bezeichnen würde. Wenig überraschend sind es viel Gemüse, gute Fette, wenige und vor allem komplexe Kohlenhydrate und wenig Fleisch. Das kardiovaskuläre Risiko wird mit mediterraner Kost und Gewichtsnormalisierung reduziert, beim Reizdarm-Syndrom die FODMAP-Diät etabliert. Und dabei gibt es auch für Ärzte noch interessante Informationen: Wer weiß denn schon, dass Pfefferminztee bei langer Ziehzeit doch FODMAPs enthält?
Ist die Evidenzlage für manche Ernährungsformen auch dünn (z. B. antientzündliche Ernährung bei Rheuma), so kann man doch mit gesunder Ernährung nie etwas falsch machen. Und wenn man nach dem Prinzip des „Wer heilt, hat Recht“ geht, dann machen die Ernährungs-Docs offenbar einiges richtig, da die allermeisten Patienten eine deutliche Linderung ihrer Beschwerden erfahren. Macht man sich den großen Hebel der Ernährung auf verschiedene Krankheitsbilder bewusst, wundert es einen, dass die Ernährungsmedizin im Studium noch immer so stiefmütterlich behandelt wird.
Dabei ist eine Ernährungsumstellung eine risikoarme Maßnahme, die niederschwellig empfohlen werden kann und nichts kostet. In diesem Zusammenhang sei auf die Organisation PAN (Physicans Association for Nutrition) verwiesen, die es sich zum Ziel gemacht hat, die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu zu stärken und in das Gesundheitssystem und die Gesellschaft zu implementieren. Auf deren Website gibt es interessante Informationen und eine kostenlose Lernplattform, um das eigene Wissen über Ernährungsmedizin zu verbessern.
Die Patienten werden während des Prozesses dazu ermutigt, auch Schwierigkeiten mit der Umsetzung der Ernährungsumstellung anzusprechen. Scheitern, Straucheln und Zweifeln ist erlaubt. Die Ernährungs-Docs suchen dann mit den Patienten gemeinsam nach einem Weg und sprechen auch immer wieder Mut zu. Niemand wird ungeduldig oder fühlt sich in seiner ärztlichen Autorität gekränkt, wenn die Ratschläge nicht optimal umgesetzt werden. Die Verantwortung dafür, wie sie leben und was sie tun und essen möchten, bleibt durch einen professionellen Abstand bei den Betroffenen selbst.
Als Patienten-Empowerment bezeichnet man eine relativ neue Bewegung, um die Stellung des Patienten durch Information, Mitwirkung und Mitentscheidung zu verbessern. Die WHO definiert Patienten-Empowerment inzwischen als Bestandteil von Programmen zur Verbesserung der Patientensicherheit. Wichtige Voraussetzungen sind: Patientenwissen, Partizipation und eine unterstützende Kultur. Die Patienten erhalten alle Informationen, die sie brauchen, um für sich selbst die beste Entscheidung zu treffen. Sie werden dabei begleitet, gehen den Weg jedoch selbst und haben so die Möglichkeit, der Held in ihrer eigenen Krankengeschichte zu werden – anstatt immer nur das Opfer der Erkrankung zu sein. Diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit wirkt sich unter anderem positiv auf die psychische Gesundheit gerade chronisch Erkrankter aus.
Bei den Ernährungs-Docs herrschen ideale Bedingungen für das Patienten-Empowerment. Aber das Gelingen ist auch von patientenseitigen Faktoren abhängig. Die Patienten müssen gewillt sein, sich aktiv an ihrer Heilung zu beteiligen und die Fähigkeiten besitzen, die erforderlichen Prozesse zu verstehen. Diese Voraussetzungen finden wir im Alltag nicht immer. Gerade ältere Patienten können sich mit einer aktiveren Rolle oft nicht identifizieren. Als strukturelles Problem fehlt häufig schlichtweg die Zeit, den Patienten die Zusammenhänge im Einzelnen darzulegen und den individuellen Behandlungspfad mit ihnen gemeinsam zu erarbeiten.
Immer häufiger begegnen uns jedoch gut gebildete und informierte Patienten, die schon mit Vorwissen über ihre Erkrankung zu uns kommen und mit uns über ihre Diagnose und unsere Therapieansätze diskutieren möchten. Auch wenn es Kraft und Zeit kostet, die mitgebrachten Wikipedia-Artikel mit ihnen durchzusprechen, sollten wir diese aktiven und selbstbestimmten Patienten nicht als Störenfriede begreifen, sondern als Chance, moderne Medizin mit ihnen gemeinsam zu denken und zu leben. Der Erfolg der Ernährungs-Docs zeigt das legitime Bedürfnis vieler Menschen nach einem neuen Miteinander in der Medizin.
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