Wäre es sinnvoll, unsere Praxis zur Terminpraxis zu machen? Auf der Pro-Seite stehen planbare Zeiten, leere Wartezimmer und freie Parkplätze. Doch auf der Contra-Seite lauert er mal wieder, der Ärztemangel. Was tun?
Einer der Hauptvorteile der Selbständigkeit, zumindest wird er immer wieder genannt, ist, dass man das umsetzen kann, was man möchte. Klingt gut, ist für mich aber in einer Frage aktuell schwieriger als gedacht: Was will ich denn?
Konkret geht es um die Frage, wie wir die weitere Arbeitsorganisation gestalten wollen, Terminpraxis oder nicht. Bislang ist es so, dass wir Termine nur vereinbaren, wenn entweder viel Zeit notwendig ist (z. B. Check-up, DMP oder Reiseberatung) oder bestimmte Geräte benötigt werden (v. a. Sono, aber auch Langzeit-EKG). Wer akut Beschwerden hat, kommt rein und wartet dann halt, bis er dran ist. Das ist aktuell ein großes Problem mit vollen Wartezimmern (und Parkplätzen). Es ist schon jetzt so, dass wir montags grundsätzlich keine Termine einplanen, weil das der Infektwellensprechtag ist und ich mir dann nicht noch zusätzlichen Stress wegen Terminplanung einbauen möchte.
Viele Kollegen schwärmen deswegen von der Terminpraxis, wo alle Patienten vorher einen Termin ausmachen müssen, damit wir als Praxis das Ganze besser planen können und diese Stoßzeiten vermeiden können. Das klingt erstmal organisatorisch super – ich weiß, wie viele Leute wann kommen, man kann auch Abwesenheiten von Kollegen besser planen, etc. Für uns also super.
Warum ich zögere? Es wird ja in letzter Zeit viel darüber berichtet, dass Patienten mit Beschwerden in der Notaufnahme auflaufen, die eigentlich zum Hausarzt gehören. Teilweise auch während der Praxisöffnungszeiten! Das hab ich auch von unserem Krankenhaus lokal gehört. Und auch wir haben ab und zu Patienten von anderen Praxen da sitzen, obwohl der eigentlich zuständige Hausarzt geöffnet hat. Fragt man die Patienten, warum sie dann jetzt bei uns sitzen und nicht beim Hausarzt, kommt eigentlich immer die gleiche Antwort: „Ich hab so starke Beschwerden, aber ich bekomme einen Termin erst in x Tagen.“
Da sehe ich nämlich das Hauptproblem der Terminpraxen: Wir selbst haben organisatorisch bessere Abläufe. Aber zumindest in unserer Region ist der Landarztmangel da und damit fehlen oft die Kapazitäten, um z. B. krassere ungeplante Infektwellen mit auffangen zu können. Deswegen verschieben sich die Termine dann so weit nach hinten, dass zwei Dinge passieren: Entweder der Patient geht einfach nicht zum Arzt, bis es nicht mehr geht (das war ja auch aus anderen Gründen während Corona häufig der Fall, mit teils desaströsen Folgen, weil Erkrankungen viel weiter fortgeschritten waren als nötig gewesen wäre) oder er geht woanders hin – zu einer Nicht-Terminpraxis wie uns oder zur Notaufnahme. Damit verlagert man das eigene Problem, mit den Patientenströmen fertig zu werden, einfach nur. Bitte nicht falsch verstehen: Ja, in einer idealen Welt mit ausreichend Kapazitäten wäre eine Terminpraxis genial. Ich hätte genug Freiraum im Terminkalender, um Notfälle mal eben einzuschieben, ohne, dass direkt das ganze System zusammenbricht, dabei leere Wartezimmer mit geringerer Infektgefahr für alle, freiere Parkplätze, alles super.
Aber diese Kapazität sehe ich bei uns nicht. Die Realität bei uns ist zumindest aktuell so, dass wir pro Vormittag und Arzt oft 50 Patienten und mehr sehen. Und das ist bei einer Taktung von 10 min pro Patient (was mir mehrere Kollegen mit Terminpraxis als Standard genannt haben) einfach schon ein ganzer Arbeitstag (über 8 Stunden) und nicht nur ein Vormittag. Und wenn ich Termine doppelt belege, hab ich am Ende wieder das, was ich jetzt habe – nur noch dazu den Frust der Patienten, die nicht zum vereinbarten Termin drankommen. Denn unsere Patienten sehen aktuell immerhin, wenn bei uns mal wieder der Bär los ist und haben dann auch Verständnis („Ich sehe ja, was bei Ihnen los ist und ich hatte ja auch keinen Termin.“).
Und viele der Patienten, die dann von anderen Praxen bei uns sitzen, haben auch wirklich objektivierbare Erkrankungen, die halt nicht eine Woche warten können (vor allem z. B. bei Bauchbeschwerden, akuten Brustschmerzen). Andererseits verstopfen dann auch schon mal Erkältungspatienten die Notaufnahme und das ist ja definitiv nicht gut. Und nein, Patientenerziehung ist da nicht der einzige Punkt, denn wie oben erwähnt hatten wir mehrfach Patienten, die völlig korrekt lagen mit ihrer Einschätzung, dass die Beschwerden keine Woche mehr warten können. Das Problem waren die fehlenden Termine beim Hausarzt. Wenn ich aber wieder im Radio höre, dass Hausärzte doch nur „mehr Öffnungszeiten und Hausbesuche anbieten sollen“, damit die Notaufnahmen nicht verstopfen, weiß ich nicht, wie ich das noch zusätzlich stemmen soll. Wir arbeiten schon an, teils über der Kapazitätsgrenze.
Deswegen bin ich so hin und her gerissen. Terminpraxis klingt verlockend, aber ich sehe nicht, wie wir das mit unseren aktuellen Hausarzt-Kapazitäten hinbekommen könnten. Stattdessen versuche ich eher, Möglichkeiten zu schaffen, den lokalen Hausarztmangel zu verbessern. Das heißt unter anderem: mehr Kollegen zu animieren, eine Lehrpraxis zu werden, damit mehr Studenten kommen und sehen, wie schön unser Beruf eigentlich sein kann. Aber das ist ein anderes (wenn auch riesiges) Thema. Nur so sehe ich akut nicht, wie man das mit den Terminen regeln kann. Ich würde mich aber über Erläuterungen freuen, wie das die aktuellen Terminpraxen (vor allem in Mangelgebieten) so regeln.
Bildquelle: Vinicius "amnx" Amano, Unsplash