Der Frühling ist da, die Grillsaison eröffnet. Doch beim ersten Biss ins Steak passiert’s – eine allergische Reaktion. Wie kann das sein?
Zeckenstiche können viele unangenehme Folgen haben. Das fängt bei der allseits bekannten Borreliose an und geht bis hin zu einer kuriosen Fleischallergie (DocCheck berichtete). Die ersten Berichte über solche Allergien nach Zeckenstichen gab es bereits in den 80er und 90er Jahren, sie gerieten allerdings wieder etwas in Vergessenheit. In den frühen 2000er-Jahren wurde dann schließlich das Alpha-Gal Syndrom erstmals beschrieben.
Obwohl vor allem die in weiten Teilen der USA beheimatete Zeckenart Amblyomma americanum mit dem Syndrom in Verbindung gebracht wird, sollten auch deutsche Ärzte die allergische Reaktion zumindest im Hinterkopf behalten. Denn auch die in Deutschland fündige Zeckenart Ixodes ricinus kann die allergische Reaktion auslösen.
Im Speichel der Zecken befindet sich das Enzym Galactosyltransferase. Dieses Enzym produziert das Kohlenhydrat Galactose-α-1,3-Galactose (Alpha-Gal), das durch den Stich in den menschlichen Körper gelangt. Das Problem daran: der Mensch besitzt dieses Enzym selbst nicht. Andere Säugetiere können mithilfe der Galactosyltransferase Alpha-Gal herstellen, nicht aber Primaten und damit auch nicht wir Menschen.
Ein aktueller Übersichtsartikel im Journal Clinical Gastroenterology and Hepatology fasst die wichtigsten Aspekte des Themas zusammen. Die Autoren des Artikels gehen davon aus, dass die Sensibilisierung und damit einhergehend die Antikörperbildung für Alpha-Gal nach einem Zeckenstich oder einer parasitären Infektion erfolgt. „Wenn der sensibilisierte Mensch Säugetierfleisch oder aus Säugetieren gewonnene Produkte isst, wird das Antigen Alpha-Gal durch den Magen-Darm-Trakt absorbiert, an Fett in einem Glykolipid gebunden und in Chylomikronen eingebaut, die innerhalb von etwa zwei Stunden in den Blutkreislauf gelangen“, erklären die Wissenschaftler.
Sensibilisierung und Mechanismus der Schädigung bei Alpha-Gal-Allergie. Credit: Sarah K. McGill et al.
Die Allergie kann sich durch unterschiedliche Symptome äußern, etwa durch gastrointestinale Symptome und Hautveränderungen. Die Forscher beschreiben aber auch einen Phänotypen mit ausschließlich unspezifischen gastrointestinalen Symptomen – wie Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen – aber ohne vorherrschende Haut-, Atemwegs- oder Kreislaufsymptome. Die häufigsten gastrointestinalen Symptome, beruhend auf der Analyse von 91 Patienten aus zwei Studien, sind: Bauchschmerzen (71 % aller Patienten) und Erbrechen (22 % aller Patienten). Bei 40,7 % der Patienten traten ausnahmslos gastrointestinale Symptome auf.
Nicht jeder Mensch, der Alpha-Gal-Antikörper in sich trägt, wird auch symptomatisch – im Gegenteil. Allerdings sind die Risiken und möglichen Folgen eines kontinuierlichen Fleischverzehrs und Verzehrs von anderen Säugetierprodukten bei sensibilisierten Personen nicht ausreichend erforscht. „Jüngste Studien deuten darauf hin, dass sich dies auf das Herz auswirken kann, indem es die Mastzellen in den Koronararterien aktiviert und so zu einer koronaren Herzkrankheit führt“, so die Wissenschaftler.
Betroffene sollten außerdem unbedingt weitere Zeckenstiche vermeiden, da diese die Allergie verschlimmern könnten. „Das Alpha-Gal-Syndrom ist ein dynamischer Zustand. Die Symptome können im Laufe der Zeit schwanken. Patienten, die Zeckenstiche meiden und deren Sensibilisierung abklingt, können in Zukunft möglicherweise Fleisch vertragen, während weitere Zeckenstiche die Sensibilisierung verstärken und die Reaktionen verschlimmern können“, erklären die Autoren des Reviews. Die üblichen Schutzmaßnahmen gegen Zecken sollten eingehalten werden.
Patienten, die unter dieser speziellen Allergie leiden, werden oft fehldiagnostiziert. Am häufigsten sind Verwechslungen mit dem Reizdarmsyndrom oder anderen funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen. Deswegen sollten Ärzte, die in einem betroffenen Zeckengebiet leben, ans Alpha-Gal Syndrom denken, wenn Patienten mit plötzlichen gastrointestinalen Symptomen wie Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen zu ihnen kommen. Neben den erwähnten gastrointestinalen Symptomen können außerdem Hautsymptome wie Urtikaria und Angioödeme auftreten – aber das ist nicht immer der Fall. Außerdem gibt es einige Ausschlusskriterien wie Anämie, gastrointestinale Blutungen oder Gewichtsverlust.
Patienten, bei denen ein Alpha-Gal Syndrom vermutet wird, können auf Alpha-Gal IgE-Antikörper getestet werden. Allerdings reicht ein alleiniger Antikörpertest nicht aus, da „diese Symptome häufig auftreten und sensibilisierte Personen auf den Verzehr von Fleisch asymptomatisch sein können“. Deswegen sollten Betroffene eine Alpha-Gal-vermeidende Diät einhalten, um die Symptome beobachten zu können. Bestätigt sich eine Allergie, sollte der Patient unbedingt auf den Verzehr jeglicher Produkte von Säugetieren sowie gelatinehaltige Produkte verzichten. Einige Patienten klagen sogar über Reaktionen beim Einatmen von aerosoliertem Alpha-Gal, beispielsweise beim Braten von Fleisch. Fisch, Meeresfrüchte, Truthahn, Huhn und anderes Geflügel können allerdings ohne Probleme verzehrt werden.
„Im Falle einer versehentlichen Exposition gegenüber Alpha-Gal sollten die Patienten eine Person ihres Vertrauens informieren, eine oder zwei Tabletten Diphenhydramin (25 Milligramm) einnehmen und sicherstellen, dass sie Zugang zu selbst injizierbarem Epinephrin haben, falls sich die Symptome verschlimmern – insbesondere, wenn eine Gefährdung der Atemwege zu befürchten ist“, raten die Autoren. „Einige Akupunkturkliniken werben für die Heilung des Alpha-Gal Syndroms, aber es gibt keine prospektiven kontrollierten Studien, die die Wirksamkeit der Akupunktur belegen.“
Bildquelle: behrouz sasani, unsplash