Lauterbachs neues Gesetz gegen Lieferengpässe ist fast da – auf radikale Lösungen warten Apotheker aber vergebens. Dabei könnten sie auch zur Lösung beitragen, anstatt immer nur zu schimpfen.
Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter so sehr wie die schlechte Verfügbarkeit von Arzneimitteln – gerade von alten, nicht mehr patentgeschützten Substanzen wie Ibuprofen, Paracetamol, Antihypertensiva oder Antibiotika. Deutschland zahlt den Preis für jahrelange Dumpingpolitik im Gesundheitswesen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach versucht jetzt genau das Gegenteil. Er denkt, mit Geld alle Probleme zu lösen.
Immerhin hat das Kabinett den Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“ (ALBVVG) beschlossen: ein großer Schritt, angesichts sonstiger Misstöne der Koalition bei Sachfragen.
Das Papier sieht unter anderem vor, bei Kinderarzneimitteln Festbeträge und Rabattverträge abzuschaffen. Krankenkassen wiederum nimmt der Gesetzgeber in die Pflicht, bei Antibiotika-Rabattverträgen Firmen zu bevorzugen, die innerhalb der EU produzieren. Speziell bei versorgungskritischen Pharmaka bleibt die Möglichkeit, Festbeträge oder Preismoratorien im Falle eines Falles anzuheben. Und: Hersteller müssen künftig Vorräte für mindestens drei Monate anlegen, um an Rabattverträgen beteiligt zu werden.
Bekanntlich haben Lieferengpässe viele Gründe. Das kann am Wirkstoff liegen, an Hilfsstoffen oder an Packmaterialen. Zu glauben, innerhalb weniger Jahre würden Firmen alle wichtigen Moleküle wieder innerhalb der EU produzieren, ist eine Illusion.
Auch innerhalb Europas ist niemand davor gefeit, dass Qualitätsmängel auftreten und Behörden eine Fabrik schließen. Geschlossene Grenzen – denken wir an den Beginn von COVID-19 mit der Abriegelung Italiens – sind ein mögliches Szenario. Auch damals kam es zu Lieferengpässen. Es ist also an der Zeit, über Alternativen nachzudenken.
Genau hier kommen Apotheken ins Spiel. Sie haben die Möglichkeit, Rezepturen oder Defekturen herzustellen. Bei Defekturen gilt bekanntlich die 100er-Regel: „Defekturarzneimittel ist ein Arzneimittel, das im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs im Voraus an einem Tag in bis zu 100 abgabefertigen Packungen oder in einer entsprechenden Menge hergestellt wird“, ist in der Apothekenbetriebsordnung, § 1a zu lesen.
Defekturen brauchen mehr Platz vor Ort – und der Aufwand für Qualitätssicherung und Dokumentation ist enorm. Nicht zu vergessen: Bereits Rezepturen sind bei Apotheken äußerst unbeliebt. Angestellte nehmen solche Rezepte nicht gern an. Zuletzt sah sich die Bayerische Landesapothekerkammer (BLAK) sogar veranlasst, eine Offensive gegen solche „Verweigerer“ zu starten. Probleme bereitet auch die steigende Zahl minderwertiger Rezepturen, etwa mit Gehaltsabweichung über 20 Prozent oder mit Inhomogenitäten. Ob andere Kammerbezirke besser dastehen, ist fraglich.
Nur warum halten Standesvertreter und Gesundheitspolitiker derart vehement an der Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken fest? Genau jetzt – in Zeiten der Lieferengpässe – ist der Moment gekommen, die Weichen grundlegend neu zu stellen.
Die Idee: Jede Apothekerkammer etabliert im Kammerbezirk ein zentrales Labor für Defekturen. In Flächenstaaten können es auch mehrere sein. Solche Labore stehen jeweils unter der Leitung eines Apothekers. Gemeinsame Investitionen der Apothekerschaft im Kammerbezirk ermöglichen es, die zentralen Labore mit moderner Technik zur qualitativen und quantitativen Analytik auszustatten.
Bei höheren Produktionskapazitäten macht es auch Sinn, Edukte in größerem Stil zu erwerben. Kleinere Gebinde gibt es nicht bei jedem Arzneistoff. Nach Abschluss aller Arbeiten könnten Apotheken des jeweiligen Kammerbezirks die Arzneimittel abrufen. Eine entsprechende, wenn auch kostenpflichtige Logistik bieten Großhändler. Stellt das Labor wirklich nur Präparate her, die nicht verfügbar sind, gibt es auch keinerlei Konkurrenz. Letztlich könnten solche Institutionen Präparate in höherer Qualität liefern, als dies so manche Apotheke derzeit schafft.
Über Nacht lassen sich solche Ideen kaum umsetzen; etliche Gesetze und Verordnungen wären anzupassen. Doch daran sollte es nicht scheitern. Was denkt ihr darüber, sind Rezepturen in jeder Apotheke beziehungsweise in jedem Filialverbund noch sinnvoll? Oder wäre die Zeit reif für ein zentralisiertes Modell?
Bildquelle: Santiago Lacarta, unsplash