In einer dramatischen Geste schickten Ärzte und Apotheker ihre „letzten Kittel“ an Lauterbach. Im Interview verrät Daniela Hänel, Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, worum es bei der Aktion ging.
Zeit wurde es wahrlich, dass die Heilberufe endlich mal in einer gemeinsamen Aktion auf die Probleme aufmerksam machen, die ihnen durch die Politik auferlegt werden. Überbordende Bürokratie, unzureichende Bezahlung und fehlende Wertschätzung sind Baustellen, die alle Berufsgruppen wütend machen, die im Bereich ambulanter Gesundheit für das Wohl der Gesellschaft arbeiten.
Bei der Aktion „Der letzte Kittel“, die vor Kurzem in Berlin stattfand, waren Vertreter verschiedener Gesundheitsberufe im Vorfeld dazu aufgerufen worden, einen Kittel an Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu senden. Darauf sollte mindestens ein Punkt stehen, der beschreibt, was im Arbeitsalltag dazu führen kann, dass dies der letzte Kittel sein wird, den sie irgendwann an den Nagel hängen. Auch wenn die Aktion medial besser hätte begleitet werden können, hat sie immerhin die Tagesthemen dazu angeregt, einen Beitrag zum Thema Apothekensterben zu bringen, der auf die Lage der Apotheken einging. Ich sprach in der Woche danach mit Daniela Hänel, Vorsitzende des Vereins Freie Apothekerschaft und eine der Initiatoren der Aktion.
Bahn: Welche Verbände waren an „Der letzte Kittel“ beteiligt und wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Zusammenschluss der Berufszweige?
Hänel: Beteiligt waren die Freie Apothekerschaft, die IG med, die Vereinten Therapeuten und die Vereinigung unabhängiger Vertragszahnärzte. Es kam ursprünglich zu Kontakten der Freien Apothekerschaft und zur IG med, nachdem ich einen Artikel auf der IG-med-Homepage zum Thema pharmazeutische Dienstleistungen (PD) gelesen hatte, in dem die Honorierung der Apotheken völlig falsch dargestellt war. Nachdem ich die Verantwortlichen dort darüber aufgeklärt habe, wie wenig finanziell wirklich bei den Apotheken für die ganze Arbeit hängenbleibt und welch großen personellen und bürokratischen Aufwand die PD für die Apotheken bedeuten, entwickelte sich ein sehr angenehmer und reger Kontakt. Beide Seiten hatten den Wunsch, sich nicht mehr durch die Politik auseinanderdividieren zu lassen. Wir wollten gemeinsam etwas auf die Beine stellen, um die ambulanten Gesundheitsdienstleister zu stärken, beziehungsweise vor ihrem Ende zu bewahren. So haben wir zuerst gemeinsam einen Protestbrief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach verfasst, bevor wir nun mit der Aktion in Berlin weiter auf uns aufmerksam gemacht haben.
Bahn: Wie kommt es, dass Sie sich persönlich so sehr engagieren? Und haben Sie den Eindruck, dass die ABDA oder die Apothekerverbände und -kammern Ihre Aktion begrüßen?
Hänel: Ich halte regelmäßigen Kontakt zur Präsidentin der ABDA, Gabriele Overwiening. Wir kennen und schätzen uns und ich werfe ihr persönlich die Misere der vergangenen Jahre gar nicht vor. In diese Lage gebracht haben uns vor allem ihre Vorgänger, die ihre Apotheken bereits seit Jahren abbezahlt hatten und denen es im Vergleich mit vielen meiner Kolleginnen und Kollegen wirklich gut geht. Ich persönlich bin eine richtige „Apothekenmutti“, die ihr Kind während der Pandemie alleine zuhause sitzen hatte, weil sie arbeiten musste. Ich habe mir alles von der Pike auf selbst hart erarbeitet, war erst PKA, bevor ich mein Studium begonnen habe, und wurde nicht in eine Apothekerdynastie hineingeboren, wo mir alles auf dem goldenen Teller serviert wurde. Ich habe mich dort hingekämpft, wo ich jetzt stehe – für mich und für meine Angestellten, und dafür habe ich wirklich viele persönliche Opfer gebracht. Ganz besonders während des Studiums hatte ich nicht nur einmal die Wahl, Essen oder ein Fachbuch zu kaufen. Das Fachbuch hat das Rennen gemacht und ich aß dann eben eine Woche lang Toastbrot, weil ich das Studium unbedingt schaffen wollte. Eine Apotheke habe ich in den vergangenen Jahren bereits verloren und ich möchte das kein zweites Mal erleben. Ich weiß, wohin uns der Fachkräftemangel und die Fehlinvestitionen innerhalb der Gesundheitspolitik bringen werden und ich bin wie viele andere auch nicht bereit, alles, was ich mir erarbeitet habe, kampflos aufzugeben. Bis zur Rente habe ich noch ein paar Jahre, ich bin erst 48. Klar hätte ich mir mehr Unterstützung erhofft, doch Frau Overwiening hat klar gemacht, dass sie meint, dass die breite Basis der Apothekerschaft ein solches Vorgehen nicht begrüßt. Solange das so ist, wird die ABDA uns hier nicht unterstützen. Das ist schade. Immerhin haben uns einige Kammern in Berlin unterstützt, wie die Kammern Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg sowie die Verbände aus Hessen und Mecklenburg-Vorpommern. Das hat mich gefreut. Von anderen – wie auch von der ABDA – kam auch nach persönlichen Gesprächen keine Unterstützung.
Bahn: Gab es im Nachgang Gespräche mit der Politik? Haben Sie den Eindruck, dass bessere Zeiten kommen werden für die Apotheker in Deutschland?
Hänel: Ja, es gab intensive Gespräche in Berlin mit drei Bundestagsabgeordneten, die aber wenig erfreulich für die Heilberufler, insbesondere für die Apothekeninhaber und -inhaberinnen waren. Es ist nicht so, dass wir hier erwarten können, dass sich alles irgendwie von selbst regeln wird, obwohl viele das zu glauben scheinen. Das Gegenteil ist der Fall und es wird auch nicht darüber nachgedacht, hier Kürzungen im Bereich der Krankenkassen vorzunehmen. Weder die reine Anzahl der Kassen, noch deren Ausgaben für die Verwaltung werden angegangen. Ich denke einfach, weil man die Hand, die einen füttert, nicht beißt. Es war wirklich interessant, sobald ich dieses Thema angegangen bin, habe ich nur noch ausweichende Antworten bekommen – typisch Politik –, die mit der Frage nichts mehr zu tun hatten. So lange nach der Karriere in der Politik häufig ein Aufsichtsrats- oder Vorstandspostenposten bei den Krankenkassen winkt, wird sich hier auch nichts verändern. Interessant übrigens auch: ich habe mehrfach gefragt, wer diesen Referentenentwurf eigentlich geschrieben hat, in dem den Apotheken 50 Cent als Aufwandsentschädigung für die Beschaffung von Arzneimitteln, die Lieferengpässen unterliegen, gezahlt werden sollen: Man weiß es nicht! Nicht einmal die Vizepräsidentin des Bundestags. Angeblich kam er aber aus der Abteilung 2 des BMG, das Martin Weller untersteht, einem ehemaligen Kassenlobbyisten. Er ist seit den 80er Jahren für die Krankenkassen unterwegs. Er war unter anderem Geschäftsführer Politik beim AOK-Bundesverband und im Anschluss 15 Jahre Leiter des Stabsbereichs Politik im GKV-Spitzenverband. Das lässt doch tief blicken, wenn nicht einmal die Bundestagsabgeordneten in den Gesundheitsausschüssen das wissen.
Bahn: Was sind noch für Aktionen von Ihrer Seite aus geplant?
Hänel: Wir setzen die gute Zusammenarbeit natürlich weiter fort, wir wollen alle weiterkämpfen für den Erhalt unseres Berufes – für uns, unsere Mitarbeiter und unsere Kunden und Patienten. Die stehen übrigens voll hinter uns, was uns zusätzlich Kraft gibt. Daher möchten wir sie bei der nächsten Aktion auch direkt mit ins Boot holen. Es ist eine Protestpostkarten-Aktion, die wir bereits auf der Pressekonferenz in Berlin vorgestellt haben. Hier gibt es starke Motive für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und medizinische Therapeuten. Diese Karten sollen unter anderem in den Apotheken an die Kunden verteilt werden, um sie dann an das BMG zu schicken. Seit Ostern steht auch der Shop auf der Homepage, auf dem man die Karten bestellen kann. Unser Ziel ist es, bis zum Sommer mindestens 1 Millionen Karten an Karl Lauterbach zu schicken, um ihn auf die desaströse Situation des Gesundheitswesens hinzuweisen und Lösungen wie eine adäquate Vergütung unserer Leistungen ohne Budgetierung, den Abbau der Kontrollbürokratie in den Apotheken und Praxen und das Ende der Sanktionen wie Nullretax, Regresse und Absetzungen von erbrachten Leistungen zu fordern. Mich haben in der Apotheke viele guten Wünsche für Berlin, Schokolade und Blumen für mein tolles Team erwartet. Das hat mich natürlich durchaus gefreut. Noch mehr würde ich mich aber freuen, wenn die nächste Aktion ein voller Erfolg wird und so viele Apotheken wie möglich hier geschlossen hinter uns stehen. Nur so können wir etwas bewegen. Es muss endlich Schluss sein mit der Trägheit, sonst wird es so kommen, wie die Politik es offenbar geplant hat: Die Apothekenzahl wird auf 10.000 fallen und die Versorgung in der Fläche wird durch Versender und Gesundheitskioske ersetzt. Daran kann niemandem von uns gelegen sein.
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