Low Carb, Low Fat, Intervallfasten: Viele Ärzte empfehlen diese Ernährungsweisen. Dabei haben sie die Rechnung ohne das Gehirn gemacht. Sind wir dem Zucker hilflos ausgeliefert?
„Sola dosis facit venenum“ – wenn es um Übergewicht und Erfolglosigkeit beim Abnehmen geht, wird gewöhnlich die positive Energiebilanz als das Gift im Sinne Paracelsus genannt. Dass hyperkalorische Ernährung unabhängig von der Nahrungsqualität auf lange Sicht zum Übergewicht führt, ist Konsens. Doch seine Monopolstellung als einzig dick machender Faktor hat der Energieüberschuss längst verloren. Der heiße Diskurs um Nährstoffgewichtung und -restriktion, Mahlzeitenfrequenz und Fastenintervalle, Nachhaltigkeit und epigenetische Nährstoffwirkungen spricht Bände.
Das von Bundesernährungsminister Cem Özdemir angestrebte Verbot für „kids-baiting“ Junkfood-Werbung und eine kürzlich publizierte Studie vom Kölner Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung haben die Diskussion um die physiologischen Ursachen der Übergewichtsentwicklung neu befeuert. Das Team um Erstautorin Sharmili Edwin Thanarajah interessierte die Frage, woher das Verlangen auf süß-fettige Snacks rührt. Warum läuft den meisten Menschen beim Blick auf die Kuchenauslagen einer Konditorei das Wasser im Mund zusammen, beim Erblicken von Blumenkohl und Brokkoli aber nicht? Wenn es ums Naschen geht, ist der Kampf zwischen Ratio und emotionalem Verlangen wohl den meisten nicht fremd. Aber ist der Hieper auf Süßigkeiten genetisch angelegt, ist er anerzogen und wird er durch Übergewicht getriggert?
Im Rahmen der Max-Plank-Studie erhielten 49 normalgewichtige Probanden (32 weiblich, 17 männlich), randomisiert auf zwei Testgruppen verteilt – über eine Dauer von acht Wochen, zusätzlich zu ihrer gewohnten individuellen Ernährung – täglich zwei Joghurtportionen. Eine Gruppe konsumierte dabei ein zucker- und fettreiches Produkt, bei dem knapp 87 % der insgesamt rund 160 zusätzlichen Kilokalorien durch diese beiden Makronährstoffe (40,8 % kcal aus Fett, 45,6 % kcal aus Zucker) geliefert wurden. Die Vergleichsgruppe verzehrte äquikalorische zucker- und fettarme Joghurts mit hohem Proteingehalt, deren zusätzliche 160 kcal nur zu 48 Prozent aus Fett und Zucker (F: 17,1%, KH: 29,1 %) stammten.
Nach dieser achtwöchigen Prägungsphase zeigten magnetresonanztomografische Hirnscans, dass bei den Probanden der fettig-süßen Joghurtgruppe bereits die visuelle Präsentation eines süßen Milkshakes erhöhte Aktivität in dopaminergen Gehirnarealen des Belohnungssystems auslöste. Beim Anblick vom Wasser war das nicht der Fall. Bei den Testpersonen der mit proteinreichen Low Fat/Carb-Joghurts versorgten Gruppe induzierte die visuelle Milkshake-Darbietung keine Reaktion im Belohnungssystem. Eine Veränderung von Körpergewicht und relevanten serologischen Parametern wie Cholesterin, Triglyceride, Blutglucose und HbA1c blieb in beiden Gruppen aus.
Ein klassischer Fall von Konditionierung? „Unsere Messungen der Gehirnaktivitäten haben gezeigt, dass sich das Gehirn durch den Konsum von fett- und zuckerreichen Snacks neu verdrahtet. Es lernt unterbewusst, belohnendes Essen zu bevorzugen. Durch dies Veränderungen im Gehirn werden wir unbewusst immer die Lebensmittel bevorzugen, die viel Fett und Zucker enthalten“, wird Marc Tittgemeyer aus dem Kölner Forschungsteam zitiert. Da sich zudem die subjektive Empfindung, wie fetthaltig und süß ein Produkt schmeckt über die gesamte Studiendauer nicht veränderte, resümieren die Wissenschaftler, dass die verstärkte Vorliebe nicht auf veränderter Geschmackswahrnehmung, sondern auf die neuen Schaltmuster im Gehirn zurückzuführen ist.
Offen bleibt die Frage der Reversibilität der Neuverschaltungen durch eine Fett-Zucker-Restriktion. Die bekanntermaßen hohe neuronale Plastizität lässt das zwar vermuten, ist aber aus der Studie nicht ableitbar. Überdies verbietet die kleine Zahl von Probanden, die zudem alle normalgewichtig (durchschnittlicher BMI: 22,8) waren, von empirischer Evidenz zu sprechen. Aufgrund der belegten Wirkungen von starkem Über- und Untergewicht auf den Hirnstoffwechsel ist der Transfer der Studienergebnisse auf adipöse sowie auf stark untergewichtige Personen nicht möglich.
Der momentan so omnipräsente Low-Carb-Hype stützt sich auf die These, dass Kohlenhydratenergie via Insulinwirkung stärker zur fettdominierten Übergewichtsentwicklung beiträgt, als äquikalorische Fettenergie. Das Design der Max-Plank-Studie ließ da von vornherein keine neuen Erkenntnisse erwarten. Allerdings hat es frühere Untersuchungen gegeben, die erstaunlich wenig Beachtung fanden – sei es aufgrund berechtigter Einwände wegen geringer Probandenzahlen, oder weil sie nicht ins Konzept von Verfechtern lukrativer Diätkonzepte passten.
So zeigte eine Arbeit von Hall et al. mit adipösen (!) Probanden, dass eine durch Low Carb getragene hypokalorische Diät zwar die Beta-Oxidation von Fettsäuren etwas forciert, aber einen merklich geringeren Viszeralfettabbau bewirkt als eine Low-Fat-Ernährung mit der gleichen täglichen Energieaufnahme. Fettsäure-Verbrennung und Viszeralfettabbau sind eben zwei Paar Schuhe. Wenngleich die niedrige Probandenzahl (19) der Hall-Studie keine empirische Evidenz beschert, sind diese Ergebnisse insofern beachtenswert, als dass mehrere Studien zu einer der gerade populärsten Abnehmstrategien, die auf Reduktion von Insulinausstößen setzen, in dieselbe Kerbe schlagen. Es geht um das Intervallfasten.
Zwar hat sich gezeigt, dass unter der zwingenden Voraussetzung einer negativen Energiebilanz das Intervallfasten – sei es nach dem 16-zu-8-Stunden-Prinzip oder der 5-zu-2-Tage-Methode – wirkungsvoll die Gewichtsabnahme bei Adipositas unterstützen kann. Nur haben mittlerweile mehrere Arbeiten (Harney et al., Templeman et al.) gezeigt, dass der Gewichtsverlust dabei deutlich weniger mit dem Abbau von Eingeweidefett einhergeht, als bei kalorienrestriktiver Ernährung ohne lange Fastenphasen. Mit anderen Worten: Beim I-Fasten droht Muskelmasseverlust, was mit gesundem Abnehmen wenig zu tun hat.
Wie einfach war es doch, als der Energieüberschuss als alleiniger Übergewichtsverursacher am Pranger stand. Aber unsere Vorliebe für monokausale Zusammenhänge wird halt selten befriedigt. Neue Erkenntnisse zur Bedeutung der intestinalen Mikrobiomzusammensetzung, zu pränataler epigenetischer Prägung und genregulatorischer Nährstoffwirkung machen die Suche nach Strategien zum Abbremsen der galoppierenden weltweiten Übergewichtsentwicklung nicht leichter.
Besonders die durch Massenkonsum von Softdrinks und Fertigprodukten getragene Fruktosefalle übernimmt da eine brisante Funktion. Gemeint ist die in Fertigprodukten (sogar Fleisch-/Wurstwaren) teils in astronomischen Dimensionen zugesetzte Menge an industriellem Fruchtzucker. Dass Fruktoseüberschüsse durch das Fehlen von Insulinpflicht und direkter Speichermöglichkeit nur zu gern von der Leber in Depotfett umgewandelt werden, läuft etlichen Abnehmbemühungen entgegen und dürfte gehörigen Anteil am Anstieg der nicht-alkoholischen Fettleberprävalenz tragen.
Erfolglosigkeit beim Abnehmen setzt Menschen unter Stress und da kommt dann zusätzlich die Lipolyse-hemmende Wirkung von Cortisol ins Spiel. Für viele ist es ein Kreuz mit dem Abnehmen und es ist weitaus komplizierter, als nur auf die Energiebilanz zu schauen – zumal die kalorienfressende Wirkung von Bewegung oft maßlos überschätzt wird. Das ändert freilich nichts am hohen Wert täglicher körperlicher Aktivität zur Erhöhung von Grundumsatz, Muskelanabolismus und Stoffwechselrate für die Körpergewichtsregulation.
Eine diätetische Panazee zur nachhaltigen Körperfettreduktion ist noch nicht gefunden und wird es vermutlich auch nie. Dazu scheinen die individuelle Physiologie und Psychologie viel zu variabel angelegt zu sein. Somit hat jedes Bewerben der einen oder anderen Abnehmstrategie allenfalls etwas Horoskopisches, getreu dem Barnum-Effekt, „a little something for everybody“. In der Vorgeschichte auf Süß-Fettiges konditionierte Menschen werden es nach den Erkenntnissen am Kölner MPI sicher schwerer haben, ihr Maß zu finden. Letztendlich bleibt die negative Energiebilanz ein notwendiger, aber keineswegs hinreichender Faktor für die gesunde, Viszeralfett-reduzierende Gewichtsreduktion, dem jedoch durch mehrere metabolische, neuro- und verhaltensphysiologische sowie epigenetische Störgrößen das Leben schwergemacht wird.
Mit dem Erkenntnisgewinn steigt die Gewissheit, dass es keine „One-fits-all“-Konzepte für die nachhaltige Körpergewichtsnormalisierung gibt. Individuelle Lösungen und ein mitunter gehöriges Maß an Bereitschaft für Versuch-und-Irrtum-Experimente führen am ehesten zum Ziel. Das ist kein kurzer Weg, aber massives Übergewicht entwickelt sich bekanntlich auch nicht zwischen Weihnachten und Silvester.
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