Die Transplantation einer Hand birgt große Risiken, da Patienten nach dem Eingriff lebenslang Medikamente einnehmen müssen, um eine Abstoßung zu verhindern. Eine neue Methode maximiert die Wirkung und minimiert die Nebenwirkungen der Immunsuppression im Tierversuch.
Für viele Menschen, die durch einen Unfall eine oder beide Hände verloren haben, stellt sich seit einigen Jahren die Frage nach einer Handtransplantation. Weltweit wurden mittlerweile rund 70 dieser aufwändigen Operationen durchgeführt. Obwohl die Übertragung der neuen Hand bei fast allen Patienten erfolgreich verlief, ist die Zahl der vorgenommenen Transplantationen in letzter Zeit jedoch wieder rückläufig. „Die Abstoßung einer verpflanzten Hand lässt sich ähnlich wie bei Organtransplantationen nur durch den systemischen Einsatz von Immunsuppressiva verhindern“, sagt Prof. Stefan Schneeberger von der Innsbrucker Universitätsklinik für Visceral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie.
Die Unterdrückung des körpereigenen Immunsystems hat erhebliche Nebenwirkungen zur Folge: „Wir konnten bei den handtransplantierten Patienten Nierenfunktions- und Stoffwechselstörungen sowie in einem Fall auch Hautkrebs beobachten“, berichtet Schneeberger. „Direkt auf die Haut aufgetragene Salben, die Immunsuppressiva wie Cortison oder Tacrolimus enthalten, helfen vielleicht dabei, eine Abstoßung der Haut zu behandeln oder zu verhindern. Sie ersetzen jedoch nicht die orale Einnahme von Immunsuppressiva.“ Deshalb, so der Chirurg, seien viele Patienten momentan mit einer Prothese trotz der schlechteren Funktionalität gut bedient. Nur in Einzelfällen, wenn ein Patient ein ausgeprägtes Verlangen nach körperlicher Ganzheit und ein gutes Verständnis für die Risiken einer Handtransplantation habe, käme ein solcher Eingriff wirklich in Betracht. Ein experimenteller Therapieansatz lässt nun Schneeberger und andere Chirurgen hoffen, dass Patienten nach einer Handtransplantation in Zukunft besser als bisher vor Nebenwirkungen der Immunsuppression geschützt werden können. Wie ein internationales Forscherteam im Fachmagazin Science Translational Medicine berichtet, soll ein lokal unter die Haut gespritztes Tacrolimus-haltiges Hydrogel alleine die Abstoßungsreaktion des Körpers verhindern, ohne dass es zu schweren Nebenwirkungen kommt. Allerdings behandelten die Wissenschaftler um Prof. Robert Rieben von der Universität Bern bislang nur Ratten, die dank der kompletten Unterdrückung der Abstoßungsreaktion mehr als 100 Tagen mit einer transplantierten Gliedmaße überlebten.
Der Wirkstoff Tacrolimus ist normalerweise im Hydrogel fest eingeschlossen und wird aus diesem erst dann freigesetzt, wenn die körpereigenen Immunzellen auf fremdes Gewebe stoßen und eine Entzündungsreaktion einleiten. Die dabei ausgeschütteten Enzyme spalten das Hydrogel und sorgen dafür, dass Tacrolimus die Immunabwehr nur lokal in der transplantierten Gliedmaße ausschaltet: „Bei Tacrolimus-haltigen Salben dagegen resorbiert die Haut den Wirkstoff, der dann über den Blutkreislauf in den gesamten Körper gelangt, unabhängig davon, ob gerade eine Abwehrreaktion erfolgt oder nicht“, sagt Rieben, der Gruppenleiter am Departement für Klinische Forschung der Universität Bern ist. Im Rahmen der Studie haben er und sein Team 25 Ratten ein neues Hinterbein verpflanzt. Nach der Operation erhielten vier Tiere keine weitere Behandlung, vier Tiere bekamen nur das Hydrogel ohne Wirkstoff in die transplantierte Gliedmaße gespritzt. Bei jeweils sechs Tieren injizierten die Forscher Tacrolimus alleine oder zusammen mit dem Hydrogel in das Transplantat. Bei fünf Tieren erfolgte die Injektion des Tacrolimus-haltigen Hydrogels im gesunden Hinterbein. Bei Ratten ohne immunsuppressive Therapie stieß deren Immunsystem die Transplantate nach durchschnittlich elf Tagen komplett ab. Bei den Ratten, die nur Tacrolimus erhalten hatten, trat die Abstoßungsreaktion verzögert auf und die mittlere Überlebenszeit der transplantierten Beine betrug 33,5 Tage.
Je nachdem, ob das mit Tacrolimus beladene Hydrogel in das gesunde oder transplantierte Hinterbein gespritzt wurde, widerstanden die Transplantate der Abstoßungsreaktion rund 75 Tage oder mehr als 100 Tage. „Nur wenn wir das Tacrolimus-haltige Hydrogel direkt in das Transplantat injiziert hatten, war dort die Wirkstoffkonzentration über den Zeitraum von 100 Tagen ausreichend hoch, um eine Abstoßungsreaktion vollständig zu unterdrücken“, berichtet Rieben. „Da die Tacrolimus-Konzentration im übrigen Körper niedrig blieb, zeigten diese Ratten auch keine der typischen Nebenwirkungen einer systemischen Immunsuppression.“ Stefan Schneeberger ist von den Ergebnissen der Schweizer Arbeitsgruppe überzeugt: „Die an den tatsächlichen Bedarf angepasste Freigabe des Wirkstoffs aus dem Hydrogel könnte die Nebenwirkungen einer Immunsuppression beträchtlich verringern.“ Mit der neuen Methode, so Schneeberger, lasse sich die Lebensqualität von handtransplantierten Patienten wahrscheinlich deutlich verbessern.
Die Forscher um Rieben wollen nun schauen, ob sich der neue therapeutische Ansatz auch für eine Anwendung am Menschen eignet. Geplant sind klinische Studien, in deren Rahmen untersucht werden soll, ob das Tacrolimus-haltige Hydrogel auch bei Patienten ähnlich gut wirkt wie im Tierversuch. Doch die Suche nach möglichen Geldgebern gestaltet sich schwierig: Pharmaunternehmen, so Rieben, interessierten sich nur wenig dafür, da die Handtransplantation nur eine Nischenindikation sei und sich damit nicht viel Geld verdienen lasse.