Scheinbar ohne erkennbare Gründe brechen Patienten ihre Therapie ab und erscheinen nie wieder. Woran könnte das liegen? Wir haben nachgefragt.
„Ghosting“ beschreibt treffend den plötzlichen Kontaktabbruch ohne erkennbare Gründe. Das Phänomen macht sich zunehmend in Beziehungen zwischen Ärzten, Psychotherapeuten und Patienten bemerkbar. Gerade junge Kollegen sind ratlos. Deshalb wollten wir von der DocCheck Community wissen, was dahinterstecken könnte. Sowohl Ärzte als auch Patienten haben sich zu Wort gemeldet.
„Meist ist es eine Kombination aus Wartezeit, keine telefonische Krankmeldung (…) oder zu kurzen AUs“, berichtet ein Anästhesiologe. Hinzu komme Unzufriedenheit, weil nicht die Wunschmedikamente aufgeschrieben würden. Das Spektrum reicht von A wie Antibiotika bis Z wie Zolpidem. „Patienten würden als „Kunden“ beliebig Leistung einfordern, schließlich würden sie ja dafür zahlen. „Oft sind es Patienten, die auch doppelt und dreifach zu Kollegen gehen, bis sie das bekommen, was sie wollen“, so der Arzt weiter.
Das kann auch eine Allgemeinmedizinerin bestätigen: „Hier im ländlichen Bereich funktioniert der Buschfunk ganz gut, man fragt die Kollegen, was da vorgefallen ist. Meist hat der Patient seine Wunschverordnung nicht erhalten.“
Ergänzend nennt eine Orthopädin den „immer wieder geäußerten Wunsch nach Heilmittelverordnungen, am besten Fango/Massage.“ Was viele Patienten einfach nicht verstehen: „Wenn der Heilmittelkatalog es nicht hergibt, kann ich eben auch nichts mehr verordnen“, berichtet sie. „Oder man kann sich mal die Massagen selbst finanzieren.“
„Diesen Trend beobachten wir zunehmend“, erklärt eine Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sie arbeitet in einem Geburtshaus mit Hebammen-Vorsorge und Nachsorge. „Frauen verschwinden einfach aus Kursen, melden sich plötzlich nicht mehr zur Wochenbettbetreuung, erscheinen nicht mehr (ohne Absage natürlich) zu Praxisterminen.“
Doch was steckt dahinter? „Der Trend ist …, dass das Gras auf der anderen Seite noch ein bisschen grüner sein könnte, und wir erfahren immer wieder, dass sich Frauen mehrere Hebammen angeschaut haben.“
Das Phänomen verschwundener Patienten komme auch in der Schmerzambulanz immer wieder mal vor, berichtet eine Anästhesistin. „Ich glaube, dies sind Patientinnen und Patienten, die trotz häufiger und ausführlicher Erklärung entweder den Sinn einer multimodalen Therapie nicht verstehen oder sich eine schnelle Lösung für die überwiegend komplexe Schmerzerkrankung wünschen.“ Doch diese gebe es eben nicht.
Ein Psychotherapeut kennt Ghosting ebenfalls aus seiner Praxis. Betroffene kämen nicht mehr in die Therapie und seien auch telefonisch nicht erreichbar. „In einigen Fällen rufe ich schon an und frage nach“, schreibt er. „Manchmal kann man die Sachlage klären.“ Dazu zählen etwa Angst vor der Behandlung, Angst vor dem Psychotherapeuten oder eine für die Betroffene nicht nachvollziehbare Behandlungsplanung. „In einigen Fällen fühlen sich die Betroffenen nicht verstanden und sind auch nicht bereit, sich auf eine Klärung einzulassen“, so der Psychotherapeut weiter.
Ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erklärt das Phänomen mit Entwicklungsprozessen. „Bei einer erfolgreichen Therapie hat sich der Patient im Rahmen dieser Beziehung in seiner Persönlichkeit weiterentwickelt, ist in mancher Hinsicht ein anderer Mensch geworden“ schreibt er. „Ist die Zeit gekommen, die erfolgreiche Therapie zu beenden, so ähnelt dies dem unabhängig und flügge werden in der Eltern-Kind-Beziehung und ist auch ebenso schmerzhaft – für beide Seiten.“ Um dieser Beendigung der Beziehung Dynamik und Unumkehrbarkeit zu verleihen, müsse dies wohl zwangsläufig verletzend geschehen.
Etwas anders ist die Lage in der Zahnmedizin. Angstpatienten sind ein riesiges Problem für Behandler. „Ich habe früher immer sofort den Zahnarzt gewechselt, da ich eine solche Angst hatte“, gibt ein Patient zu. „Ich bin tatsächlich auch immer viel zu spät gegangen, so dass der arme Zahnarzt den betreffenden Zahn meist nicht retten konnte, die Behandlung war dann natürlich (nach meinem Empfinden) wesentlich unangenehmer.“
Was können junge Kollegen von der Erfahrung mitnehmen? Mehrere der Community-Mitglieder, die hier berichten, hatten früher versucht, ihre verschwundenen Patienten zu kontaktieren – meist telefonisch. Davon sind sie wieder abgekommen. Es fehlt die Zeit und Erfolg hat sich praktisch nie eingestellt.
Auch sich selbst tun sich Ärzte und Therapeuten damit nichts Gutes. „Auf diese Weise entwickelt sich bei den Betroffenen das Gefühl, ich würde ihnen nachlaufen, um meine Therapie wie einen ungewollten Ladenhüter doch noch an den Mann zu bringen“, schreibt ein Psychotherapeut. „So nimmt man der Therapie, aber auch sich selbst, jede Wertschätzung, und macht sie zu etwas Billigem (…).“
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