Arbeitspsychologen haben alle Hände voll zu tun – denn die Pandemie verstärkt altbekannte Probleme. Was kann man gegen Burnout, Depression und Angststörungen am Arbeitsplatz tun?
In der heutigen Arbeitswelt verschwimmen oft die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben – Arbeitstempo und -volumen haben deutlich zugenommen. Deswegen ist es wichtiger denn je, auf die mentale Gesundheit der Mitarbeiter am Arbeitsplatz zu achten. Laut dem Psychreport der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), welcher Daten von mehr als 2,4 Millionen Beschäftigten in den Jahren von 2011 bis 2021 untersuchte, erreichten Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen einen neuen Höchststand.
Mit 276 Fehltagen je 100 Versicherte lag das Niveau um 41 Prozent über dem von vor zehn Jahren. Der maßgebliche Krankschreibungsgrund war die Depression. Den stärksten Zuwachs gab es bei Anpassungs- und Angststörungen. Arbeitgeber sollten deshalb den Bedarf ihrer Mitarbeiter nach Unterstützung und Ressourcen zur Verbesserung ihrer mentalen Gesundheit ernst nehmen und proaktiv Maßnahmen ergreifen, um das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu fördern.
Arbeitsmediziner sowie Betriebsärzte haben als Berater von Unternehmen, Mitarbeitern und Führungskräften eine Schlüsselstellung in allen Fragen zum Thema Arbeit und Gesundheit. Sie können hierbei unterstützen und notwendige präventive Schritte einleiten, um die psychische Gesundheit in einem Unternehmen zu verbessern. Sie spielen somit eine wichtige Rolle bei der Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz.
Ein erster wichtiger Schritt für die Förderung von Mental Health am Arbeitsplatz besteht in der Identifikation von psychischen Belastungen. Hierzu können Arbeitsmediziner und Betriebsärzte unterschiedliche Instrumente einsetzen – wie etwa Mitarbeiterbefragungen und Gesundheitschecks. Diese ermöglichen es, zu eruieren, welche Faktoren Stress verursachen und welche Arbeitnehmer besonders anfällig für psychische Belastungen sind. Aufgrund dieser Informationen können Arbeitsmediziner gezielte Maßnahmen ergreifen, um die mentale Gesundheit zu fördern.
Ein positives Arbeitsumfeld mit offener und transparenter Kommunikation kann dazu beitragen, die psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu unterstützen. Hierfür können Arbeitsmediziner verschiedene Handlungen ergreifen, wie die Förderung von Teamarbeit durch Sensibilisierungskampagnen oder Schulungen für Arbeitnehmer und Führungskräfte, um das Bewusstsein für die Bedeutung guter Arbeitsbeziehungen und Konfliktmanagement zu entwickeln.
Ein wertschätzender Umgang für die erbrachte Arbeitsleistung und das Gefühl, im Team anerkannt zu sein, spielen eine wichtige Rolle. Soziale Unterstützung ist ein weiterer wichtiger Faktor für die Förderung emotionaler Gesundheit. Arbeitgeber sollten ihren Mitarbeitern Möglichkeiten bieten, um soziale Beziehungen innerhalb des Kollegiums aufzubauen. Dies kann beispielsweise durch gemeinsame Unternehmungen wie Team-Events und gemeinsame Mittagessen erfolgen.
Außerdem ist es essentiell, dass Arbeitnehmer über die Bedeutung von mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz aufgeklärt sind. Arbeitsmediziner, Betriebsärzte oder Arbeitspsychologen können hierzu Workshops und Schulungen anbieten, um die Mitarbeiter über die Auswirkungen von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz aufzuklären und um ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie ihre eigene psychische Gesundheit verbessern können. Das können etwa Informationen zum Umgang mit Stress oder Entspannungsübungen sein. Hierbei kann eine Zusammenarbeit mit anderen Spezialisten – z. B. aus den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention – sinnvoll sein, um die Programme zu entwickeln und umzusetzen.
Wenn die Arbeitnehmer sich bewusst sind, wie wichtig ihre psychische Gesundheit ist, können sie selbst gezielte Maßnahmen ergreifen, um ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit zu fördern. Das könnten Achtsamkeitsübungen oder Bewegung in der Mittagspause sein. Eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Bewegung trägt ebenfalls dazu bei, die psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu verbessern.
Wenn Mitarbeiter oder Führungskräfte psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind – etwa Mobbing oder Erfolgsdruck – ist es erforderlich, dass sie ein entsprechendes Unterstützungsangebot erhalten. Arbeitsmediziner können in diesem Fall präzise Unterstützungsmaßnahmen anbieten, wie Beratung und eine eventuelle Empfehlung einer psychologischen Konsultation, spezielle Arbeitsplatzanpassungen oder ggf. Zeit für Erholung. Sie können außerdem Sorge dafür tragen, dass Mitarbeiter und Führungskräfte Kompetenzen entwickeln mit konflikthaften, anspruchsvollen und stressigen Situationen im betrieblichen Alltag umzugehen. Hierbei können Kommunikations- und Teamcoachings hilfreich sein.
Eine ausgewogene Work-Life-Balance ist wichtig, um die emotionale Gesundheit am Arbeitsplatz zu erhalten. Laut eines Berichts der BAuA von 2010 geben knapp 60 % aller Erwerbstätigen an, mehr als 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. Knapp 5 % arbeiten mehr als 60 Stunden pro Woche. Ganze 26 % arbeiten am Samstag, 13 % an Sonn- bzw. Feiertagen.
Ebenso zeigte sich im Arbeitszeitreport der BAuA von 2016, dass die Beschäftigten in Deutschland im Durchschnitt länger arbeiten, als vertraglich vereinbart. Überstunden und verlängerte Arbeitszeiten sind deutlich mit gesundheitlichen Beschwerden assoziiert, genauso wie die Arbeit am Wochenende. Bezüglich der Flexibilität von Arbeitszeiten wurde im Report deutlich, dass die Rahmenbedingungen der Arbeit entscheidend dafür sind, ob Arbeitszeitflexibilität positiv oder negativ mit der Zufriedenheit und Gesundheit der Arbeitnehmer in Zusammenhang steht. Betriebsbedingte Änderungen der Arbeitszeit werden vor allem dann belastend erlebt, wenn sie kurzfristig angekündigt werden. Die Mitgestaltungsmöglichkeit der Arbeitszeiten und die dadurch entstehende Flexibilität und Autonomie wird von Arbeitnehmern hingegen als positive Ressource erlebt.
Schichtarbeit, lange Arbeitszeiten, Wochenendarbeit und flexible Arbeitszeiten (z. B. auf Abruf) stellen sogenannte atypische Arbeitszeitsysteme dar. Diese gehen Berichten zufolge insgesamt mit einem erhöhten Stresserleben, gesundheitlichen Problemen und einem erhöhten Risiko für Burnout-Symptome einher (Amlinger-Chatterjee, 2016). Bezugnehmend auf Länge und Lage von Arbeitszeiten können Arbeitsmediziner die Arbeitgeber und Führungskräfte im Sinne einer ausgewogenen Work-Life-Balance beraten.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann eine Herausforderung darstellen, da die Arbeitsanforderungen und Familienverantwortlichkeiten oft konkurrierende Ansprüche an die Ressourcen und Zeit von Arbeitnehmern stellen. Das kann zu einem erhöhten Stresserleben und Überforderung führen – und sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken.
Arbeitgeber und Führungskräfte können ihre Mitarbeiter unterstützen, um ihnen die Vereinbarkeit von Familienleben und Arbeit zu erleichtern, indem sie ihnen flexible Arbeitsbedingungen wie – wenn möglich – Home-Office-Optionen anbieten. Einige Arbeitgeber bieten bereits Angebote für Betreuungseinrichtungen von Mitarbeiterkindern an. Das führt dazu, dass die Eltern stressfreier arbeiten können, ohne sich Sorgen um die Betreuung ihrer Kinder machen zu müssen. Dies kann ein wichtiger Faktor sein, um die mentale Gesundheit der Arbeitnehmer zu verbessen.
Resilienz ist die Fähigkeit, sich von Stress und schwierigen Lebenssituationen zu erholen und sich dementsprechend anzupassen. Arbeitgeber können Resilienz bei ihren Mitarbeitern fördern, indem sie Schulungen anbieten, die ihnen helfen, ihre Stressbewältigungskompetenzen zu verbessern. Diese Informationsangebote können Techniken zur Entspannung – etwa progressive Muskelrelaxation, Yoga oder Meditation – beinhalten.
Die Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz erfordert also die Zusammenarbeit von verschiedenen Fachleuten. Arbeitsmediziner können hierbei eng mit anderen Fachleuten wie Sicherheitsbeauftragten, Psychologen oder Gesundheits- und Personalmanagern zusammenarbeiten. Eine solche Zusammenarbeit kann dazu beitragen, eine umfassende Strategie zur Unterstützung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz zu entwickeln und umzusetzen. Dazu können Angebote wie betriebliches Eingliederungsmanagement, Mitarbeiterberatungen oder therapeutische Interventionen beitragen. Es sollte also ein breites Spektrum an Hilfsangeboten bereitgestellt werden, um die Mitarbeiter bei der Bewältigung von stressigen oder belastenden Situationen zu unterstützen.
Im Sinne der integrierten Versorgung ist deswegen eine Zusammenarbeit zwischen Arbeitsmedizinern, niedergelassenen Therapeuten und Fachkliniken bei der Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen entscheidend. In einem Beispielprojekt „ÄrBeK – Ärzte und Betrieb als Kooperationspartner“ haben Betriebsärzte, niedergelassene Ärzte und Krankenkassen gemeinsame Wege – auch zur Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen – erarbeitet. Ihr gemeinsames Ziel ist einerseits die Prävention psychischer Erkrankungen. Andererseits aber auch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der von psychischen Erkrankungen betroffenen Beschäftigten.
Wenn Arbeitgeber die Bedeutung der mentalen Gesundheit ihrer Mitarbeiter anerkennen und Maßnahmen ergreifen, um diese zu fördern, kann das gleich mehrere erfolgversprechende Auswirkungen haben. Ein positiver Effekt der Förderung der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz ist, dass dies zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung an das Unternehmen führen kann.
Wenn sich Arbeitnehmer am Arbeitsplatz wohl und unterstützt fühlen, sind sie eher geneigt, sich in dem Unternehmen langfristig mit ihren Kompetenzen zu engagieren. Dies hat deutliche Auswirkungen auf die Produktivität und Effizienz in den jeweiligen Betrieben. Fehlzeiten können dadurch reduziert werden und Unternehmen, die sich für die mentale Gesundheit ihrer Arbeitnehmer engagieren, werden in der Regel positiver in der Außenwirkung wahrgenommen. Was zusätzlich dazu beitragen kann, das Image des Betriebs zu verbessern sowie die Bindung zu Geschäftspartnern und Kunden zu stärken.
Quellen
DAK Psychoreport: https://www.dak.de/dak/bundesthemen/psychreport-2022-2533048.html#/ (abgerufen am 19.03.2023)
F. Brenscheidt, S. Brenscheidt, A. Siefer Arbeitswelt im Wandel: Zahlen – Daten – Fakten (2010). Ausgabe 2010. 1. Auflage. Dortmund: 2010. ISBN: 978-3-88261-670-5, Seiten 88, Papier, PDF-Datei. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A71.html (abgerufen am 20.03.23)
M. Amlinger-Chatterjee: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt - Atypische Arbeitszeiten. 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2016. ISBN: 978-3-88261-190-8, Seiten 130, Projektnummer: F 2353, PDF Datei, DOI: 10.21934/baua:bericht20160713/3a. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2353-3a.html (abgerufen am 21.03.2023)
A. M. Wöhrmann Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt - Work-Life-Balance. 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2016. ISBN: 978-3-88261-194-6, Seiten 115, Projektnummer: F 2353, PDF-Datei, DOI: 10.21934/baua:bericht20160713/3f https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2353-3f.html (abgerufen am 21.03.2023)
A. M. Wöhrmann, S. Gerstenberg, L. Hünefeld, F. Pundt, A. Reeske-Behrens, F. Brenscheidt, B. Beermann Arbeitszeitreport Deutschland 2016. 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2016. ISBN: 978-3-88261-206-6, Seiten 187, Projektnummer: F 2398, Papier, PDF-Datei, DOI: 10.21934/baua:bericht20160729 https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2398.html (abgerufen am 21.03.2023)
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Ausschuss für Arbeitsmedizin. Psychische Gesundheit im Betrieb. Arbeitsmedizinische Empfehlungen, 2016. https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Broschueren/a450-psychische-gesundheit-im-betrieb.html (abgerufen am 19.3.2023) Bertelsmann Stiftung, 2009. Ärzte und Betriebe, Gemeinsam für die Gesundheit. Ein neues Konzept für eine bessere Gesundheit. Ärzte und Betriebe, Gemeinsam für die Gesundheit (bertelsmann-stiftung.de). (abgerufen 20.03.23)
Robert-Koch-Institut (RKI) Hrsg., 2020. Gesundheitliche Lage der Frauen 2020, Kapitel 4 Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/frauenbericht/04_Gesundheit_Erwerbs-Familienarbeit.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 24.03. 22)
Bildquelle: Shaurya Sagar, unsplash