Ein ewiges Dilemma: Fruchtsäfte anbieten, damit der Nachwuchs wenigstens etwas Obst aufnimmt, oder die Kalorienbomben lieber stehenlassen? Wie ich als Kinderarzt darüber denke, lest ihr hier.
Die Aufnahme von Fruchtsäften in der Kinderernährung wird immer sehr kontrovers diskutiert. Befürworter sehen die bessere Vitaminversorgung im Vergleich zu gar keiner Früchteaufnahme, denn welches Kind isst schon gerne Obst und Gemüse? Kritiker befürchten zu viel Zucker als Prädisposition für Übergewicht und Karies. Insbesondere die sogenannten Quetschies verführen Kleinkinder zum ständigen Nuckeln an einer Plastiktülle und zu viel Essen zwischendurch verringert bekannterweise den Appetit zu den Hauptmahlzeiten. Eltern hingegen schätzen die praktische Portion Vitamine zum Mitnehmen, zum Beruhigen und Ablenken mit vermeintlich gutem Gewissen.
Eine Studie der Boston University von 2020 brachte einen zusätzlichen Aspekt ins Spiel. Schließlich wird Erwachsenen die täglich regelmäßige Aufnahme von Obst und Gemüse dringend empfohlen. Wir erinnern uns an die bekannte Kampagne 5 am Tag, also fünfmal am Tag Vitamine in Form von Obst oder Gemüse zu sich zu nehmen. Die Longitudinal-Studie der Bostoner verfolgte 100 Kinder und deren Familie nach zehn Jahren und wollte messen, ob ein erhöhtes Angebot an Fruchtsäften auch zu einer besseren Annahme von Früchten im Jugendalter führt.
Und das scheint tatsächlich so zu sein. Vorschulkinder, die mehr als eine Tasse 100%igen Fruchtsaft pro Tag tranken, konsumierten 0,9 Tassen/Tag mehr Gesamtobst und 0,5 Tassen/Tag mehr ganze Früchte während der Adoleszenz (14–18 Jahre). Vorschulkinder, die jedoch weniger als eine halbe Tasse Frucht pro Tag konsumierten, hatten während der gesamten Kindheit einen stark abnehmenden Verzehr von ganzen Früchten im Vergleich zu den anderen Kindern. Ein zusätzlicher Aspekt: Die Studie konnte keine Erhöhung des Body-Mass-Index und damit eine Neigung zu Übergewicht bei beiden Gruppen nachweisen, was das Argument schwächt, der Konsum von Fruchtsäften begünstige eine hohe Kalorienaufnahme und damit Adipositas.
Natürlich hat die Studie ihre Schwächen. Naturgemäß lässt sich eine solche Ernährungsstudie nicht doppelblind anlegen und wir bekommen keine Aussage zu den übrigen Essgewohnheiten in den nur hundert Familien. Es bleibt Spekulation, ob die Teilnehmer der Studie sich sowieso bewusster ernährten, so dass auch andere Einflüsse eine Rolle spielen könnten.
Es gibt auch keine Aussage darüber, auf welche Weise die Fruchtsäfte den Vorschulkindern zugeführt wurden. Kritische Aspekt der oben genannten Quetschies sind zum einen die Kariesgefahr durch den Verbleib der süßen Pampe im Mund und zum anderen der Wegfall des Kauens und dosierten Schluckens im Vergleich zu ganzen Früchten. Kauen fördert die Mund- und Zungenmotorik, was einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Sprachentwicklung hat. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die Verbraucherzentralen warnen vor übermäßigem Konsum der Beutelfrüchte.
In der kinderärztlichen Praxis berichten Eltern viel vom veränderten Essverhalten der Kinder – Quetschies sind en vogue. Unzweifelhaft dürfte sein, dass der Verzehr von ganzen Früchten im jedem Fall gesünder ist. Die zusätzliche Aufnahme der Ballaststoffe aus Schalen und Fruchtfleisch sind ein Protektivfaktor für chronische Obstipationen, die bei Kleinkindern immer häufiger beklagt werden. Und da sprechen wir noch gar nicht über den Wissens- und Erfahrungsaspekt, Obst als Obst wahrzunehmen: Beim Einkauf auf dem Markt, beim Unterscheiden der verschiedenen Sorten, beim Zubereiten mit Schälen und Kleinschneiden, beim ganz anderen Geschmackserlebnis und ja, auch beim Unterschied zwischen reifen und unreifen Obsten.
Frühes Angebot von Früchten im Kleinkindalter verbessert die Aufnahme von Obst im Jugend- und Erwachsenenalter und scheint kein Übergewicht zu begünstigen. Das ist eine wegweisende Aussage der oben genannten Studie. Ob Quetschies allerdings die beste Wahl sind, bleibt fraglich.
Um es frei nach Jake von den Blues Brothers zu sagen: „Ich bevorzuge ganze Früchte.“
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