Bei seltenen Lebererkrankungen stehen selbst Fachärzte vor einer Herausforderung. Wie behandeln, wenn man die Krankheit noch nie zuvor gesehen hat? Ein europäisches Expertennetzwerk kann euch unter die Arme greifen.
Es gibt verschiedene seltene Erkrankungen mit genetischer Ursache, die zu einer Leberschädigung führen können. Hierzu gehören zum Beispiel der Morbus Wilson, die Porphyrie, oder der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, die durch Enzymdefekte verursacht werden und so den Abbau von Stoffwechselprodukten beeinträchtigen. „Bei Lebererkrankungen ist die Früherkennung besonders wichtig. Die Erkrankung und ihre Folgen können umso besser behandelt und gegebenenfalls sogar geheilt werden, je früher sie erkannt wurden“, erklärt Leberspezialist Prof. Ansgar W. Lohse.
Lohse ist Koordinator des Europäischen Referenznetzwerkes für Seltene Lebererkrankungen (ERN RARE-LIVER), das in Hamburg angesiedelt ist. Doch was genau ist das und wie kann es euren Patienten helfen?
Das ERN RARE-LIVER ist ein 2017 von der Europäischen Kommission initiierter Verbund von medizinischen Exzellenzzentren zur Diagnostik und Therapie von Betroffenen, sowohl Kindern als auch Erwachsenen. Ziel ist es, das Wissen und die Erfahrung europaweit zu bündeln und allen Patienten und ihren behandelnden Ärzten zur Verfügung zu stellen. Inzwischen gehören 53 Universitätskliniken aus 15 EU-Ländern dem Netzwerk als Vollmitglieder an. Zusätzliche 27 Zentren aus 13 weiteren Ländern sind dem Netzwerk durch Partnerschaften verbunden und arbeiten eng zusammen.
Für Menschen mit seltenen Erkrankungen ist es oft sehr schwierig, rechtzeitig die richtige Diagnose und die notwendigen, häufig sehr individuell abgestimmten, Behandlungen zu bekommen. Da die Erkrankungshäufigkeit aber unter 0,05 % liegen, hat der durchschnittliche Facharzt das entsprechende Krankheitsbild noch nie oder höchstens einmal gesehen. Erfahrung und Fachwissen zu diesen seltenen Erkrankungen findet man deswegen meist nur an einigen wenigen Spezialzentren.
Das RARE-LIVER-Netzwerk soll jedem betroffenen Patienten Zugang zu genau diesem Spezialwissen ermöglichen und gemeinsam Diagnostik und Therapie dieser seltenen Erkrankungen zu verbessern. Hierzu bietet das Netzwerk umfangreiches Informationsmaterial und veranstaltet Seminare, Workshops und Webinare zur Fort- und Weiterbildung. Als einen ganz besonderen Service für Ärzte bietet das Netzwerk über ein Daten-gesichertes Online-Tool auch gezielte Beratung für einzelne Fälle. Hierfür kann sich jeder Arzt an eines der Mitgliedszentren wenden, und von dort aus kann die Konsultation zügig in die Wege geleitet werden.
In der Regel gehen Patienten zu ihrem Hausarzt. Dieser kann mit den Symptomen und dem Krankheitsbild häufig nichts anfangen, und überweist den Patienten daher an das nächste Universitätsklinikum. Doch auch in den meisten Krankenhäusern reicht das Fachwissen oft nicht aus, um herauszufinden, welches die richtige Behandlung wäre. In diesem Fall können sich die Ärzte an das Europäische Referenznetzwerk RARE-LIVER wenden.
Mit der Zustimmung des Patienten gibt das Krankenhaus die Akte in das hochgesicherte ERN-eigene Online-System ein. Spezialisten aus ganz Europa analysieren den Fall und erörtern die möglichen Optionen. Auf der Grundlage von ähnlichen Fällen rät das Gremium zu einer maßgeschneiderten Behandlung, die in den meisten Fällen dann in der Heimat des Patienten durchgeführt werden kann.
Das System kann aber auch dazu dienen, Expertenmeinungen zur Diagnostik einzuholen. „Das heißt, der Patient muss dem Fachwissen nicht mit einem hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand hinterher reisen, sondern unser Netzwerk bringt das Wissen direkt zum Patienten“, erklärt Netzwerkkoordinator Lohse.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des ERN RARE-LIVER. Hier findet ihr zur Website des ERN RARE-LIVER.
Bildquelle: Austin Distel, unsplash