Ein Nierenstein kommt selten allein – eine effektive Sekundärprophylaxe ist gefragt. Eine Studie wirft nun die Frage auf: Wirken die beliebten Thiaziddiuretika überhaupt?
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Gibt es einen Arzt, der noch nie einen Patienten mit Nierensteinen vor sich sitzen hatte? Wohl kaum. Und das ist auch kein Wunder: Die Nephrolithiasis ist häufig, ca. 3–5% der deutschen Bevölkerung leiden darunter – Tendenz steigend. Oft bleibt es auch nicht bei einem einzigen Vorfall, bis zu 50 % der Patienten erleiden unbehandelt innerhalb der ersten zehn Jahre ein Rezidiv. Eine erfolgreiche Sekundärprophylaxe ist daher unabdinglich.
Die Basis für dafür bildet vor allem eine Ernährungsumstellung. Die Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) empfiehlt allem voran eine Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr. Weiterhin wird den Patienten eine abwechslungsreiche Ernährung nahegelegt. Da es sich bei den meisten Steinen um Calciumoxalatsteine handelt, ist insbesondere eine Reduktion der Oxalataufnahme in der Nahrung sinnvoll. Jenseits der Ernährung wird jedem Patienten auch die Steigerung der körperlichen Aktivität und eine Gewichtsnormalisierung empfohlen.
So weit, so gut. Bei Patienten mit besonders hohem Risiko für ein Rezidiv reichen diese Maßnahmen allein mitunter aber nicht aus. In diesen Fällen kommt auch eine pharmakologische Rezidivprophylaxe in Frage. So empfiehlt die DGU beispielsweise bei Patienten, deren Calciumausscheidung im Urin von 8 mmol/Tag überschreitet, eine Behandlung mit Thiaziddiuretika wie Chlortalidon oder Indapamid 25–50 mg/Tag. Auch Hydrochlorothiazid (HCT) kommt in Frage, allerdings besteht hier in der Langzeitanwendung potentiell ein erhöhtes Risiko für weißen Hautkrebs. Deshalb wird in der aktuellen Fassung der Leitlinie eher zu den alternativen Thiaziden geraten.
Eine aktuelle Studie im NEJM stellt nun den Einsatz von HCT und auch seiner Analoga weiter in Frage. Der Grund: Zweifel an der grundsätzlichen Effektivität. Den Autoren der Studie zufolge haben bisherige Studien zur Effektivität von HCT einige Schwächen gehabt. So wurden bislang nur hohe Dosierungen von 50–100 mg untersucht, außerdem bemängeln sie unzureichende Verblindung und überholte Bildgebungsverfahren mit niedriger Genauigkeit. Denn die Studien, auf die sich die gängige Behandlung stützt, sind teils 30 Jahre alt – Grund genug für die Schweizer Forscher, die Wirksamkeit von Thiaziden zur Nierensteinprophylaxe nochmal zu überprüfen.
In der doppelblinden Studie wurden 416 Patienten (medianes Alter 49 Jahre, 80 % männlich) mit rezidivierenden, kalziumhaltigen Nierensteinen nach Zufallsprinzip in 4 Gruppen eingeteilt. Die Kontrollgruppe erhielt täglich ein Placebo, die anderen 3 Gruppen erhielten HCT in einer Dosis von 12,5 mg, 25 mg oder respektive 50 mg pro Tag. Sämtliche Patienten erhielten zusätzlich Ernährungsempfehlungen entsprechend aktueller Leitlinien als Basistherapie. Der primäre Endpunkt der Studie bestand in einem symptomatischen oder radiologischen Wiederauftreten von Nierensteinen; das radiologische Wiederauftreten wurde dabei als Auftauchen neuer Steine oder die Vergrößerung von bereits vorhandenen Steinen in der Bildgebung definiert.
Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 2,9 Jahren stellten die Forscher fest: Die Rezidivhäufigkeit in den vier Gruppen unterschied sich nicht wesentlich. In der Placebogruppe erreichten 59 % der Patienten den primären Endpunkt (60 von 102 Pateinten); in der 12,5 mg-Gruppe waren es ebenfalls 59 % (62 / 105). In den beiden höheren Dosis-Gruppen sah es nur unwesentlich besser aus: 56 % (61 / 108) erlitten in der 25 mg-Gruppe ein Rezidiv und 49 % (49 / 101) in der 50 mg-Gruppe. Berechnungen zum relativen Risiko im Vergleich zu Placebo zeigten in den ersten beiden Gruppen sogar eine leichte Risikoerhöhung (RR 1,33; 95 % CI 0,92–1,93; bzw. RR 1.24; 95 % CI 0,86–1,79). Nur in der höchsten Dosierung ergab sich ein kleiner Vorteil (RR 0,92; 95 % CI 0,63–1,36). Ein starker statistischer Zusammenhang sieht anders aus.
Auch in den Laboruntersuchungen von Urinproben brachte die Thiazidbehandlung keine durchgängige Verbesserung: Zwar war die Calciumausscheidung bei mit HCT behandelten Patienten in allen drei Gruppen im Vergleich zur Placebogruppe und zur Ausgangslage erniedrigt – auf die relativen Übersättigungsverhältnisse vom Calciumoxalat hatte das aber keinen großen Einfluss. Stattdessen wurde in allen vier Gruppen eine erhöhte Ausscheidung von Oxalat beobachtet, die der Calciumreduktion entgegengewirkt haben könnte. Eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung zeigte sich hier nicht.
Hinzu kam, dass die Einnahme von HCT mit dem vermehrten Auftreten von Nebenwirkungen wie neuaufgetretenem Diabetes, Hypokaliämie, und Gicht verbunden war. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wurden jedoch in den Verumgruppen nicht öfter beobachtet als in der Placebogruppe.
Nun ist die vorliegende Studie auch nicht ohne ihre Limitationen: Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Wirkung der Thiaziddiuretika über einen längeren Zeitraum entfaltet und Effekte erst nach mehr als 3 Jahren sichtbar werden. Weiterhin könnte es auch sein, dass die Studienpopulation nicht groß genug war, um den Effekt korrekt abzubilden. Bei ihrer Planung der Studiengröße gingen die Forscher von einem viel stärker ausgeprägten Behandlungseffekt (Reduktion der Rezidive um 50 % bei der höchstdosierten Gruppe) aus. Ist dieser nun also deutlich kleiner als angenommen, müsste die Studie dementsprechend größer angelegt sein, um ihn zu zeigen.
Ein weiteres Problem war die recht hohe Rate an Nichtadhärenz – je nach Gruppe hielten 15–26 % der Probanden weniger als 80 % der Tagesdosen ein. Dies könnte das Ergebnis selbstverständlich beeinflusst haben. Eine Per-Protokoll-Analyse ergab aber ebenfalls keine großen Unterschiede zwischen Placebo- und Verum-Gruppen.
Dennoch gibt die Studie zu denken. Ein begleitendes Editorial im NEJM stellt fest, dass die Ergebnisse zwar noch durch weitere Studien bestätigt werden müssen. In Anbetracht des bekannten Nebenwirkungsprofils von HCT und anderen Thiaziden sollte diese Studie aber einen weiteren Anstoß geben, bessere und effektivere Medikamente zur Nierensteinprophylaxe zu erforschen.
Quellen
S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis – Aktualisierung 2018.
Dhayat NA, Bonny O, Roth B, et al. Hydrochlorothiazide and prevention of kidney-stone recurrence. N Engl J Med 2023;388:781-791. DOI: 10.1056/NEJMoa2209275
Alexander R. Todd. Do Thiazides Reduce the Risk of Kidney-Stone Recurrence?. N Engl J Med 2023;388:9, 841-842. DOI: 10.1056/NEJMe2300120
Bildquelle: Monika Grabkowska, Unsplash