Im primären somatosensorischen Cortex werden normalerweise haptische Reize verarbeitet. Zugleich, so neue Erkenntnisse, ist diese Gehirnregion für die Wahrnehmung von Temperaturen zuständig. Die Ortsüberlagerung gibt Einblicke, wie unser Gehirn verschiedene Sinneseindrücke integriert.
Temperatur- oder Thermorezeptoren befinden sich überall im Körper und in der Haut. Sie informieren das zentrale Nervensystem über die Temperaturverhältnisse des Körpers und der Außenwelt. In welchem Bereich des Gehirns diese Informationen dann zusammenlaufen und daraus eine Empfindung entsteht, wird schon länger diskutiert. Experimente zu Sinnestäuschungen haben gezeigt, dass das Temperaturempfinden und das haptische Empfinden eng miteinander verknüpft sind. So scheint beispielsweise eine kalte Münze in unserer Hand schwerer zu wiegen als eine warme. Die zugrundeliegenden neuronalen Verschaltungswege und Mechanismen sind bislang jedoch nicht vollständig geklärt.
Die Forscher um Dr. James Poulet, Neurowissenschaftler am Exzellenzcluster NeuroCure der Charité – Universitätsmedizin Berlin und am MDC, konnten in Verhaltensexperimenten zeigen, dass Mäuse Temperaturen in gleichem Maße unterscheiden können wie Menschen. Mit einem optischen Messverfahren (Intrinsic Optical Imaging) sowie Einzelzellableitungen wiesen die Forscher weiterhin nach, dass Informationen über die Temperatur und die Haptik eines Objekts in derselben Hirnregion, dem sogenannten primären somatosensorischen Cortex, verarbeitet werden. Während bei einer Einzelzellableitung die elektrische Aktivität einer einzelnen Nervenzelle mit einer Elektrode gemessen wird, wird beim Intrinsic Optical Imaging über ein Kamerasystem der lokale Blutfluss als Maß für die Aktivität vieler Nervenzellen gemessen.
"Die Ergebnisse waren für uns überraschend, da dieses Hirnareal normalerweise als Zentrum für die Verarbeitung von Berührungen, nicht aber von Temperatur angesehen wird", sagt Nevena Milenkovic, die Erstautorin der Studie. In einem weiteren Experiment untersuchten die Forscher Nervenzellen der Haut und zeigten, dass Zellen, die bislang als Schmerzrezeptoren angesehen wurden, auch Informationen über nicht schmerzhafte Temperaturreize weiterleiten. Dies leistet einen Beitrag zum Verständnis übermäßiger Schmerzempfindlichkeit, die mit vielen neurologischen Störungen einhergeht. Schließlich wiesen die Forscher nach, dass Mäuse, deren Hautnervenzellen ein bestimmtes Rezeptorprotein fehlte, keine Abkühlung wahrnehmen konnten. "Unsere Ergebnisse helfen dabei zu verstehen, wie unser Gehirn Informationen aus verschiedenen Sinnessystemen integriert und so die einheitliche Wahrnehmung eines Objekts produziert - eine der fundamentalsten Aufgaben unseres Großhirns", betont Dr. Poulet. Originalpublikation: A somatosensory circuit for cooling perception in mice Milenkovic N. et al.;. Nature Neuroscience, doi: 10.1038/nn.3828. Epub 2014 Sep 28., 2014