Die BARMER hatte im März über ein Mittel gegen Hausstaubmilbenallergie informiert. In einem offenen Brief warnen Fachgesellschaften nun, das Schreiben sei inhaltlich fehlerhaft und könne zu Fehlverordnungen führen.
Wie viele andere Ärzte, haben im März 2023 auch Mitglieder des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen (BVDD) ein „Informationsschreiben nach § 73 Abs. 8 SGB V“ der BARMER erhalten.
Der BVVD schreibt nun: „Leider ist dieses Schreiben inhaltlich fehlerhaft und könnte geeignet sein, Fehlverordnungen zu induzieren. Wir sehen uns daher gezwungen, hierzu Stellung zu beziehen.“ Der BVVD wolle allergologisch tätigen Ärzten in Deutschland eine differenzierte, hochwertige und individualisierte Allergietherapie im Sinne der modernen Präzisionsmedizin nahelegen. Diese Qualitätsmedizin untergrabe die BARMER mit ihrem Brief, so der BVVD.
Das Medikament Acarizax® ist indiziert bei erwachsenen Patienten, bei denen auf Basis von Anamnese und Nachweis einer Sensibilisierung (Prick-Test und/oder spezifisches IgE) eine Hausstaubmilbenallergie diagnostiziert wurde, wenn mindestens eine der folgenden Bedingungen besteht:
Der Asthma-Status des Patienten sollte vor dem Beginn der Behandlung sorgfältig geprüft werden. Andere Formen von Asthma können sogar ausdrückliche Kontraindikationen für die Behandlung sein. So ist unter Gegenanzeigen in der Fachinformation von Acarizax® benannt ein FEV1 < 70 % des Vorhersagewertes (nach adäquater pharmakologischer Therapie) bei Beginn der Behandlung. Auch bei Patienten, die in den letzten 3 Monaten eine schwere Asthma-Exazerbation hatten und bei Patienten mit Asthma, die eine akute Infektion des Respirationstraktes haben, soll der Beginn der Behandlung mit verschoben werden, bis die Infektion abgeklungen ist.
Zudem wird unter „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ aufgeführt: Asthma ist ein bekannter Risikofaktor für schwere systemische allergische Reaktionen. Patienten sollen darauf hingewiesen werden, dass Acarizax® nicht zur Behandlung akuter Asthma-Exazerbationen vorgesehen ist. Im Falle einer akuten Asthma- Exazerbation sollte ein kurzwirksamer Bronchodilatator verwendet werden. Wenn Patienten merken, dass die Behandlung mit ihrem kurzwirksamen Bronchodilatator unwirksam ist oder sie mehr Hübe als üblich benötigen, muss ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden.
Patienten müssen über die Notwendigkeit informiert werden, unverzüglich einen Arzt aufzusuchen, wenn sich ihr Asthma plötzlich verschlechtert. Acarizax® soll zunächst als Zusatztherapie und nicht als Ersatz von bereits bestehenden Asthma-Medikamenten genutzt werden. Ein plötzliches Absetzen von Asthma-Controller-Medikamenten nach Beginn der Behandlung mit Acarizax® wird nicht empfohlen. Eine Reduktion der Asthma- Dauermedikation sollte nur schrittweise unter Aufsicht eines Arztes entsprechend der Asthma Behandlungsleitlinien durchgeführt werden.
Die undifferenzierte Darstellung der Behandlungsmöglichkeiten von Asthma mit Acarizax® durch die BARMER gefährdet Patienten. Die Behauptung eines Alleinstellungsmerkmals kann der BVVD aufgrund medizinischer Fakten nicht nachvollziehen („Einzigartig – Acarizax® bei Hausstaubmilben-Rhinitis und -Asthma – Acarizax® ist demnach auch nicht austauschbar“). Diese Aussage ist tatsächlich falsch, denn nachweislich stehen Produkte anderer Hersteller in diesen Indikationen zur Verfügung, und zum Teil ist Acarizax® sogar kontraindiziert. Zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Asthma ist Acarizax® überhaupt nicht zugelassen.
Acarizax® ist für die von der BARMER beworbenen orale Therapie gar nicht zugelassen. Sollte es aufgrund des Schreibens fälschlicherweise in dieser Applikationsform angewendet werden, sieht der BVVD erhebliche Risiken für die Patienten; zumindest aber wird höchstwahrscheinlich keine Wirkung eintreten. Der BVVD hält es für höchst irritierend, dass eine gesetzliche Krankenkasse die zugelassene Applikationsart ändert und Empfehlungen abgibt, die wissenschaftlich nicht belegt sind und Patienten gefährden.
Sollte dies ohne Absicht geschehen sein, zeige es umso mehr, wie gefährlich und unsinnig die von der BARMER in großer Menge unter den Ärzten verbreiteten „Informationsschreiben“ sind, da sie unter dem Deckmantel angeblich sachlicher Information Falschaussagen verbreiten.
Das in gleichem Brief aufgeführte Arzneimittel Orylmyte® ist ebenfalls zugelassen zur Behandlung einer allergischen Rhinitis durch Hausstaubmilben und kann auch eingesetzt werden, wenn diese mit einem Asthma kombiniert ist. Zudem gibt es etliche weitere Präparate auch von anderen Herstellern, die bei Hausstaubmilbenallergien eingesetzt werden können. Die einseitige Bevorzugung der Präparate des identischen Therapieallergene-Herstellers durch die BARMER beobachte der BVVD seit langer Zeit und es sei absolut unverständlich, da eine Monopolstellung eines einzigen Herstellers eigentlich nicht im Sinne einer Gesetzlichen Krankenversicherung sein kann.
Im Schreiben stellt die BARMER auch einen Preisvergleich zwischen zwei Therapieallergen-Präparaten zur Behandlung von Milbenallergien auf. Dieser Preisvergleich sei in der vorgenommenen Weise geeignet, die behandelnden Ärzte in die Irre zu führen, so der BVVD. Angeblich sei Acarizax® gegenüber Orylmyte® günstiger, auf Basis von Tagestherapie-Kosten. Die gewählte Berechnungsart ist nicht beschrieben, nach Ansicht des BVVD können die dargestellten Kosten jedoch nicht die tatsächlichen Kosten abbilden. Zumindest ist die Berechnung in höchstem Maße intransparent, denn es werden undefinierte „Herstellerrabatte“ und ein „Apothekenrabatt“ aufgeführt, die nicht geprüft werden können. Die Berechnungen des BVVD kommen zu anderen Ergebnissen.
Der BVVD fordert die BARMER auf, den betreffenden Brief zurückzunehmen, die fehlerhaften Darstellungen zu korrigieren und zukünftig das Versenden derartiger Schreiben zu unterlassen.
Der Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen.
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