Von Frau-zu-Mann, von Mann-zu-Frau. Drei Fragen die Sie kennen sollten.
Lesen Sie in diesem Post unseren spannenden Fachbeitrag.
Herzliche Grüße
Sina Ruddat
Account- und Channel Managerin
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Expert*innen-Sprechstunde
Von TSH bis Hashimoto: 3 Fragen zu Transgender & Schilddrüse
Ein Frau-zu-Mann-Transgender-Patient (36 J.) unter einer Testosterontherapie berichtet über Müdigkeit und starke Gewichtszunahme. Könnte es eine Hypothyreose sein? Expert*innen erklären, worauf es bei der Patient*innengruppe mit Blick auf die Schilddrüse ankommt.
Fakten-Blitzlicht: Transsexualität in Deutschland
Im Jahr 2020 haben deutsche Standesämter 2.687 Verfahren nach dem Transsexuellengesetz durchgeführt.1 Das heißt, dass sie entweder den Vornamen oder die registrierte Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen geändert haben.2 Zur Einordnung: Im Jahr 2010 waren es noch 1.118 Verfahren.1 Diese Daten geben die rechtliche Situation wieder.1,2 Die Angaben zur realen Prävalenz der Geschlechtsinkongruenz variieren dagegen stark. So geht man zum Beispiel aufgrund der Anträge beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) von 5,5 Transfrauen pro 100.000 Männer und 3,1 Transmännern pro 100.000 Frauen aus (Daten aus dem Jahr 2009).3
3 Fragen und Antworten: Schilddrüsengesundheit bei Transgender-Personen
Von der Datenlage zurück in die klinische Praxis. Menschen mit Geschlechtsinkongruenz erhalten häufig eine geschlechtsangleichende Hormontherapie.3 Wie kann diese Behandlung andere endokrinologische Vorgänge beeinflussen – beispielsweise die Funktion der Schilddrüse? Diese und weitere Fragen beantworten Expert*innen vom endokrinologikum Hamburg (darunter Dr. Susanne Junginger, Dr. Achim Wüsthof und Prof. Dr. Onno E. Janßen) sowie vom amedes MVZ Hamburg (unter anderem Prof. Dr. Christoph Dorn). In den letzten 5 Jahren hat das endokrinologikum Hamburg 1.137 und im gleichen Zeitraum das amedes MVZ Hamburg 462 Transgender-Personen betreut. Mit insgesamt mehr als 1.500 Betroffenen gehören beide Einrichtungen zu den größten Transgender-Praxen in Deutschland.
Frage 1: Haben jüngere Transgender-Personen (insbesondere in Hinsicht auf die Transition) Besonderheiten, die bei der Therapie und Diagnostik der Schilddrüse beachtet werden sollten?
Bei jüngeren, im Besonderen bei prä-pubertären, Transgender-Personen ist die Identifikation mit dem cis-Geschlecht üblicherweise nicht so weit fortgeschritten wie dies bei älteren, erwachsenen Transgender-Personen der Fall ist: Dies ist bei dem Wunsch nach Wechsel zum trans-Geschlecht zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist in diesem Alter eine stärkere Beeinflussung von außen − im positiven wie im negativen Sinne − durch die Familie, das soziale Umfeld, die Ausbildungssituation und die Medien möglich.4 Da sich in diesem Alter Schilddrüsenerkrankungen erstmanifestieren können, sollte hier ein entsprechendes Screening erfolgen. Der Wunsch nach Änderung der Geschlechtsidentifikation hat jedoch keine bekannte direkte Wirkung auf die Schilddrüse und umgekehrt gibt es keine Hinweise, dass Schilddrüsenerkrankungen den Wunsch nach Wechsel des Geschlechts beeinflussen.
Frage 2: Wie beeinflusst die geschlechtsangleichende Hormontherapie andere endokrinologische Abläufe – insbesondere mit Blick auf die Schilddrüse?
Die Behandlung von Transfrauen (Mann-zu-Frau-Transgender)mit Östrogenen und Anti-Androgenen hat zunächst den gewünschten Effekt des Abfalls des Testosterons und Anstieg der Östrogene auf konstante, supra-physiologische trans-Level. Die höheren Östrogenspiegel führen zu einem Anstieg des Thyroxin-bindenden Globulins (TBG) und damit zu einem Anstieg des Gesamt-Thyroxin (TT4 = total Thyroxin) und Gesamt-Trijodthyronin (TT3 = total Trijodthyronin), die beide physiologisch und diagnostisch keine Rolle (mehr) spielen. In Abhängigkeit vom verwendeten Assay kann dies jedoch zu leichten Veränderungen − sowohl Abfall als auch Anstieg im Vergleich zu Vorwerten − der Spiegel des freien T3, in geringerem Umfang auch des freien T4 führen. Die Klinik (= Stoffwechsellage) und die TSH-Spiegel verändern sich üblicherweise nicht signifikant. Bei Transmännern (Frau-zu-Mann-Transgender) sind die entgegengesetzten Veränderungen des TBG, TT4, TT3, FT4 und FT3 geringer ausgeprägt, da der Abfall der Östrogene deutlich geringer ist als der Anstieg der Östrogene bei Transfrauen.
Mögliche Nebenwirkungen der Gabe von feminisierenden Hormonen sind ein Anstieg der Leberwerte oder der Triglyzeride, das Auftreten von Gallensteinen, thromboembolischen und/oder kardiovaskulären Erkrankungen, eine Gewichtszunahme, eine Prolaktinerhöhung oder sogar (selten) das Auftreten von Prolaktinomen oder Mammakarzinomen. Unter der Anwendung maskulinisierender Hormone kann es aufgrund des Testosteron-bedingten Anstiegs des Hämoglobins zu einer Polyzytämie kommen sowie ebenfalls zu thromboembolischen und/oder kardiovaskulären Erkrankungen und einer Gewichtszunahme. Außerdem kann sich eine Akne und/oder Alopezie entwickeln oder verstärken.5
Nach aktueller Vorstellung sind zur Beurteilung von Laborwerten, auch in der endokrinologischen Diagnostik allerdings keine Transgender-spezifischen Referenzwerte erforderlich. Die Daten sollen gegebenenfalls mittels der cis-geschlechtsspezifischen Referenzwerte beurteilt werden.6
Frage 3: Welche praxisrelevanten Besonderheiten gelten für die Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen bei Transgender-Personen?
Im Rahmen der Erstevaluation und auch der weiteren Betreuung von Transgender-Personen sollte auch an die Schilddrüse gedacht werden. Empfohlen wird ein jährliches Screening mittels klinischer Beurteilung der Schilddrüsenfunktion (Antriebslosigkeit oder Nervosität; Frieren oder Schwitzen; Gewichtsverlauf) und Bestimmung des TSH. Bei auffälligen Befunden soll eine weitere Diagnostik mittels Labor, Ultraschall etc. erfolgen.7 Transmänner bringen eine höhere cis-Wahrscheinlichkeit für eine Autoimmunthyreoiditis Hashimoto mit und Transfrauen haben im Verlauf möglicherweise eine höhere Wahrscheinlichkeit erstmals einen Hashimoto zu entwickeln - dies gilt möglicherweise auch für den Morbus Basedow. Belastbare Studiendaten liegen dazu allerdings nicht vor.
Weiterführende Literatur zur Transgender-Thematik
Empfehlungen zur Behandlung von Menschen mit Geschlechtsinkongruenz sowie Informationen zur rechtlichen Situation finden sich in den folgenden Leitlinien und Rechtsgrundlagen:
Mehr zur Schilddrüsengesundheit – darunter spannende Kasuistiken – finden Sie hier.
Quellen